Windenergie: `Naturschutzinitiative´ klagt erfolgreich: Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot rechtswidrig

Von Windkraftanlage zur Brutzeit erschlagener Mäusebussard, Windpark Utgast/LK Wittmund/NDS, unmittelbar an einem EU-Vogelschutzgebiet, Foto (C): Manfred Knake

Die Enercon-Krise und der Ausbaurückgang der Windenergie führten zu massiver wirtschaftlicher und politischer Lobbyarbeit. Die Aufweichung des gesetzlichen Artenschutzes steht im Raum. Vorgeschobenes Argument: „Klimaschutz“. Politischer Handlanger und Motor für einen geringeren Artenschutz im Sinne der Windenergiewirtschaft ist u.a. der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD). Nur wird der Artenschutz  nicht so einfach wegzuwischen sein: Das Regierungspräsidium Darmstadt erteilte für drei Windkraftanlagen eine Ausnahmeregelungen vom Tötungsverbot nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz in Verbindung mit  § 45 BNatSchG. Die Genehmigung scheiterte vorerst an einer Klage der Naturschutzinitiative e.V.“ (NI) gegen das Land Hessen vor dem Verwaltungsgericht Gießen.

Die Naturschutzinitiative wurde vom ehemaligen BUND-Landesvorsitzenden Rheinland-Pfalz, Harry Neumann, gegründet, der dem BUND wegen dessen engen Verflechtungen mit der Windenergiewirtschaft den Rücken kehrte und die Naturschutzinitiative gründete. NABU, BUND, WWF und DUH hatten unlängst den beschleunigten Ausbau der Windenergie und die verstärkte Nutzung von Ausnahmen nach dem Bundesnaturschutzgesetz gefordert, siehe auch Wattenrat vom 02. Febr. 2020: Umweltverbände: misslungener Spagat zwischen Windkraftausbau und Artenschutz Zur Pressemitteilung der Naturschutzinitiative e.V. vom 10. Februar 2020 geht es hier. Das erstrittene Urteil des Verwaltungerichtes Gießen vom 07. Februar 2020 finden Sie im Wortlaut hier: Windenergie_Urteil VG Gießen

Die „Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen“ (EGE) hat die Causa treffend kommentiert. Mit freundlicher Genehmigung der Eulenfreunde übernehmen wir deren Text vom Februar 2020:

Das Verwaltungsgericht Gießen ist am 22.01.2020 zu einem bemerkenswerten Urteil gelangt: Das Land Hessen habe eine Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot für den Betrieb von drei Windenergieanlagen zu Unrecht erteilt. Geklagt hatte die Naturschutzinitiative e. V. Das Gericht sah eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für im Anlagenumfeld brütende Wespen- und Mäusebussarde als gegeben an. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Tötungsverbot lägen indessen nicht vor. Die Beklagte hatte die Ausnahme auf § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG gestützt, d. h. mit zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses begründet. Das Gericht hält diesen Ausnahmegrund nicht für vereinbar mit Art. 9 Abs. 1 der EG-Vogelschutzrichtlinie und beruft sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 26.01.2012 – C-192/11 gegen die Republik Polen. Auch eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Nr. 4 BNatSchG käme nicht in Betracht. Mit einzelnen Windenergieanlagen werde die Situation der Umwelt nicht unmittelbar und konkret verbessert, so dass die Zulassung von Windenergieanlagen auch nicht unter den Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 Nr. 4 BNatSchG falle.
Für das Gericht sei auch nicht erkennbar, dass ohne Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme die Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie nicht mehr gewährleistet werden könne. Das beklagte Land habe dieses Argument zwar angeführt, ohne jedoch nachvollziehbare Ausführungen hierzu zu machen. In Anbetracht des Umstandes, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit nahezu 20 Jahren eine Stromüberproduktion erfolge, sei eine solche Annahme auch mit Blick auf die absehbare Zukunft nicht zu befürchten. Deutschland habe im Jahr 2019 ca. 37 Milliarden Kilowattstunden Strom mehr exportiert, als es importierte. Es sei nicht ernsthaft zu befürchten, dass die Einhaltung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie zu einem Energieversorgungsengpass in der Bundesrepublik Deutschland führe, so das Gericht. Denn die Einhaltung der Richtlinie bedeute lediglich, dass dort keine Windenergieanlagen errichtet werden dürften, wo dies zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos führen würde. Auch wenn dies die Standortwahl einschränke, bliebe die Gewinnung erneuerbarer Energien durch Windenenergieanlagen weiterhin möglich. Klimapolitische Zielsetzungen eines Mitgliedstaates müssten außer Betracht bleiben, soweit sie mit geltenden Rechtsvorschriften nicht im Einklang stünden.
In der Windenergiewirtschaft ist das Urteil mit Bestürzung aufgenommen worden. Man kann annehmen, dass das Land Hessen gegen das Urteil Berufung einlegen wird. Wie die Sache ausgeht, ist ungewiss. Vorhersehbar ist indessen zweierlei. Politik und Verwaltung werden noch mehr als bisher alles daransetzen, die Liste der an Windenergieanlagen kollisionsgefährdeten Vogelarten rigoros zusammenzustreichen und die Bedingungen für das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos so zu definieren, dass sie möglichst selten erfüllt sind. Zudem ist mit einem deutschen Vorstoß auf Gemeinschaftsebene zu rechnen, die Europäische Union solle das Gemeinschaftsrecht deutschen Vorstellungen anpassen. Die Deutschen könnten dafür ihre Ratspräsidentschaft nutzen, die sie im Juli 2020 antreten. Das Urteil ist auch für die deutschen Umweltvereinigungen unbequem, haben sie doch erst kürzlich ihre Zustimmung für den Weg in artenschutzrechtliche Ausnahmen für einen forcierten Ausbau der Windenergiewirtschaft erklärt.

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