Windenergie: Niedersachsens Abstands-Pinoccios

Foto: Pixabay (lizenzfrei)

Es ging alles ganz schnell: Erst kam der „Windgipfel“ am 05. September 2019 in Berlin mit Politikern und Vertretern der Windenergiewirtschaft. Daraus wurde das anschließend veröffentlichte Papier aus dem Bundeswirtschaftsministerium „Stärkung des Ausbaus der Windenergie an Land“.  Als Beschleuniger für die angekündigten gesetzlichen Grausamkeiten wirkte auch die Entlassungswelle beim Windanlagenhersteller Enercon aus Aurich. Nun soll schon im Februar 2020 u.a. das Bundesnaturschutzgesetz „weiterentwickelt“, sprich im Sinne der Branche eingeschränkt werden.

Leben mit Lärm: Roggenstede im LK Aurich/NDS- Foto: privat

Vorgesehen ist auch die „Verkürzung“ und damit Erschwerung der Klagewege. Die Abstandregelung zur Wohnbebauung „ab 5 Häusern“ soll einheitlich auf 1000 Meter festgeschrieben werden, damit wird eine höhere Akzeptanz für Windkraftanlagen erwartet. Die politischen Einflüsterer sind bekannt: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Umweltminister Olaf Lies (SPD), davor Wirtschaftsminister des Bundeslandes.

Abstands-Pinocchios

Sowohl Lies und auch Weil versuchten in der Vergangenheit immer wieder, die von Windkraftanlagen verursachten Lärm- und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch vorgeblich eigene Erfahrungen zu entkräften, immer mit dem Hinweis, man selbst wohne ja an Windkraftanlagen und fühle sich nicht gestört. Olaf Lies behauptete in der vom NDR1-Hörfunk am 19. Dez. 2019 ausgestrahlten Diskussionssendung „Der Windkraft geht die Puste aus“ wörtlich: „Mein Windpark ist auch 900 Meter entfernt“ (NDR 1 Niedersachsen, Autorin Anke Genius, Minute 22:48, mit sechs Hardcore-Windkraftbefürwortern gegen den betroffenen Anlieger  Sven Reschke-Luiken aus Arle und einem bemerkenswert windkraftkritischen Publikum).

Im Artikel der Nordwest Zeitung (NWZ) aus Oldenburg vom 21. Dezember 2019 heißt es: „Lies beharrt auf Windkraft“. Umweltminister Lies führt darin aus: „Die nächste Anlage sei 850 Meter von seinem Wohnhaus entfernt – in etwa so wie bei den betroffenen Anwohnern, die über ´überlagerte Schwingungen´ sowie ´ständige Vibrationen´ klagen. Ihm geht es nach eigenen Worten mit der Windkraft ´richtig gut´.“ Bemerkenswert bei Lies´ unterschiedlichen Entfernungsangaben ist, dass er den Abstand zu seinem Wohnhaus stets unterhalb der magischen Grenze von 1.000 Metern angibt. Auch diese Entfernung wird von vielen Kritikern als viel zu gering angesehen, weil die neue Generation der Windkraftanlagen über 200 Meter hoch ist und der Schall daher auch viel weiter trägt. Dazu kommen die Biegungsschwingungen der Masten, die den Schall über den Boden in die Häuser transportieren.

google-earth bringt es an den Tag

Ausweislich der Linealmessung mit google-earth steht das Wohnhaus von Olaf Lies in Sande im Landkreis Friesland jedoch 1.010 Meter von der nächstgelegenen Windkraftanlage des nördlich von seinem Wohnhaus stehenden Windparks Friesen-Elektra III in Sande entfernt. Die Anlagen sind 175 Meter hoch. Zudem steht der Windpark nördlich von Lies Wohnhaus, also nicht in der Hauptwindrichtung aus Südwest. Rotierenden und nervenden Schattenwurf muss er auch nicht fürchten. Die Nordwest Zeitung zitiert den Umweltminister weiter: „Zudem sei er froh, dass seine Kinder mit dem Windpark aufgewachsen seien und nicht 50 Kilometer entfernt in Rodenkirchen nahe des Kernkraftwerkes Unterweser, wo Jodtabletten verteilt würden.“ Nur liegt das AKW Unterweser nicht, wie Herr Lies sich im Artikel äußert, „50 Kilometer“, sondern schon 34 km von seinem Wohnhaus entfernt. Das Kraftwerk in Rodenkirchen wurde jedoch bereits 2011 stillgelegt; es dürfte also weder Herrn Lies noch seinen im Artikel erwähnten Kindern irgendwelche Probleme bereitet haben.

Sande/LK Friesland: Teil des Windparks „Friesen-Elektra III“ und das Wohnhaus von Umweltminister Olaf Lies (SPD) südlich davon, 1.010m entfernt – Screenshot- google earth

Auch Ministerpräsident Weil hält es nicht so genau mit den korrekten Angaben zum eigenen Wohnen an Windkraftanlagen: Am 12. Mai 2016 druckte das Göttinger Tageblatt dies: „In kleiner Runde mit Stephan Weil“: „[…] ´Wir haben Probleme, Windenergieflächen auszuweisen´, bekannte außerdem ein Gast, und hakte nach, wie Weil zu dem Thema stehe. Der positionierte sich klar für die Energiewende und warnte vor ´Kräften, die die Energiewende deutlich zurückdrehen wollen´. Dafür, dass ein weiterer Gast gesundheitliche Schäden bei Anwohnern nahe Windkraftanlagen befürchtete, hatte er wenig Verständnis: ´Ich wohne selbst nahe eines Windrades, es gibt keine Probleme´. […]“

Stephan Weil wohnt in Hannover-Kirchrode. Die nächstgelegenen Windkraftanlagen stehen ca. 6km südlich von Kirchrode in Laatzen. Auch Herr Weil hat offensichtlich nicht die Wahrheit gesagt, es hat ja auch bisher niemand überprüft. Beim Wattenrat hatten wir Herrn Weil mit seinen Abstandsäußerungen im Göttinger Tageblatt schon 2016 auf dem Schirm: 16. Mai 2016, Ministerpräsident Weil (SPD) wohnt an einem Windrad und hat „keine Probleme“, andere schon

Der Windpark Laatzen (unten rechts) liegt ca. 6km südlich vom Wohnhaus von Ministerpräsient Stephan Weil (SPD) in Hannover-Kirchrode, – Screenshot Energieatlas Niedersachsen, 21. Dez. 2019

In diesem Beitrag wurde auch der Offene Brief vom windkraftbetroffenen Anwohner Sven Reschke-Luiken aus Arle im Landkreis Aurich an den Ministerpräsidenten veröffentlicht. Sven Reschke-Luiken kann von seinem Wohnhaus aus auf ca. 200 Windenergienanlagen sehen. Ob Herr Reschke- Luiken jemals eine Antwort von Herrn Weil bekommen hat, ist nicht bekannt. Nur bewahrheitet sich damit wieder einmal die Erfahrung vieler Windkraftkritiker, die der Windenergiewirtschaft und der damit verbandelten Lobby-Politik einen stets kreativen Umgang mit der Wahrheit vorwerfen. Es verwundert immer wieder, dass Politiker mit eindeutigen Falschaussagen zur Windkraft und zur „Energiewende“, oder was dafür gehalten wird, in den Medien davonkommen.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 30. Dez. 2019 mit leicht verändertem Text auf der „Achse des Guten“: Mein Windpark ist auch 900 Meter entfernt“

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