Die Ostfriesen Zeitung aus Leer stellte am 03. Juni 2020 in einem umfangreichen Bericht den Fischereibetrieb Jan Looden GmbH in Greetsiel vor, dessen Geschäftsmodell die Vermarktung von „untermaßigen“ Nordseegarnelen (oder Krabben) ist: „Von Greetsiel aus in die Aquarien der Welt“. Dieser Betrieb hat eine Marktlücke entdeckt: Die zu kleinen, für den menschlichen Verzehr nicht geeigneten Nordseegarnelen (Crangon crangon) werden in einer Trocknungsanlage („Darre“) zunächst getrocknet und dann zu Tierfutter verarbeitet, mit möglichen 20 Tonnen Durchsatz – pro Tag. Ein Großteil der Ware wird laut Zeitungsbericht an den Zierfisch-Futterhersteller „Tetra“ geliefert, der weltweit am Markt ist („Wir verstehen und respektieren die Umwelt, in der wir leben. „). Beliefert wird der Betrieb Looden mit Krabben von Fischereibetrieben der südlichen Nordseeküste von Belgien bis Dänemark. Was dem Redakteur der Ostfriesen Zeitung, Axel Pries, offensichtlich in seiner Recherche entgangen ist:
In Deutschland werden die marktfähigen und die zu kleinen nicht marktfähigen Krabben aus den Wattenmeer-Nationalparken entnommen, die auch „Weltnaturerbe“ sind. Krabben sind Teil der Nahrungskette, sie werden von Fischen wie dem Kabeljau oder dem Wittling gefressen. Das natürliche Artenspektrum im Watt und in der Nordsee hat sich allein durch die Beifangmengen bereits erheblich zum Nachteil von Plattfischen wie der Scholle verändert. Naturschutz findet unter Wasser nicht statt, in Niedersachsen gibt es keine fischereifreien Referenzzonen im Nationalpark Wattenmeer, sie sind politisch nicht gewollt.
Optimierte Netze für schonenderen Fang
Seit Jahren bemüht sich das Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg mit dem Projekt „CRANNET – Optimierte Netz-Steerte für eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Garnelenfischerei in der Nordsee“ darum, dass Krabbenfischer fangverträglichere Maschenweiten für ihre Fangnetze verwenden, um den enormen Beifang von zu kleinen Krabben, Fischen, Krebsen oder Seesternen zu minimieren.
Krabbenkutter in den Sielorten sind Teil des touristischen Vermarktungskonzepts. Touristen, die die malerischen Krabbenkutter als idyllische Ortskulisse wahrnehmen, ahnen nichts davon, was die Netze dieser Kutter unter Wasser anrichten können. Die Baumkurren, vom Kutter gezogen, schleifen über den Wattenboden und planieren ihn. Dabei werden Fische, Krebse, Seesterne und eben auch Krabben aller Größen mit in die Netze gescheucht. Was der Fischer nicht verwenden kann, geht als nutzloser Beifang – mit bis zur neunfachen Menge des verwertbaren Fanges (laut WWF-Studie aus 2009) – verletzt oder tot über Bord. Mit optimierten Fangnetzen ließen sich die enorme Beifangmengen deutlich reduzieren, würde aber auch die Fangmenge der marktfähigen Krabben, die größer als 50 mm sind, zunächst leicht minimieren, aber die Bestände und den Krabbennachwuchs schonen und so letzlich zu mehr Krabben führen. Nur sind die schonenderen Fangmethoden nach Jahren der Forschungstätigkeit immer noch Zukunftsmusik. Und so wird eben weitergefischt und der Krabbennachwuchs aus Schutzgebieten an Zierfische verfüttert. Kritiker nennen diese nicht nachhaltige Wirtschaftsweise „Raubbau im Wattenmeer“, allein dem erwirtschafteten Profit verpflichtet.
§24 Bundesnaturschutzgesetz
Nationalparke, Nationale Naturmonumente
[…] 2) Nationalparke haben zum Ziel, in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets den möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten. Soweit es der Schutzzweck erlaubt, sollen Nationalparke auch der wissenschaftlichen Umweltbeobachtung, der naturkundlichen Bildung und dem Naturerlebnis der Bevölkerung dienen. […]
MSC-Zertifizierung
Wundersamer Weise erhielt die Krabbenfischerei sogar das „Gütesiegel für Nachhaltigkeit“ durch das „Marine Stewardship Council“ (MSC-Zertifizierung), das sich aus Lizenzgebühren finanziert. Nach MSC-Angaben werden in den Niederlanden, Deutschland und Dänemark jährlich ca. 30.000 Tonnen Krabben angelandet. Das MSC-Gütesiegel ist sehr umstritten, siehe diese Dokumentation des WDR aus 2018: Das Geschäft mit dem Fischsiegel – Die dunkle Seite des MSC. Die Umweltverbände WWF, Schutzstation Wattenmeer und NABU unterstützen jedoch die MSC-Zertifizierung der Krabbenfischerei, obwohl sie dies voher jahrelang abgelehnt hatten. Zurück zur Ostfriesen Zeitung vom 03. Juni 2020: Bemerkenswert ist wieder einmal, wie auf lokaler Ebene mit einem wohlwollenden Zeitungsbeitrag alle bekannten Probleme im Zusammenhang mit der Krabbenfischerei recherchelos unter den Redaktiontisch gefallen sind – und dem Garnelen verarbeitenden Betrieb in Greetsiel ein Quentchen Weltglanz verliehen wird.
Aus:
Nicht nur Krabben im Netz – Der Beifang in der Baumkurrenfischerei auf die Nordseegarnele (Crangon crangon), Herausgeber: WWF Deutschland, Frankfurt am Main, Stand: Februar 2009, Autor: Sönke Fischer
S. 9:
3.1 Beifang von untermaßigen Krabben
Die meisten der gefangenen Krabben sind kleiner als die vermarktbare Mindestlänge von 45 Millimeter. Sie werden deshalb in mehreren Schritten an Bord aus-gesiebt und teils lebend, teils tot zurückgeworfen. Im Jahresdurchschnitt kann der Anteil des zurückgeworfenen Krabbenfanges 64 Prozent ausmachen, in den Monaten Juli und August in der deutschen Krabbenfischerei sogar über 90 Prozent des Fanggewichtes […]. Für die europäischen Speisekrabben-Anlandungen von 38.000 Tonnen im Jahr 2005 wurden zunächst etwa 172.000 Tonnen Krabben gefangen, von denen nach einer ersten Sortierung an Bord rund 114.000 Tonnen zurückgeworfen wurden […]. In Individuenzahlen ausgedrückt kommen so auf jede Tonne an Speisekrabben rund 2,7 Millionen Krabben, die wieder über Bord gehen […]. Hochgerechnet auf die Anlandungen im Jahr 2005 ergibt sich ein Rückwurf von rund 100 Milliarden Krabben. Tatsächlich sollen etwa 80 Prozent der nach der ersten Siebung über Bord gegebenen untermaßigen Krabben den Rückwurf überleben […]. Dies wurde als Beleg dafür angeführt, dass der Jungkrabbenbeifang nur geringe Auswirkungen auf die Krabbenpopulation habe […]. Hinzu kommt allerdings, dass nach dem Kochen der Krabben an Bord des Kutters weitere 30 Prozent des Fanges verworfen werden. Und schließlich sortiert die letzte Siebung an Land noch einmal 8 Prozent der verbliebenen Speisekrabben als „Quetschkrabben“ aus […].