Nationalparkgesetz schon wieder geändert: Entwicklungszone „Biosphärenreservat“ ohne Einschränkungen

Blick aus dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (Langeoog Fahrwasser) auf die „Entwicklungszone“ des Biospährenreservats hinter dem Deich – Foto (C): Manfred Knake

Das Nationalparkgesetz (Gesetz über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“, NWattNPG) wurde wieder einmal geändert. Der Niedersächsische Landtag in Hannover hat am 10. Juni 2021 die Änderung des Gesetzes beschlossen. Die rechtlichen Grundlagen für die Ausweisung einer „Entwicklungszone“ im bestehenden UNESCO-Biosphärenreservats Niedersächsisches Wattenmeer sollen geschaffen und Flächen in den Siedlungsräumen der Inseln und den Festlandbereichen hinter den Deichen in die Entwicklungszone eines Biosphärenreservat aufgenommen werden.

Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer war bei seiner Gründung 1986 mit einem Verordnungstext auf ca. 2.400 qkm geschützt. 1999 wurde aus der Verordnung ein Gesetz. 2001 wurde das Nationalparkgesetz bereits auf Druck der Tourismusindustrie von der damaligen SPD-Landesregierung unter Ministerpräsident Sigmar Gabriel novelliert, mit einer Flächenerweiterung auf etwa 2.800 km². Es wurden aber ca. 90 botanisch oder avifaunistisch wertvollen Teilflächen in der Zonierung  (Schutzstatus) heruntergestuft oder aus dem Nationalpark entfernt, der touristischen Nutzung zugeführt und mit überwiegend konfliktfreien Wasserflächen vor den Inseln erweitert. Mitarbeiter des Wattenrates überbrachten im Dezember 2001 der EU-Kommission in Brüssel eine vierbändige Zusammenstellung der herabgestuften oder entnommenen Flächen und verbanden dies mit einer förmlichen EU-Beschwerde, die schließlich nach fünf Jahren Bearbeitungszeit der EU im Sande verlief.

Der Nationalpark ist auch Natura-2000-Gebiet, also Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzgebiet und unterliegt dem Schutzregime der Europäischen Union, eigentlich. Er ist seit 2009 als UNESCO-Weltnaturerbe und damit als werbewirksames Tourismus-Etikett eingetragen und außerhalb der Siedlungsflächen auch als Biosphärenreservat ausgewiesen. Diese Etiketten haben jedoch nicht verhindern können, dass in diesem Nationalpark ohne Einschränkungen gewerbliche Fischerei betrieben, entgegen der Wasserrahmenrichtlinie der EU großflächig Baggergut verklappt wird und der Massentourismus enorm intensiviert wurde, mit zig-Millionen Übernachtungen auf den Inseln und dem Festland von Cuxhaven bis Emden, dazu kommt der Tagestourismus. Die touristische Nutzung der Inselstrände hat zu einem dramatischen Rückgang verschiedener Strandbrüterarten geführt.

Borkum, Südstrand, strengste Schutzzone im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (Ruhezone, Zone I): Ignoranz trifft Strandbrüterschutz, zwei Brutpaare Zwergseeschwalben“erfolgreich“ vertrieben. – Foto (C): Eilert Voß

Bereits seit 2014 bemüht sich das Land Niedersachsen um die Erweiterung der Entwicklungszone des UNESCO-Biosphärenreservats Wattenmeer, um auch die Landschaft hinter dem Deich mit dem Weltnaturerbe zu verbinden, gegen die Vorbehalte aus der Landwirtschaft.  In der Entwicklungszone soll künftig nachhaltiges Wirtschaften im Tourismus und bei der Landnutzung, also auch die Landwirtschaft, modellhaft gefördert werden. Es obliegt den Entscheidungen in Kommunen auf den Inseln und am Festland, ob sie Teil dieser Entwicklungszone werden wollen. Für den Beitritt gibt es Fördergelder.

Blick von Arle in die Gemeinde Dornum/LK Aurich.  – Foto (C): Manfred Knake

Zusätzliche Naturschutzauflagen sind nach Äußerungen des niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies (SPD) damit nicht verbunden. Seine Aussage widerspricht jedoch dem Wortlaut des Paragrafen 25 des Bundesnaturschutzgsetzes (s.u.).

Landwirtschaftsfunktionäre hatten im Vorfeld der Gesetzesnovellierung ihre Bedenken angemeldet. „Wenn wir Landwirte das Wort Gebietskulisse hören, gehen bei uns die Alarmglocken an. In der Vergangenheit ist selten etwas Gutes für uns dabei herausgekommen. Oft folgen Bewirtschaftungsauflagen, die in der Regel die Kosten in die Höhe treiben, ohne die Erlössituation zu verbessern“ zitiert die Lokalzeitung „Ostfriesischer Kurier“ aus Norden den Präsidenten des Landwirtschaftlichen Hauptvereins für Ostfriesland (LHV), Manfred Tannen aus Ostbense im Landkreis Wittmund. „Die Landwirtschaft muss sich darauf verlassen können, dass der freiwillige Beitritt der Kommunen zum Biosphärenreservat keine neuen Restriktionen mit sich bringt“, zitiert die Zeitung den niedersächsischen Umweltminister Lies.

Blick in das EU-Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ direkt angrenzend an den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: rechtswidrig gebauter „Schwarzbau“ der Umgehungsstraße Bensersiel/Stadt Esens und der Windpark Utgast mit Anlagen viel zu dicht direkt am Vogelschutzgebiet errichtet – Foto (C): Manfred Knake

Ein Verbot von Öl- und Gasbohrungen im novellierten Nationalparkgesetz wird es nicht geben, dafür hatten sich die Grünen im niedersächsischen Landtag vergeblich stark gemacht.

Blick vom  Inselstrand Langeoog aufs Festland – Foto (C): Manfred Knake

Auch ein neues Etikett „Biosphärenreservat“ wird am desolaten Zustand der Restnatur hinter den Deichen kaum etwas ändern. Weitermachen wie bisher mit neuem tourismusfördernden Etikett „Biosphärenreservat“ von Landwirtschaftsgnaden. Die Intensivlandwirtschaft an der Küste ist u.a. mitverantwortlich für den dramatischen Rückgang der Wiesenbrüter, von Feuchtgrünland und Insektenlebensräumen. Ehemals artenreiches Feuchtgrünland wurde in monotone Grassilageflächen verwandelt, auch in den Natura-2000-Gebieten an der Küste.

„Entwicklungszone“, Widdelswehr bei Emden: Aufladen des Mähguts  für Grassilage in der Brutzeit, Juni 2021 – Foto (C): Eilert Voß

In diesen europäischen Schutzgebieten, die größtenteils als Landschaftsschutzgebiete mit landwirtschaftsfreundlichen Verordnungen in nationales Recht überführt wurden, gibt es kaum Bewirtschaftungseinschränkungen. Nur in Niedersachsen wurde nach Auflösung der Bezirksregierung 2005 die Zuständigkeit für die Natura-2000-Gebiete auf die Landkreise als Untere Naturschutzbehörden verlagert, hinein in den kommunalen Klüngel der Kreistage, der sich kaum für „nachhaltige“ Naturschutzmaßnahmen einsetzt, die eher als lästig empfunden werden. Zusätzlich sind die Flächen hinter den Deichen mit riesigen Windparks vollgestellt, die allein durch den Scheucheffekt der Rotoren große Rastvogellebensräume entwertet haben. Treiber für die Aufnahme der Kommunen in die Entwicklungszone des Biosphärenreservats ist die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven, die sich einmal mehr als Tourismusförderungsagentur entpuppt hat.

Biosphärenreservat Küste, blau: geplante Entwicklungszone hinter dem Deich – Karte: Geobasisdaten der Niedersächsischen Vermessungs- und Katasterverwaltung, 2018 (Screenshot, Bildzitat)

Viele Naturschutzdefizite im Lande

Wegen mangelnder Umsetzung der FFH-Gebiete in nationales Recht hat die EU-Kommission Anfang des Jahres 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof; für alle 4.606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung seien keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festgelegt worden, so die EU Kommission. Die Qualität der Oberflächengewässer ist ebenfalls unzureichend, Zitat vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN): „Die aktuelle ökologische Zustandsbewertung der Oberflächengewässer in Niedersachsen zeigt, dass zum jetzigen Zeitpunkt leider nur sehr wenige Gewässer die Bewirtschaftungsziele der EG-Wasserrahmenrichtlinie seit deren Inkrafttreten im Jahre 2000 erreicht haben.“ Auch daran hat die industrialisierte Landwirtschaft mit ihrem Gülle- und Düngereintrag ihren beträchtlichen Anteil, der über die sog. „diffusen“ Einträge bis zur Überdüngung des Wattenmeeres führen. Bemerkenswerterweise bekommen nicht wenige landwirtschaftliche Betriebe üppige Direktzahlungen, vulgo Subventionen, auch aus dem Fonds „Agrarumwelt- und Klimaschutz“ für Zitat: „[…] zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität und Artenvielfalt (insbesondere Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie), sowie zur Erhaltung, Pflege und Gestaltung einer regionaltypischen Kulturlandschaft und eines traditionellen Landschaftsbildes.“ Was geschieht eigentlich konkret mit diesem Geld der Steuerzahler? Die Landschaft hinter den Deichen müsste eigentlich ganz anders aussehen, eigentlich, auch ohne ein neues Werbe-Etikett „Biosphärenreservat“.

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG)
§ 25 Biosphärenreservate

(1) Biosphärenreservate sind einheitlich zu schützende und zu entwickelnde Gebiete, die

1. großräumig und für bestimmte Landschaftstypen charakteristisch sind,
2. in wesentlichen Teilen ihres Gebiets die Voraussetzungen eines Naturschutzgebiets, im Übrigen überwiegend eines Landschaftsschutzgebiets erfüllen,
3. vornehmlich der Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung einer durch hergebrachte vielfältige Nutzung geprägten Landschaft und der darin historisch gewachsenen Arten- und Biotopvielfalt, einschließlich Wild- und früherer Kulturformen wirtschaftlich genutzter oder nutzbarer Tier- und Pflanzenarten, dienen und
4. beispielhaft der Entwicklung und Erprobung von die Naturgüter besonders schonenden Wirtschaftsweisen dienen.

(2) Biosphärenreservate dienen, soweit es der Schutzzweck erlaubt, auch der Forschung und der Beobachtung von Natur und Landschaft sowie der Bildung für nachhaltige Entwicklung.

(3) Biosphärenreservate sind unter Berücksichtigung der durch die Großräumigkeit und Besiedlung gebotenen Ausnahmen über Kernzonen, Pflegezonen und Entwicklungszonen zu entwickeln und wie Naturschutzgebiete oder Landschaftsschutzgebiete zu schützen.

(4) Biosphärenreservate können auch als Biosphärengebiete oder Biosphärenregionen bezeichnet werden.

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