von Manfred Knake
Die Hermann-Lietz-Schule auf der Insel Spiekeroog ist ein Gymnasium mit Internat in freier Trägerschaft. Der Besuch ist, mit Ausnahme für Stipendiaten, kostenpflichtig. Die Schule liegt in den Dünen, in unmittelbarer Nähe der strengsten Schutzzone (Ruhezone) des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer („Weltnaturerbe“) und damit auch an einem europäischen Vogelschutzgebiet. Der bekannteste Absolvent, der hier 1930 sein Abitur ablegte, war der spätere SS-Offizier und Raketeningenieur Wernher von Braun, der im 2. Weltkrieg in Peenemünde die „Wunderwaffe“ V-2 entwickelte und nach dem Krieg zum führenden Raketenentwickler in den USA aufstieg. Räumlich angeschlossen an die Schule ist das schuleigene Nationalpark-Haus Wittbülten, in dem neben der Touristeninformation auch wissenschaftliche Projekte in Zusammenarbeit mit der Universität Oldenburg durchgeführt werden.
So steht es auf der WebSeite der Schule:
Ökologie und Nachhaltigkeit sind zentrale Bestandteile im Unterricht und im Schulalltag. Bewusster, nachhaltiger Konsum und praxisnahe Umweltbildung und Umweltforschung bereiten unsere Schüler mit einem positiven Blick auf die Zukunft vor. Bereit, ökologische und soziale Verantwortung zu übernehmen und gute Entscheidungen für sich und die Gemeinschaft zu treffen.
Anfang September 2021, also kurz vor den bevorstehenden Bundestagswahlen, bekam die Schule Besuch von der bisher in der Region kaum bekannten Bundestagskandidatin Sina Beckmann von Bündnis90/Die Grünen,. Der „grüne“ Eigenbericht vom Schulbesuch las sich dann in der Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“ aus Wittmund am 14. September so:
Mit Windrad und Wissenschaft für Naturschutz
POLITIK – Bundestagskandidatin Sina Beckmann zu Gast im Insel-Internat und dem Nationalpark-Haus Wittbülten
SPIEKEROOG. (ah) Auf der naturnahen Insel Spiekeroog empfing Biologin Swantje Fock die Bundestagskandidatin von Bündnis 90 / Die Grünen, Sina Beckmann. Die Diplom-Biologin hat gemeinsam mit ihrem Mann das Nationalparkhaus Wittbülten aufgebaut, das über die Grenzen Spiekeroogs und
Frieslands hinaus Bekanntheit erlangt hat. […] Sina Beckmann zeigte sich begeistert vom Engagement des Paares. „Wie viel Einzelleistung für einen ganzen Lebensraum ausmachen kann, das zeigt sich hier besonders.“ Beckmann verwies dabei nicht nur auf
den Aufbau der beiden Institutionen, sondern auch auf die ehrgeizigen Projekte der Schule. Diese besitzt das einzige Windrad der Insel und versorgt sich so selbst mit Strom. Die Schule ist zudem mit LED-Lampen ausgerüstet und besitzt eine Batterie, um den Windstrom zu speichern. Eine Photovoltaik-Anlage soll in Kürze folgen. […]“
Die Original-Pressemitteilung der Grünen (Kreisverband Wittmund) hier.
„Mit Windrad für Naturschutz?“ Und Strom“versorgung“ mit einer Windkraftanlage? Das regte beim Wattenrat zur Nachfrage beim Schulleiter, dem Oberstudiendirektor Florian Fock, an. Meine erste Mailanfrage vom 14. September lautete auszugsweise so:
1) Ist es Ihrer Auffassung nach vertretbar, dass Ihre Schule, auch wenn in
privater Trägerschaft befindlich, Wahlkampfhilfe für eine politische Partei leistet?
2) Wie bewertet die Schulleitung den Standort der Windkraftanlage unter
ökologischen Gesichtspunkten – deren Standort südlich und östlich von der
strengsten Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer
(Ruhezone) umgeben ist – im Hinblick auf die Kollisionsgefährdung der Vögel
des Nationalparks?
3) Werden systematische Schlagopfererfassungen durchgeführt und dokumentiert? Sind diese Dokumentationen ggf. erhältlich?
4) Wie groß ist die Kapazität des erwähnten Batteriespeichers in Kilowattstunden (kWh)- oder wie lange kann die Schule, wenn die WEA bei Schwachwind oder Windstille keinen Strom liefert, autark mit Strom versorgt werden?
5) Ist die Schule an das öffentliche Stromnetz angeschlossen?
Die Fragen wurden von mir mit einer unmittelbar nachfolgenden zweiten Mail ergänzt:
„Es handelt sich bei der Windkraftanlage am Schulgebäude bekanntlich um eine
Vestas V27/225 (Nennleistung 225 kW ab Windgeschwindigkeit 14m/sec, entspr.
Windstärken 6-7 Beaufort, Durchmesser 27 m), die ab 1989 produziert wurde
und nicht mehr hergestellt wird: https://www.thewindpower.net/windfarm_de_14349_spiekeroog.php
Wurde vor der Errichtung der Anlage eine Verträglichkeitsprüfung nach § 34
Bundesnaturschutzgesetz https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__34.html
durchgeführt, die die Auswirkungen auf das europäische Vogelschutzgebiet V01 prüft, zu
dem der größte Teil der Insel Spiekeroog gehört?“
Die Antwort des Schulleiters kam prompt:
Moin Herr Knake,
gerne beantworte ich Ihre Fragen, vielen Dank für die Veröffentlichung: Die Hermann Lietz-Schule Spiekeroog empfängt Vertreter und Vertreter*innen aller Parteien die eine deutlich demokratische Grundausrichtung haben, um das besondere Schul- und Internatskonzept vorzustellen. Zur Windkraftanlage: Eine systematische Schlagopfererfassung gibt es nicht;das Gelände der Anlage wird aber fast täglich durch Mitarbeitende der Schule begangen, und Schlagopfer sind in meiner Zeit als Geschäftsführer keine bekannt geworden. Auch bei den Brutvogelerfassungen auf der Insel sind keine Schlagopfer gemeldet worden.
Die Schule ist an das öffentliche Stromnetz angeschlossen, der Batteriespeicher hat eine Kapazität von 68 kW/h. Wie lange die Schule damit bei Flaute ohne Stromzukauf auskommen kann, wissen wir noch nicht, der Speicher wurde grade erst installiert. Vermutlich sind es etwa zwei Stunden. Eine Loslösung vom Stromnetz ist nicht geplant, dafür ist der Speicher in jedem Fall nicht geeignet. Im nächsten Schritt sollen Solardächer und wahrscheinlich eine Erdwärmepumpe folgen, um den Gasverbrauch und den Stromzukauf weiter zu reduzieren. Nach etwa einem Jahr Betriebszeit soll überprüft werden, ob ein weiterer Stromspeicher sinnvoll ist. Naturschutz, Artenschutz und Klimaschutz gleichzeitig voranzubringen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von allen politischen Entscheidungsträger*innen in ihrer Komplexität verstanden und vorangebracht werden muss. An der Hermann Lietz-Schule Spiekeroog wollen wir Vorreiter dafür sein.
Viele Grüße von Spiekeroog
Florian Fock
Meine Antwort:
Moin Herr Fock,
danke für die prompte Antwort. Meine nachgereichte Zusatzfrage wurde jedoch noch nicht beantwortet; möglicherweise haben Sie die Mail bisher übersehen.
Ich wiederhole: „Ich bitte auch um die Beantwortung der Ergänzungsfrage: Es handelt sich bei der Windkraftanlage am Schulgebäude bekanntlich um eine Vestas V27/225 (Nennleistung 225 kW ab Windgeschwindigkeit 14m/sec, entspr. Windstärken 6-7 Beaufort, Durchmesser 27 m), die ab 1989 produziert wurde und nicht mehr hergestellt wird: https://www.thewindpower.net/windfarm_de_14349_spiekeroog.php
Wurde vor der Errichtung der Anlage eine Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Bundesnaturschutzgesetz https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__34.html durchgeführt, die die Auswirkungen auf das europäische Vogelschutzgebiet V01 prüft, zu dem der größte Teil der Insel Spiekeroog gehört?“
Und zur Frage Nr.2: „Wie bewertet die Schulleitung den Standort der Windkraftanlage unter ökologischen Gesichtspunkten – deren Standort südlich und östlich von der strengsten Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer (Ruhezone) umgeben ist – im Hinblick auf die Kollisionsgefährdung der Vögel des Nationalparks?“ Betrachten Sie den Betrieb der Windkraftanlage an Ihrer Schule als Beitrag zum „Naturschutz, Artenschutz und Klimaschutz“, zumal die Anlage ja sehr dicht an der strengsten Schutzzone des Nationalparks Wattenmeer (EU-Vogelschutzgebiet) errichtet wurde? Gäbe es demokratische gewählte Parteien, die Ihren Empfangs-Kriterien nicht entsprächen? Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Besuch der Bundestagskandidatin Sina Beckmann (B90/Die Grünen, Wahlkreis 26) und der bevorstehenden Bundestagswahl in wenigen Tagen?
Zur „Abrundung“ meiner geplanten Veröffentlichung wären auch diese Antworten interessant.
Freundliche Grüße
MK
Auch auf die zweite Mail wurde vom Schulleiter Fock schnell, aber schon spärlicher, geantwortet:
Moin Herr Knake,
die Zusatzfrage entzieht sich meiner Kenntnis, das war nun lange vor meiner Zeit, das erfahren Sie vielleicht bei der entsprechenden genehmigenden Behörde.
Alles andere habe ich klar beantwortet.
Viele Grüße von Spiekeroog
Florian Fock
Nur: Nicht alle Fragen wurden „klar beantwortet“, z.B. die Nr. 2: „Wie bewertet die Schulleitung den Standort der Windkraftanlage unter ökologischen Gesichtspunkten – deren Standort südlich und östlich von der strengsten Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer (Ruhezone) umgeben ist – im Hinblick auf die Kollisionsgefährdung der Vögel des Nationalparks?“
Richtig ist, dass für die Frage nach der Verträglichkeitsprüfung vor dem Bau der Windkraftanlage am europäischen Vogelschutzgebiet tatsächlich die genehmigende Behörde, in diesem Falle das Bauamt des Landkreises Wittmund zuständig war, nicht der Schulleiter. Das lässt sich aber beim Landkreis nachholen. In der Vergangenheit war es aber so, dass Verträglichkeitsprüfungen bei Windkraftgenehmigungen mit Auswirkungen auf Vögel oder Fledermäuse im Landkreis nicht oder nur sehr unzureichend durchgeführt wurden. Siehe hier.
Ein Stromspeicher, der die Schule maximal 2 Stunden mit Strom versorgen kann, ist eigentlich ein sehr teurer Witz. Es ist davon auszugehen, dass die alte Windkraftanlage bereits aus der Förderung des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) herausgefallen ist, aber öko-symbolträchtig weiterbetrieben wird. Der erzeugte Windstrom kann dann noch im Speicher hausintern genutzt werden. Die Frage ist, was eine so erzeugte Kilowattstunde tatsächlich kostet. Am Festland wurden viele abgängige Windkraftanlagen inzwischen mit leistungsstärkeren Anlagen repowert, um weiterhin die EEG-Umlage abgreifen zu können, die Umlage, vom Stromkunden per EEG zwandsweise entrichtet, die den elektrischen Strom in Deutschland zum teuersten der Welt macht. Eine Genehmigung für eine neue und leistungsstärkere Windkraftanlage auf Spiekeroog wäre nach heutiger Rechtsprechung zudem problematisch.
Auf den Besuch der „grünen“ Bundeskandidatin Sina Beckmann unmittelbar vor der Bundestagswahl geht der Schulleiter bezeichnenderweise nicht mehr ein, ebenso nicht auf die Frage, ob es auch demokratisch gewählte Parteien gäbe, die seinen Besuchskriterien nicht entsprächen. Da darf man doch zumindest vermuten, dass die Leitung der Hermann-Lietz-Schule (und womöglich auch der Unterricht) stramm auf zeitgeistiger grün-ideologisch-ökologischer Linie fährt und man sich zum Wahlkampfgehilfen für eine ebensolche Partei gemacht hat…