Im Zusammenhang mit einer schwedischen Klage gegen massive Eingriffe in eine Waldlandschaft und der damit verbundenen Vernichtung von Habitaten berichteten wir am 16. September 2020 über den Schlussantrag der Generalanwältin der EU vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), Juliane Kokott (Deutschland), das bisher geltende Tötungs- und Verletzungsverbot nach der Vogelschutzrichtlinie für „Allerweltsarten“ aufzuweichen. Die EuGH-Richter folgten ihrem Antrag nicht. Die Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE) hat das Thema aufgegriffen. Den Text haben wir übernommen:
Die deutsche Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Juliane Kokott, hatte in den Schweden betreffenden Rechtssachen C-473/19 und C-474/19 faktisch für eine Absenkung des Artenschutzrechts plädiert. Die Verbote der Europäischen Vogelschutzrichtlinie sollten, so die Vorstellung der Juristin, nicht dem Schutz aller europäischen Vogelarten gelten, sondern im Falle nicht bezweckter – also gewissermaßen kollateraler – Schädigungen oder Störungen nur den Arten des Anhanges I dieser Richtlinie oder Arten deren Erhaltungszustand schlecht ist oder die gefährdet sind. Häufigeren Arten sollten die Verbote nicht zugutekommen. Eine Auslegung, die – sollte der EuGH sie bestätigen – für den Vogelschutz in allen Staaten der Union weitreichende Folgen hätte.
Eine solche Auslegung hat die Windenergiewirtschaft seit langem gefordert. Umso größer ist die im „Handelsblatt“ vom 04. März 2021 geäußerte Enttäuschung der Branche, denn der EuGH hat diese Auslegung in seinem Urteil vom 04. März 2021 zurückgewiesen. Es muss insofern weiterhin geprüft werden, welche Arten beispielsweise infolge von Bau oder Betrieb einer Straße oder eines Windparks Störungen oder einem Tötungsrisiko ausgesetzt sein können. Arten, nur weil sie nicht mehr oder noch nicht im Bestand bedroht sind, als nicht „planungsrelevant“ oder für rechtlich belanglos zu erklären, wie es sich Teile von Politik, Wirtschaft und Verwaltung wünschen oder praktizieren, erweisen sich nach diesem Urteil einmal mehr als unionsrechtswidrig.
Das Urteil dürfte auch Auswirkungen auf Bestrebungen der deutschen Umweltministerkonferenz haben, welche erst im Dezember 2020 im vorstehenden Sinne den Versuch unternommen hatte, die an Windenergieanlagen einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzten Vogelarten per Beschluss auf wenige bedrohte Arten zu begrenzen. Nach dem Urteil dürften auch der Plan des Bundeswirtschaftsministers infrage stehen, der seit 2019 die Überwindung des Individuenschutzes zugunsten eines populationsbezogenen Artenschutzes anstrebt. Ob das Urteil Politiker und -innen von Bündnis90/Die Grünen, die sich in Deutschland Regierungsverantwortung insbesondere auf dem Gebiet der Energie- und Umweltpolitik zumessen, von Abschwächungen des Artenschutzrechts zugunsten ihrer Vorstellungen abbringen wird, bleibt abzuwarten. Klicken Sie bitte hier, wenn Sie das Urteil lesen möchten.