Und wieder einmal soll die niedersächsische Jagdzeitenverordnung geändert werden. Während in Niedersachsen das „Volksbegehren Artenvielfalt“ läuft, wird parallel dazu an mehr „Feuer frei“ auf Wasservogelarten gearbeitet, auch auf eine Gänseart, die eigentlich nach der europäischen Vogelschutzrichtlinie besonders geschützt ist und bisher nicht dem Jagdrecht unterlag. Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter der Leitung von Ministerin und Landwirtin Barbara Otte-Kinast (CDU) legte am 27. Juli 2020 den „Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Niedersächsischen Jagdgesetzes (DVO-NjagdG)“ vor (.pdf hier)
Zitate daraus: „Der Entwurf enthält insbesondere Anpassungen der Jagdzeiten beim Wasserfederwild, abgeleitet aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen, sowie beim Schalenwild, die den sich verändernden Habitatbedingungen Rechnung tragen. […] Zusammenfassend hat die Jagd als Störfaktor nur einen untergeordneten Einfluss [….] Für die jagdbaren Entenarten (Stock-, Pfeif- und Krickente), die einen guten Erhaltungszustand aufweisen und auch in den Vogelschutzgebieten nicht auf den Acker- und Wiesenflächen bejagt werden, sondern im Rahmen von Treibjagden oder als Entenstrich werden die Jagdzeiten wieder erweitert. […] Die Regelungen der Verordnung wirken sich nicht ungünstig auf die Umwelt, den ländlichen Raum und die Landesentwicklung aus. Vielmehr handelt es sich bei der Regelung der Jagdzeiten um einen tragfähigen Kompromiss der konträren Vorstellungen der Vertreterinnen und Vertreter der Landwirtschaft, des Naturschutzes und der Jägerschaft.“
Bauern erhalten bereits Entschädigungen für Fraßschäden
Vor allem werden die Fraßschäden durch arktische Nonnengänse, Bläss- und Graugänse als Begründung der Ausweitung der Jagd herangezogen, obwohl sie zu den „wertbestimmenden Arten“ in den Vogelschutzgebieten gehören, von der „Bonner Konvention“ als „wandernde Tierarten“ (Zugvögel) geschützt sind und betroffene Landwirte Entschädigungen pro Jahr und Hektar erhalten, wenn sie am Vertragsnaturschutz teilnehmen. Als EU-Direktzahlungsempfänger erhalten Landwirte auch „Greening“-Mittel (ELER) „zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität und Artenvielfalt (insbesondere Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie), sowie zur Erhaltung, Pflege und Gestaltung einer regionaltypischen Kulturlandschaft und eines traditionellen Landschaftsbildes“.
Zitat aus dem Verordnungsentwurf: „In Niedersachsen sind die bejagbaren nordischen Gänse (Graugans, Blässgans, Saatgans) in vierzehn Vogelschutzgebieten wertbestimmende Arten. Von den rd. 120.000 ha Vogelschutzgebieten sind derzeit rd. 65.000 ha in der Förderkulisse ´Nordische Gastvögel. Landwirte, die bereit sind, nordische Gänsearten auf ihren Flächen ungestört äsen zu lassen, erhalten vom Land Vertragsnaturschutzmittel.“
Nun auch Jagd auf Nonnengänse
Der Entwurf sieht auch vor, dass die bisher ganzjährig geschonte Europäische Blässgans (Anser albifrons) nun außerhalb von Vogelschutzgebieten bejagt werden darf. Eine Verwechselung mit der streng geschützten Zwerggans (Anser erythropus) ist ebenfalls möglich. Die ebenfalls besonders geschützte Weißwangengans (=Nonnengans, Branta leucopsis), die gar nicht vom Jagdrecht erfasst ist, soll in die Bejagung mit aufgenommen werden. Ohnehin ist das richtige Ansprechen der „grauen“ Gänse der Gattung Anser bei wechselnden Lichtverhältnissen und in den unterschiedlichen Alterskleidern nicht leicht und eigentlich Sache von ornithologischen Spezialisten, nicht aber von Hobby-Gänsejägern.
Zitat aus dem Verordnungsentwurf: „Die Bestände der Nonnengänse sind in den vergangenen Jahren stark angewachsen und erreichen in den Brutregionen die Obergrenze der Habitatkapazität. Rd. 150 Brutpaare sind zudem in Niedersachsen nachgewiesen. Aufgrund der nachweisbar hohen Schäden und der Brutpaare in Niedersachsen soll nun eine Ausnahmeregelung zur Bejagung der Nonnengänse auf Grundlage des Artikel 9 der Vogelschutzrichtlinie zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen sowie einer vernünftigen Nutzung unter streng überwachten Bedingungen in geringen Mengen ermöglicht werden.“
Es wird angenommen, dass die „150 Brutpaare“ der Nonnengans in Niedersachen ihren Ursprung in angeschossenen, nicht mehr flugfähigen Vögeln haben. Die verletzten Gänse brüteten dann an der Ems oder anderswo, weil sie nicht mehr in der Lage waren, in die arktischen Brutgebiete zurückzukehren. Die Jagdzeit auf Kanadagänse soll um zwei Wochen, also noch während der Brutzeit (!) vorgezogen werden.
Die Bejagung wird die Gänse nicht nur beunruhigen, sie werden dann versuchen, auch auf andere, ruhigere Flächen auszuweichen und dann wiederum andere Bauern auf den Plan rufen, die Entschädigungen fordern werden.
Unzureichende Jagdaufsicht
Wie vorgeblich „streng“ die Jagdaufsicht bereits bei den zahlreichen dokumentierten Jagdverstößen durch die „Gänsewacht“ in den vergangenen Jahren allein in einem Schutzgebiete an der Ems ausgeübt wurde, kann man auf den Wattenrat-Seiten nachlesen. Die Landesjägerschaft Niedersachsen mit ihrem Präsidenten Helmut Dammann-Tamke (Landwirt, CDU, MdL) ist „anerkannter Naturschutzverband“ in Niedersachsen, genau wir der BUND oder der NABU. Diese „Anerkennung“ der Jägerschaft ist eine rein politische Entscheidung gewesen, mit „Naturschutz“ hat das nichts mehr zu tun.
Die Grünen haben die Nonnengansbejagung bereits 2016 eingetütet
Beteiligt an der Ausweitung der Jagd auf Nonnengänse war bereits 2016 die „grüne“ Umwelt(!)-Staatssekretärin Almut Kottwitz im niedersächsischen Umweltministerium der damaligen rot-grünen Koalition. Sie war es, die zusammen mit Landwirtschaftsvertretern nach Brüssel gefahren war, um über die Möglichkeit der Bejagung der besonders geschützten Nonnengans im niedersächsischen Küstengebiet zu sprechen. In einer Pressemitteilung des Niedersächsischen Umweltministeriums vom 5. Februar 2016 hieß es dazu, man wolle für den gesamten Küstenbereich einen „Managementplan“ erarbeiten.
Vielfältige Störungen von Wat- und Wasservögeln
Auch ohne die Jagd unterliegen äsende oder rastende Gänse (und Enten) z.T. erheblichen Störungen in ihren Schutzgebieten: Hubschrauber, Flugzeuge, Spaziergänger mit oder ohne Hund, Feuerwerke oder landwirtschaftliche Aktivitäten beunruhigen die Gänse häufig und lassen sie kräftezehrend auffliegen, Kräfte, die sie für den Rückflug in ihre arktischen Brutgebiete benötigen. Die Bejagung erhöht die Vorsicht bei den Gänsen und lässt sie bei Annäherung viel früher auffliegen, die Fluchtdistanzen werden größer. Jeder Schussknall beunruhigt nicht nur Gänse, sondern vertreibt zudem auch empfindlichere Arten wie Watvögel vom Brachvogel bis zur Uferschnepfe von ihren Rastplätzen. Die Bejagung kann also nur eine Scheinlösung sein, um die stets auf hohem Niveau lamentierenden Bauern ruhigzustellen.
Differenzierter wird das Gänsemanagement hier gesehen: .pdf „Untersuchung zum Einfluss der Jagd als Störfaktor für Gänse, Abschlussbericht 2015-2019, Februar 2020 – Gefördert durch Jagdabgabemittel des Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“. Darin wurden auch Daten von Wasservogeljägern verwendet.
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Literaturhinweis: Kruckenberg & Mooij (2007): Warum Wissenschaft und Vogelschutz die Gänsejagd in Deutschland ablehnen Gaensejagd_Kruckenberg_Mooij_2007
Wattenrat-Link: NDR-Reportage: „Gänsekrieg in Ostfriesland“- mehr Ente als Gans
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Nachtrag und Korrektur: „Besonders geschützt oder „streng geschützt“? In der ersten Fassung dieses Beitrages wurde die Nonnen- oder Weißwangengans als „streng geschützte“ Vogelart bezeichnet. Das ist nicht richtig und musste korrigiert werden. Alle europäischen Vögel sind „besonders geschützt“, einige Arten können aber dem Jagdrecht unterliegen. Weiteres ergibt sich aus dem Bundesnaturschutzgesetz
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Bundesnaturschutzgesetz § 7 (2) Satz 14:
4. streng geschützte Arten besonders geschützte Arten, die a) in Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97,b) in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG,c) in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 2
Der Anhang A der Verordnung EG Nr. 338/97 hat aber nichts mit den Anhängen der Vogelschutzrichtline zu tun, da geht es um den Handel mit bedrohten Arten („Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels“). Anhang IV der FFH-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG) -nicht Vogelschutzrichtlinie- behandelt ein strenges Schutzsystem für „streng zu schützende Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse“.
Da lag die Verwechselung (Begriff „Anhang“) mit der Vogelschutzrichtlinie vor. Der Begriff „streng geschützte Arten“ kommt ebenfalls in der Bundesartenschutzverordnung vor. Die darin in Anlage 1 Spalte 3 mit einem Kreuz (+) bezeichneten Tier- und Pflanzenarten werden darin unter strengen Schutz gestellt. Bestimmte Vogelarten werden darin aufgeführt, aber keine Gänsearten, auch nicht die Weißwangen- oder Nonnengans, für die wiederum in der Anlage 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie besondere Vorkehrung getroffen werden müssen.
Das steht in Artikel 3 der europäischen Vogelschutzrichtlinie:
Artikel 3 (1) Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der in Artikel 2 genannten Erfordernisse die erforderlichen Maßnahmen, um für alle unter Artikel 1 fallenden Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten oder wieder herzustellen.(2) Zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensstätten und Lebensräume gehören insbesondere folgende Maßnahmen:
a) Einrichtung von Schutzgebieten;
b) Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in und außerhalb von Schutzgebieten;
c) Wiederherstellung zerstörter Lebensstätten;
d) Neuschaffung von Lebensstätten
und Art. 4
Artikel 4 (1): Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.
Im Anhang 1 der Vogelschutzrichtlinie ist u.a. die Nonnengans aufgelistet. Die nun beabsichtigte Jagd auf die Nonnengans würde ihre Lebensräume entwerten.