„Nationalparks sollten der Schöpfung verpflichtet sein, nicht der Wertschöpfung.“
Mark Twain, US-amerikanische Schriftsteller, Spötter und akribischer Kritiker alltäglicher Heucheleien, soll einmal gesagt haben: „Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.“ Nur wusste er vor über einhundert Jahren noch nichts vom UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer und dessen zahllosen Gesundbetern. Anlass zu inhaltsleeren Elogen von Berufschönrednern aus Politik und Verwaltungen, unterstützt von großen Teilen des unkritischen Medienbetriebes, war denn auch die Feier zum zehnjährigen Bestehen dieses Etiketts, das 2009 auf die Wattenmeer-Nationalparks in Deutschland aufgeklebt wurde. Ein Rückblick zeigt, worum es in Wirklichkeit ging und wie es tatsächlich in diesem hochgelobten Welterbegebiet aussieht:
Die Politik
Das UNESCO- Weltnaturerbe Wattenmeer wurde aus Sicht des Wattenrates Ostfriesland vor zehn Jahren allein aus wirtschaftspolitischen Gründen eingerichtet. In der Planungszeit des Weltnaturerbes war der Bundes- und Landespolitiker Walter Hirche (FDP) Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission. Gleichzeitig war er von März 2003 – Februar 2009 Mitglied der niedersächsischen Landesregierung im Kabinett Wulff I als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident des Bundeslandes. In Niedersachsen wurde er vom damaligen Auricher Landrat Walter Theuerkauf (SPD) unterstützt, der ausdrücklich die damit zu erwartende Tourismusentwicklung bewarb. Ziel war es, den Weltnaturerbestatus des Wattenmeeres als Werbe- und Vermarktungslabel der Tourismuswirtschaft an der Küste zu gebrauchen.
Belastungsfaktoren
Der Massentourismus mit den zig-millionenfachen Tourismusübernachtungen auf den Inseln und in den Küstenbadeorten ist ein enormer Belastungsfaktor für das Großschutzgebiet Nationalpark Wattenmeer, das auch EU-Vogelschutzgebiet ist. Streunende Katzen oder von Jägern entlaufene Frettchen sind eine weitere Gefahr für die Bodenbrüter. Weihen (Greifvögel) und Sumpfohreulen nehmen ab, sogar der früher häufige Austernfischer geht deutlich zurück. Durchziehende Gastvögel wie Knuttstrandläufer, die früher in riesigen Schwärmen im Wattenmeer zu beobachten waren, werden ebenfalls weniger, das mag an den Nutzungsänderungen in ihren Überwinterungsgebieten liegen. Bestimmte Gänse- und Entenarten werden gleich nach den touristisch vermarkteten „Zugvogeltagen“ auf den Ostfriesischen Inseln ganz legal geschossen und landen dann auch in den Kochtöpfen der lokalen Gastronomie. Auf einigen Inseln und in einigen Küstenbadeortren werden zur Touristenbespaßung Feuerwerke, auch in der Brutzeit der Vögel, abgebrannt.
Im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer sind zahlreiche abträgliche Nutzungen von der uneingeschränkten Küstenfischerei ohne fischereifreie Zonen über die abträgliche, aber MSC-zertifizierte Miesmuschelfischerei bis hin zur Baggergutverklappung zulässig. Der Naturschutz hört hier unter Wasser auf.
Viele Salzwiesenbereiche des Nationalparks sind zu stark entwässert und mit Quecke überwuchert, die die typischen Salzwiesenpflanzen und die darauf spezialisierten Insekten verdrängt. Jetzt sollen Salzwiesenbereiche in der Leybucht durch Bodenabtrag für den Deichbau renaturiert werden, 33 Jahre nach Einrichtung des Nationalparks.
Google Earth zeigt im Wattenmeer ein Fischskelett als Icon, Bedeutung: „Eutrophication & Hypoxia“, was Überdüngung und Sauerstoffmangel bedeutet, in einem „Weltnaturerbe“!
Kitesurfer passen nicht in ein Weltnaturerbe
Die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven mit ihrem Leiter Peter Südbeck unterstützt die Vermarktung des Nationalparks als „Weltnaturerbe“ und stellt wertlose „Partner-Zertifikate“ für Gastronomiebetriebe oder Kurverwaltungen aus. Die Nationalparkverwaltung genehmigte auf Antrag der Kurverwaltungen ab 2009 – dem Jahr der Ausweisung als Weltnaturerbe – ca. 20 Kitesurfer-Spots von Cuxhaven bis Emden, in den zweit strengsten Schutzzonen, den Zwischenzonen, des Nationalparks. Kinderdrachen sind in den Ruhe- und Zwischenzonen aus Artenschutzgründen verboten. Die nach dem Bundesnaturschutzgesetz vorgeschriebenen Verträglichkeitsprüfungen VOR der Einrichtung der Kitezonen mit den z.T. erheblichen Auswirkungen auf Brut- oder Rastvögel sind unterblieben. Kritiker sprechen daher von Rechtsbeugung zugunsten der Tourismusindustrie.
Jubelfeiern statt gegensteuern
Das alles hält die Nationalparkverwaltungen, das Gemeinsame Wattenmeersekretariat der Staaten Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande sowie die Deutsche UNESCO-Kommission samt ihre nützlichen Helfern nicht davon ab, einen Naturraum zu bejubeln, den es so gar nicht mehr gibt. Der Massentourismus als Belastungsfaktor kam in den Jubiläums-Jubelberichten nicht vor. Die Presse schweigt dazu weitgehend, mit einer Ausnahme in einem dpa-Bericht, veröffentlicht am 26. Juni 2019:
„[…] Die Auswüchse des Massentourismus prangert der Wattenrat in Ostfriesland seit Jahren an. Das Wattenmeer werde als Werbe- und Vermarktungslabel missbraucht, bemängelt Wattenrat-Sprecher Manfred Knake: ´Millionenfache Übernachtungszahlen auf den Inseln und den Küstenorten sind eine enorme Belastung, zumal es nur wenig Ranger zur Überwachung gibt.´[…]“ Auch der WWF äußerte sich in dieser dpa-Meldung kritisch: „[…] Gefährdet wird der Lebensraum nach Ansicht des WWF etwa durch Ausbaggerungen, Schifffahrt, Fischerei, Müll, Industrieanlagen und Tourismus. […]“
Die Deutsche UNESCO-Kommission, in Bonn weit vom Ort des Geschehens entfernt, fantasierte von „etwa zehn Millionen Übernachtungsgästen in der Region“. Getoppt wird diese Unwahrheit noch damit, dass nun – 33 Jahre nach Einrichtung der drei Wattenmeer-Nationalparke! – Konzepte für einen „nachhaltigen Tourismus“ entwickelt werden sollen, in einer Region, die bereits vom Massentourismus überlaufen ist. Vom früheren Wortgebrauch „sanfter Tourismus“ hat man sich inzwischen tatsächlich verabschiedet.
Massentourismus und Naturschutz schließen sich aus: die Zahlen
Worthülsen zum Naturschutz sind derzeit groß in Mode, die Fakten sehen anders aus, werden aber kaum noch von Medien recherchiert und transportiert. Es wird überwiegend 1:1 copy and paste nachgeplappert oder nachgedruckt, was Politik und Verwaltungen interessengeleitet veröffentlichen. Die tatsächlichen Übernachtungszahlen alleine im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (Küstenbadeorte und Inseln) liegen bei mehr als 16 Millionen jährlich, veröffentlicht von der Industrie und Handelskammer (IHK) für Ostfriesland und Papenburg „nach Angaben der Kurverwaltungen“ (siehe .pdf Tourismus_IHK_Inseln_Kueste_2018, scrollen). Dazu kommen die Zahlen aus Cuxhaven und Umgebung („Cuxland“) mit noch einmal fast sieben Millionen Übernachtungen. Die Gesamtzahl der Tourismusübernachtungen alleine im und am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer beträgt also mindestens 23 Millionen jährlich. Nicht aufgeführt sind Beherbergungsbetriebe, die nicht erfasst sind oder die in nicht zugelassenen Dachkammern, Kellern oder Anbauten „schwarz“ vermieten. Ob die Übernachtungen auf den zahlreichen Campingplätzen erfasst werden, ist nicht bekannt. Auch Urlauber der „dritten Linie“, also in Unterkünften, die in Orten nicht direkt an der Küste liegen, strömen in oder an den Nationalpark. Die Touristen kommen mit Hunden, Lenkdrachen, Drohnen oder Sportbooten. Gibt man die Stichwörter „Weltnaturerbe“ und „Wattenmeer“ in eine Suchmaschine ein, gelangt man überwiegend auf Tourismus-Werbeseiten.
Intensivlandwirtschaft und Windparks in den angrenzenden Gebieten
Die Störungen der Tierwelt in diesem Schutzgebiet sind enorm: Heuler (Seehunde) werden auch durch unachtsame Touristen produziert, strandbrütende Regenpfeifer oder Seeschwalben sind dramatisch zurückgegangen, in ihrem europäischen Vogelschutzgebiet. Es sind also nicht nur die Tierarten in weit entfernten Kontinenten, die am Limit sind. Das menschengemachte Artensterben fängt vor unseren Haustüren an. Massentourismus und Naturschutz schließen sich aus, überall auf der Welt, eigentlich eine Binsenwahrheit.
Elf Ranger ohne Kompetenzen und Boote sollen auf 3.500 qkm Nationalparkfläche in Niedersachsen Aufsicht führen, ein schlechter Witz. An der Grenze zum Nationalpark sind große Flächen in Binnenland mit Windparks abgeriegelt, Intensivlandwirtschaft lässt keine Bodenbrüter mehr hochkommen. So verlagert man sich publikumswirksam auf Feste und auf Feiern, obwohl es nichts zu feiern gibt. Das nennt man Realitätsverlust und Propaganda, und der Medienbetrieb macht weitgehend mit. Nur so kann die Fiktion einer intakten Naturlandschaft mit dem Prädikat und bloßen Etikett „Weltnaturerbe“ auf einer stark genutzten dynamischen Naturlandschaft aufrecht erhalten werden.
Es gibt auch Positives zu berichten
Die Bestände der Seehunde und Kegelrobben haben zugenommen, nicht durch „Klima“, sondern durch die Einstellung der Jagd oder durch die natürliche Arealausweitung. Zugenommen hat auch die Vogelart Löffler, ebenfalls durch Arealausweitung seit den neunziger Jahren von den Niederlanden bis auf die Ostfriesischen Inseln. De erste Insel in Deutschland, die von Löfflern besiedelt wurde, war 1996 die Vogelinsel Memmert bei Juist. Von dort breiteten sich die Vögel weiter nach Osten aus.
Das Great Barrier Reef als passender Vergleich?
Nachfolgend die Sicht auf das Weltnaturerbe Wattenmeer aus dem Bundesumweltministerium, die wesentliche Belastungen einfach ausblendet. Die erwähnte Meeresvermüllung und der immer noch zu hohe Eintrag von Nähr- und Schadstoffen sind schon seit Jahrzehnten ein Problem und nicht erst seit heute aktuell.
Gebetsmühlenartig wird immer wieder der Vergleich mit dem Great Barrier Reef in Australien angeführt. Nur ist das Reef eintausend mal größer als der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und wesentlich besser geschützt. Deshalb noch einmal Mark Twain: „Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.“
Bundesumweltministerium – Pressedienst Nr. 112/19, Berlin, 30. Juni 2019
Naturschutz/Weltnaturerbe Parlamentarische Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter würdigt 10 Jahre Weltnaturerbe Wattenmeer – Erfolg für grenzüberschreitenden Naturschutz Wattenmeer-Anrainer unterzeichnen Absichtserklärung für engere Zusammenarbeit und Gründung eines Partner-Netzwerkes Der Schutz des Wattenmeers steht vor vielfältigen Herausforderungen. Dazu zählen die Auswirkungen des Klimawandels sowie die Belastung der Meere durch Meeresmüll und Nähr- und Schadstoffe. Um das Wattenmeer als einzigartiges Ökosystem zu schützen, unterzeichneten
Vertreterinnen und Vertreter der Wattenmeerzusammenarbeit aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden sowie verschiedene Partner aus den Bereichen Umwelt, Bildung, Wissenschaft, Tourismus und Kommunen dazu heute in Wilhelmshaven eine Absichtserklärung. Die drei Länder arbeiten seit über 40 Jahren erfolgreich zum Schutz des
Wattenmeeres zusammen.Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium,Rita Schwarzelühr-Sutter, eröffnete gemeinsam mit dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies die Jubiläumsfeier. Sie betonte dabei besonders die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für den erfolgreichen Schutz des Weltnaturerbes Wattenmeer als Vorbild für internationale Kooperation für den Naturschutz.
Rita Schwarzelühr-Sutter: „Die Wattenmeerfamilie kooperiert vorbildlich. Diese Partnerschaft der verschiedenen Akteure vor Ort, in der Region und international wollen wir jetzt weiterentwickeln. Gerade in Zeiten von EU-Skepsis und Kritik an internationaler Zusammenarbeit ist das ein wichtiges Signal. Die Schaffung des Partner-Netzwerks und des neuen Partnerschafts-Zentrums in Wilhelmshaven geben unserer Zusammenarbeit ein noch festeres Fundament.“ Durch diese engere Vernetzung werden die drei Staaten zusammen mit den Partnern den Herausforderungen besser begegnen können und gemeinsam Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die Reduzierung der Meeresverschmutzung und für einen nachhaltigen Tourismus entwickeln.
Eines der Kriterien für die Auszeichnung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe ist seine herausragende Bedeutung als Drehscheibe für den ostatlantischen Vogelzug. Nach dem jüngsten Status-Bericht zum Zustand der Zugvogel-Populationen entlang des Ostatlantischen Zugweges geht es den durchziehenden und überwinternden Populationen insgesamt besser, den Brutvögeln in der Wattenmeerregion jedoch schlechter. Sie bedürfen eines intensiveren und besseren Schutzes, v. a. gegen Räuber wie Marder, Fuchs und Ratten.
In Anerkennung des außergewöhnlichen universellen Wertes des Gebiets sowie des erzielten Fortschritts beim Schutz und Management nahm die UNESCO das Wattenmeer 2009 in seine Welterbeliste auf. Der Status als Weltnaturerbe ist die höchste Auszeichnung für einen Naturraum und eine Würdigung mit überragender weltweiter Bedeutung. Damit steht das Wattenmeer auf gleicher Stufe mit anderen Weltnaturerbegebieten wie dem Great Barrier Reef und dem Grand Canyon. Deutschland hat von 2018 bis 2022 die Präsidentschaft der Trilateralen Wattenmeerkooperation inne.