Erst abgelehnt, jetzt erlaubt: neue Kitesurffläche im Juister Watt genehmigt

Freizeitpark oder Großschutzgebiet Nationalpark? Kitesurfer im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Mit Schreiben vom 17. April 2019 (Aktenzeichen: 01.1 – 2242/23-1.7.4 13-4) genehmigte die Verwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer den Antrag der Inselgemeinde Juist für eine weitere Kitesurffläche „zu Schulungszwecken“ im Rückseitenwatt der Insel. Die Insel verfügt bereits über eine Kiterfläche am Nordstrand in der Erholungszone. Die zusätzliche Fläche liegt nun in der zweitstrengsten Schutzzone (Zwischenzone) des Großschutzgebietes, das auch Europäisches Vogelschutzgebiet ist. Die Inselgemeinde Juist hatte ihren Antrag vom 11. Oktober 2018 (Aktenzeichen: tgo) u.a. damit begründet, dass sich „Kitesurfen einer zunehmenden Beliebtheit erfreue“. Zitat: „Alle Aktivitäten, die einen wirtschaftlichen Mehrwert schaffen, und somit die Existenz der Inselkommune Juist ausmachen, basieren auf dem Wirtschaftsfaktor Tourismus. […] Es besteht aus unserer Sicht ein öffentliches Interesse […]“. Die Genehmigung begrenzt den Zeitraum des Surfens vom 01. April bis 31. Oktober, also in der Brut- und der Rastzeit von Wat- und Schwimmvögeln. Die Durchzugs- und Rastzeit im Wattenmeer beginnt bereits am Ende der Brutzeit im Juli.

2014 hatte die Nationalparkverwaltung bereits einen früheren Antrag der Inselgemeinde Juist für eine Kitesurffläche im Inselwatt abgelehnt, da ein „überwiegendes Interesse“ nicht vorliege. Zitat aus 2014: „Drachen und somit Kitesurfer können – u.a. belegt durch die von der Nationalparkverwaltung in Auftrag gegebenen Gutachten – negative Auswirkungen auf Brut- und Rastvögel haben. Daher kann das Kitesurfen abseits vom gesetzlichen Verbot im Einzelfall auf Antrag nur zugelassen werden, soweit es der Schutzzweck erlaubt.“

03. August 2015: Illegales Kiten im Rückseitenwatt von Juist, jetzt von der Nationalparkverwaltung legalisiert. Rechtsbeugung?  Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Was ist nach fünf Jahren anders geworden?

Jetzt, fünf Jahre später ist alles anders. Die Nationalparkverwaltung begründete ihre Genehmigung nun mit einer „Befreiung“ von den Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes, weil „nach Abwägung aller Interessen“ das „öffentliche Interesse“ des Antrages der Inselkommune „überwiegt“. § 67 des Bundesnaturschutzgesetzes führt aber eindeutig aus, dass Befreiungen nur aus Gründen des „überwiegenden [!] öffentlichen Interesses“ zulässig sind, eine Versagung zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Befreiungen mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar sein müssen. Eine „Abwägung aller Interessen“ hat zudem längst zugunsten des Naturschutzes durch die Vorschriften des Nationalparkgesetz stattgefunden.Das „überwiegende öffentliche Interesse“ in einem Nationalpark und EU-Vogelschutzgebiet ist eindeutig nicht das Kitesurfen, sondern der Naturschutz. Schon das Steigenlassen von Kinderdrachen ist in den Ruhe- und Zwischenzonen des Nationalparks laut Nationalparkgesetz verboten. Kitesurfer verscheuchen mit ihren großen Zugsegeln weiträumig rastende Vögel im Wattenmeer und gefährden Schwimmvögel, die ihre noch flugunfähigen Jungen auf dem Wasser führen und während der Brutzeit wochenlang durch die Großschwingenmauser selbst flugunfähig sind. Das Bundesnaturschutzgesetz sieht zudem vor solchen Eingriffen in nach EU-Recht geschützten Naturräumen eine Verträglichkeitsprüfung vor (§34 BNatSchG). Auch die wurden vor der Genehmigung zahlreicher Kitesurfflächen gesetzeswidrig nicht durchgeführt.

Kitespots im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, Stand 2012, die Karte ist veraltet.

„Rechtsbeugung“

Der Wattenrat schließt sich den zahlreichen Kritikern der ausufernden Genehmigungspraxis von Kitesurfflächen im Nationalparkpark an, die die Genehmigungspraxis als „Rechtsbeugung“ der Nationalparkverwaltung zugunsten von Kommunen und der damit verbundenen Tourismusindustrie bezeichnen. Inzwischen gibt es mehr als 20 Kitesurfflächen im Nationalpark Wattenmeer von Cuxhaven bis Emden, der von der Tourismuswirtschaft als „Weltnaturerbe“ vermarktet wird. Viele Kitesurfflächen im Wattenmeernationalpark wurden jahrelang illegal genutzt und später von der Nationalparkverwaltung mit „Befreiungen“ legalisiert. Der Wattenrat bezeichnete die Genehmigungspraxis der Nationalparkverwaltung als „skandalös“. Die Verwaltung mit ihrem Leiter Peter Südbeck entwickelt sich nach Meinung des Wattenrates immer mehr zu einer Tourismusagentur und entfernt sich damit von ihrer eigentlichen Aufgabe, notwendige Schutzziele „nachhaltig“ umzusetzen. Die öffentliche Darstellung dieses Pseudo-Nationalparks hat mit der maroden Wirklichkeit nichts mehr zu tun.

Nun auch auf Juist: Rückseitenwatt Norderney „Riffgat“: Hier wurde jahrelang die illegale Kiteschulung geduldet und dann schließlich von der Nationalparkverwaltung legalisiert – Foto (C): Eilert Voß

Verbändenaturschutz in Niedersachsen: ein Trauerspiel!

Der Wattenrat hatte im Genehmigungsverfahren für den „anerkannten“ Naturschutzverband „Deutscher Gebirgs- und Wandervereine“ eine ablehnende Stellungnahme zum Juister Kitespot mit dem Hinweis auf die Unzulässigkeit einer „Befreiung“ verfasst und wird sich daher fachaufsichtlich an das Niedersächsische Umweltministerium und die EU-Kommission wenden, um die fragwürdige Genehmigungspraxis der Nationalparkverwaltung überprüfen zu lassen. Wie und ob die anderen vierzehn (!) „anerkannten“ und damit klagebefugten Naturschutzverbände von BUND über NABU, Niedersächsischer Heimatbund, Landesjägerschaft, Landesfischereiverband (ja, auch die) bis zum Naturschutzverband Niedersachsen die Sachlage beurteilten, ist nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass laut Befreiungsbescheid der Nationalparkverwaltung der BUND in seiner Stellungnahme der Ausweitung des Kitebetriebes bis Ende November widersprochen hat. Was aber ändert das an der Störung der Brut- und Rastvögel im übrigen Zeitraum des nun genehmigten Kitesurfens von April bis Ende Oktober? Auch hier wird deutlich: Der BUND kommt seinen satzungsgemäßen Aufgaben nicht nach. Er hätte aufgrund der Rechtslage, die dem Verband offensichtlich nicht vertraut ist (oder scheut man Konflikte?), den Kitebetrieb auf Juist und anderswo im Nationalpark deutlich ablehnen müssen. Verbändenaturschutz in Niedersachsen: ein Trauerspiel!

Die Lokalpresse mauert

Die Pressemitteilung des Wattenrates zur Ausweisung der neuen Kitesurffläche auf Juist wurde von den Lokalzeitungen an der Küste ignoriert, hier wird die vermeintlich heile Welt des tourismusfördernden „Weltnaturerbes“ gepflegt. Vor zehn Jahren, als der Nationalpark zum „Weltnatuererbe“ geadelt wurde und danach die Kitesurfflächen eingerichtet wurden, berichtete die Presse noch sehr detailliert über die Bedenken und Einwände des Wattenrates oder der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Aurich gegen die Kitesurfflächen im Schutzgebiet. Das ist heute anders, fachlicher Naturschutz findet in den Lokalzeiten kaum noch Gehör. Liegt es an der Arbeitsverdichtung in den Redaktionen, wo  „Erfolgsmeldungen“ aller Coleur gerne 1:1 „copy and paste“ recherchefrei übernommen werden, oder ist es die neue Generation von Lokalredakteuren, denen Arten- und Naturschutz so fremd wie die Tiefsee ist? Hier ein Beispiel aus 2009, aus dem Archiv des Wattenrates, da war alles noch ganz anders: Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: Immer mehr Kitesurfer – Peterchens Irrfahrt im Weltnaturerbe

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