Am Dollart-Deich bei Pogum im Rheiderland/LK Leer (europäisches Vogelschutzgebiet) vertrieb dieser Landwirt mit seinem Traktor am 14. Februar tausende Nonnengänse von ihrem Rastplatz, nicht zu ersten Mal. Er (oder der identische Traktor) wurde bereits seit dem letzten November dabei beobachtet, wie mit eingeschalteten Dachscheinwerfern die Gänse vor dem Deich im Nationalpark Wattenmeer von den Schlafplätzen vertrieben wurden. Andere Landwirte benutzen Quads, um die Gänse zu vertreiben, auch außerhalb der befahrbaren Wege.
Dem Wattenrat ist bekannt, dass Landwirte aus dem Rheiderland nach Absprachen das „Gänseproblem“ selbst in die Hand nehmen wollen. Aus der Rheiderland Zeitung vom 21. März 2016: »Nonnengänse rasieren die Grasnarbe ab« – Sie sind entschlossen, ihre Flächen von Gänsen freizuhalten: Diese Landwirte wollen ab 1. April Wildgänse vergrämen. Foto: Hoegen […] Ein anderer Landwirt wird so zitiert: „Aus naturschutzfachlicher Sicht sei eine Vergrämung der Gänse zu vertreten.“ Das Foto zeigt 22 Bauern aus dem Rheiderland hinter zwei Quads. Sind das bereits öffentliche Aufforderungen zu Straftaten nach § 111 Strafgesetzbuch? Der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Hauptvereins (Kreisverband Leer), Klaus Borde, äußerte sich am 13. August 2018 in der Rheiderland Zeitung so zu den Gänsen: „Ein »Komplettabschuss« hat jedoch aus Bordes Sicht wenig Aussicht auf Erfolg. Eine Vergrämung, bei der die große Masse der Gänse durch den Abschuss vereinzelter Artgenossen abgeschreckt würde, hält er für effektiver.“ Eine Vergrämung ohne Abschuss geschieht nun offensichtlich seit einigen Jahren, mit gasbetriebenen Knallapparaten, Traktoren und Quads. Die Jagd auf die vorher nicht jagdbaren Nonnengänse ist seit 2021 mit Auflagen auch außerhalb der europäischen Vogelschutzgebiete zugelassen, die Lobbyarbeit des Berufstandes hat sich gelohnt. Auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat sich für die Bejagung dieser Gänseart engagiert.
Ganz andere Töne kommen aus der Gänseforschung, hier Dr. Helmut Kruckenberg im Weser Kurier aus Bremen, 09. Juni 2018: „Gänseforscher Helmut Kruckenberg aus dem Kreis Verden kann über den Gänsestreit nur den Kopf schütteln: ´Die Gänse sind für die Bauern ein probates Mittel, um sich neue Geldquellen zu erschließen. Je niedriger der Milchpreis, desto lauter die Forderungen nach Entschädigung.´ Er kann nicht feststellen, dass die Wildgänse überhand nehmen. ´Nachdem einige Arten bereits ganz oder so gut wie ausgestorben waren, haben sich die Bestände erholt´, freut sich der Experte.“
Es lässt sich schlüssig vermuten, dass es sich bei den Störaktionen um gezielte Aktionen gegen die Gänse handelt – und nicht um gelegentliche landwirtschaftlich notwendige Treckerfahrten in der Dämmerung oder Dunkelheit im Vorland- oder Deichbereich. Mitarbeiter des Wattenrats haben bereits eine Dokumentation über die gezielten Gänsestörungen in Arbeit.
Das Rheiderland ist ein herausragendes europäisches Durchzugs- und Überwinterungsgebiet für arktische Gänse. Das mutwillige Beunruhigen dieser geschützten Vögel und die Schädigung von Arten in ihren natürlichen Lebensräume ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz verboten und kann bestraft werden, unter bestimmten Umständen auch als Straftat. Die Nonnengänse sind auf ungestörte Rastplätze angewiesen. Nicht nur bei Frost wirken sich die ständigen Störungen und das Aufscheuchen negativ auf die Fettreserven der Gänse aus, die sie für den Rückflug in ihre arktischen Brutgebiete als „Treibstoff“ benötigen. Je häufiger die Gänse gestört werden, umso mehr mehr müssen sie wieder auf Grünland fressen. Die so vertriebenen Gänse weichen bereits auf suboptimale Schlafplätze im Watt aus. Ganz „nebenbei“ werden bei abendlichen Störaktionen auch streng geschützte Große Brachvögel von ihren Schlafplätzen im Watt vertrieben.
Die Milchviehbetriebe im Rheiderland, die auf Grünfutter angewiesen sind, haben in den letzten Jahren ihre Laufstallkapazitäten und Milchviehbestände erheblich erhöht, was zu mehr Futterbedarf führte. Mehrfach im Jahr wird das Grünland dafür gemäht. Alte Grassorten wurden durch eintöniges Silagegras ersetzt („Silagegrassteppe“), dadurch verschwanden auch weitgehend die Wildblumen und die darauf angewiesenen Insekten. Die wiesenbrütenden Vögel von der Feldlerche über die Uferschnepfe bis zum Kiebitz sind durch die frühe Mahd in den intensiv genutzten Grünlandbereichen fast vollständig verschwunden. Die Intensivlandwirtschaft ist nicht „Partner des Naturschutzes“, wie uns die Politik und einige Naturschutzfunktionäre aktuell durch den „Niedersächsischen Weg“ – den gemeinsamen Absprachen von NABU, BUND und Landwirtschaft – weismachen wollen.
Für entstehende Fraßschäden werden Bauern pro Hektar und Jahr entschädigt, wenn sie am Vertragsnaturschutz teilnehmen. Es gibt sogar Geld, wenn keine Fraßschäden aufgetreten sind. Zusätzlich erhalten Bauern aus dem Rheiderland als „Direktzahlungsempfänger“ jährlich EU-Subventionen im mittleren fünfstelligen Bereich, auch für ökologische Erhaltungsmaßnahmen. Wer wie viel Geld bekommt, kann man nach Eingabe des Betriebs hier aufrufen. Bei Verstößen gegen Auflagen können die Subventionen gekürzt werden. Landwirte arbeiten stets mit naturgegebenen Nachteilen, eine Binsenwahrheit. Das können Witterungseinflüsse, aber auch grasfressende Gänse sein, die den Ertrag mindern. Nur gibt es für nachgewiesene Fraßschäden, wie erwähnt, Ausgleichszahlungen. Die Störaktionen wurden inzwischen beim Landkreis Leer und der Polizeiinspektion Leer zur Anzeige gebracht.
Nachtrag:
Das Medienecho auf diese Vorgänge im Rheiderland war bescheiden. Berichtet haben die Ostfriesen Zeitung aus Leer und identisch der Generalanzeiger aus Rhauderfehn. Die Lokalzeitung vom Ort des Geschehens, die Rheiderland Zeitung, hat gemauert, keine Zeilen zu den gezielten Gänsevertreibungen, dafür umso ausführlicher zu den früheren Ankündigungen dazu. Der NDR schwieg auch, der öffentlich-rechtliche Sender unterstützt seit einiger Zeit ebenfalls das Gänsebashing und die Bauern, Recherche und Journalismus gehen eigentlich anders. Das „Meisterstück“ der Desinformation lieferte die NDR-Reportage „Gänsekrieg in Ostfriesland“, gesendet im März 2013. Mitarbeiter des Wattenrates waren Mitwirkende und haben sich nur noch gewundert. NDR-Reportage: „Gänsekrieg in Ostfriesland“- mehr Ente als Gans, Schädlingsbekämpfer oder Jäger?
Bearbeitet und ergänzt am 24. Februar 2021