Am 19. Januar 2021 war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen: „Hessen und die Windkraft -Ideologie im Amtsblatt: Die Energieerzeugung habe Vorrang vor Artenschutz, steht in einer hessischen Vorschrift. Sie entfalte ´gegenüber Gerichten keine Bindungswirkung´, stellt nun der Verwaltungsgerichtshof fest. Eine Schlappe nicht nur für zwei Grünen-Minister. […]“
Anfang des Jahres 2021 wurde in Hessen eine Verwaltungsvorschrift erlassen, die vom bündnisgrünen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und der ebenfalls grünen Umweltministerin Priska Hinz gemeinsam für das weitere Verwaltungshandeln in Kraft gesetzt wurde. Die Energieerzeugung habe demnach Vorrang vor dem Artenschutz. Grundsätzlich, so der Erlass, sei die Nutzung der Windenergie stärker zu gewichten als der Schutz von Vögeln und Fledermäusen, die an den Windkraftanlagen zu Schaden kommen können. Dann war da noch der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Dieser stellte fest, dass am Beispiel von geplanten Windkraftanlagen in einer Entfernung von 1.300 Metern von einem Rotmilanhorst dieser Erlass keine Bindungswirkung vor Gerichten entfalten könne (Aktenzeichen: 9 B2223/20). Der Stand der Wissenschaft geht von einem Mindestabstand von 1500 Metern zwischen Rotmilanhorst und Windenergieanlagen aus. Damit haben sich prominente Grüne wieder einmal als Verhinderer des Artenschutzes profiliert und gleichzeitig auch blamiert. Und es kommt noch besser: Die Frankfurter Rundschau berichtete am 21. Januar 2021 darüber:
„Verwaltungsgerichtshof Hessen gibt der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald im Eilverfahren Recht.“ Der letzte Satz im Artikel „Die Ministerien hatten den Erlass gemeinsam mit Umweltorganisationen wie dem BUND, dem Nabu und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz erarbeitet“ müsste den Vertretern dieser Naturschutzverbände die Schamesröte ins Gesicht steigen lassen und deren Mitglieder animieren, diesen organisierten Artenschutzverhinderern sofort den Rücken zu kehren. „Inhaltlich und moralisch entkernt“ seien die großen Naturschutzverbände, stellten schon 2018 Windkraftkritiker und bayerische Naturschützer in einem Offenen Brief an den damals scheidenden BUND-Bundesvorsitzenden Prof. Hubert Weiger fest, hier nachzulesen. Wie wahr.
Die Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE) hat sich des Falls Hessen ebenfalls angenommen, erweitert und dies dazu veröffentlicht:
Verwaltungsgerichtshof zieht hessische Verwaltungsvorschrift in Zweifel – Januar 2021
Die Nutzung der Windenergie sei grundsätzlich stärker zu gewichten als der Schutz von Vögeln und Fledermäusen, die an den Anlagen zu Schaden kommen können. Diese Vorrangstellung hatte die hessische Landesregierung in einem Erlass festgelegt. Die zu Beginn des Jahres in Kraft getretene Verwaltungsvorschrift geht auf Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und seine für die Umwelt zuständige Kabinettskollegin Priska Hinz zurück. Beide gehören der Partei Bündnis90/Die Grünen an. Von einer solchen Vorrangstellung für die Windenergiewirtschaft träumen vor allem Bündnisgrüne. Doch dieser Traum ist bis auf weiteres ausgeträumt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof stellte nämlich fest, dass diese Verwaltungsvorschrift gegenüber Gerichten keine Bindungswirkung habe. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte: „Hessen und die Windkraft – Ideologie im Amtsblatt“.
Per Erlass hatte die Landesregierung auch den Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Rotmilannestern von 1.500 auf 1.000 m reduzieren wollen – und dies mit einer so fragwürdigen Begründung, dass die Richter den Urhebern der Vorschrift die Beachtung wissenschaftlicher Standards absprechen. Beobachter wundert die Vorgehensweise der Landesregierung nicht. An wissenschaftlicher Expertise auf dem Gebiet des Artenschutzes sei ihr, so sagen Kritiker, nicht gelegen. Aus diesem Grund arbeite das hessische Umweltministerium an einer „Neuorganisation“ der renommierten Staatlichen Vogelschutzwarte in Frankfurt. Von den üblichen „anerkannten“ Naturschutzvereinigungen ist keine Kritik zu vernehmen. Dort ist man vermutlich „eingebunden“. Statt die Staatlichen Vogelschutzwarten an Entscheidungen zu beteiligen, fragen Ministerien jetzt lieber den NABU, so berichten Insider. Überhaupt, nachdem die Verbände Jahrzehnte für den Aufbau einer professionellen Naturschutzverwaltung gestritten haben, möchten sie sich nun selbst an diese Stelle setzen als die für Politik und Wirtschaft bequemeren Akteure.
Heute geht es in der Auseinandersetzung immer weniger um „Klimaschutz versus Artenschutz“, sondern Windenergie, Klimaschutz und Artenschutz werden zunehmend gleichgesetzt. Ein jüngstes Beispiel ist die Aussage von Prof. Dr. Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saarbrücken im Magazin Plusminus des Saarländischen Rundfunks vom 07.10.2020: „Klimaschutz ist der beste Artenschutz. Um jeden einzelnen Rotmilan zu kämpfen, ist etwa so, als wenn Sie auf der sinkenden Titanic sich um die Aquarienfische sorgen.“
Diese Gleichsetzung etabliert sich als ein neues gesellschaftliches Narrativ unter maßgeblicher Beteiligung von Umweltvereinigungen. So finden die alten Vereinnahmungsbestrebungen wie „Landwirtschaft ist angewandter Naturschutz“, „Beton ist Leben“, „Ohne Jagd kein Wild“ und „Pelz ist Artenschutz“ eine zeitgemäße Fortsetzung, allerdings ohne breiten Widerspruch, sondern maßgeblich von den Umweltvereinigungen vorangetrieben. Dabei deckt die Windenergie in Deutschland einer Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums zufolge aktuell etwa drei Prozent des Primärenergieverbrauchs. Selbst wenn man die Anzahl der heute 30.000 Anlagen verdoppeln würde, bliebe ihr Anteil an einer bedarfsgerechten Energieversorgung und der Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes überschaubar.