Gestern klingelte im Wattenrat-Büro das Telefon: Mehrere Kitesurfer übten in der Leybucht westlich der Stadt Norden bei starkem Wind ihren Sport aus, die futtersuchenden arktischen Rastgänse auf den angrenzenden Salzwiesen würden dadurch ständig kräftezehrend umhergescheucht. Gerade jetzt, in der kalten Jahreszeit, sind die Gänse auf störungsfreie Areale angewiesen, um sich ihre Fettreserven für den langen Rückflug in die arktischen Brutgebiete anzufressen.
Kitesurfer dürfen nun ganzjährig auch im gesamten Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (EU-Vogelschutzgebiet) ihren nassen Sport ausüben, weil ihre Kunststoffbretter mit den großem Zugsegeln vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Beschluss vom Dezember 2020 nicht als „Drachen“ (engl. Kite), sondern als „Wasserfahrzeuge“, wie andere Boote auch, eingestuft wurden. Der Wattenrat berichtete hier. Der OVG-Beschluss hat sich in Windeseile bei den Kitern herumgesprochen; nun werden auch die letzten ruhigen Wasserflächen, sogar in den strengsten Schutzzonen des Nationalparks, heimgesucht. Der Verein „Wassersport Wattenmeer e.V.“ wies bereits vorausschauend und warnend – aber wohl auch wenig „nachhaltig“ – auf dieses hin:
„Dieser Beschluss sollte uns Wassersportler jetzt nicht dazu bringen, an jeder beliebigen Stelle unseren Sport auszuüben. Bitte nutzt weiterhin die bekannten und bisher ausgeschriebenen Kitesurfzonen und haltet Euch an die Vorgaben, die uns die Natur und der Naturschutz uns bietet. Wir möchten auf keinen Fall, erneut eine Angriffsfläche für erneute Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse bieten, die unserem Sport entgegenstehen.“
Die Tage dieser rasenden Vogelscheuchen auf dem Wasser sind womöglich tatsächlich gezählt, zumal schon die Verwendung von einfachen Kinderdrachen aus Naturschutzgründen in allen drei Wattenmeernationalparken verboten ist. Die Rücksichtslosigkeit nicht weniger Kitesurfer bietet in der Tat „Angriffsflächen“ und wirkt bereits als Beschleuniger: Die Umweltminister der Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg haben sich inzwischen mit einem gemeinsamen Antrag an den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gewandt, um die Regelungslücke für Kitesurfer zu schließen und an die Nationalparkgesetze der Länder anzupassen, dann wäre endlich Schluss mit lustig.
Vögel aus ihren Schutzgebieten zu verscheuchen kümmert die ignoranten Sportsfreunde unter den Kitern wenig; sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass ihnen das Brett unter den Füßen wichtiger ist als der Artenschutz, von dem sie offensichtlich nichts wissen oder wissen wollen. In den Kiter-Foren geben sie sich oft als „naturverbunden“ aus, nur weil sie ihren Sport in der Natur ausüben. Wenn man keine Ahnung hat, sollte man eben einfach mal „die Fresse halten“, wie es der Kabarettist Dieter Nuhr schon mal an anderen Beispielen auf den Punkt gebracht hat.