Stadt Esens/NDS: Stadt will Schadensersatzklage gegen das Land Niedersachsen einreichen: Amtshaftung durch das Land gefordert
Es gibt weitere Merkwürdigkeiten um die in einem EU-Vogelschutzgebiet illegal gebaute Umgehungsstraße in Bensersiel/Stadt Esens: Die Stadt Esens will das Land Niedersachsen auf Schadensersatz in Höhe von 4,1 Millionen Euro verklagen und fordert die „Amtshaftung“ vom Land – oder doch nicht? Jedenfalls fand am 10. Dezember eine öffentliche Sitzung des Esenser Stadtrates statt, auf der „einstimmig“ (laut Ostfriesen Zeitung online am 11. Dez. 2018) über die entsprechende Sitzungsvorlage abgestimmt wurde.
Zitat aus der Sitzungsvorlage: „Da es darüber hinaus zu keinen weiteren Gesprächen/Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen gekommen ist und die Verjährungsfrist zum Jahresende ausläuft, bestand die Notwendigkeit, eine Klageschrift vorbereitend zu erstellen. Dies ist mittlerweile auch in einer nahezu finalisierten Form geschehen. […] Beschlussvorschlag: Die Klage wird in der von der Verwaltung in dargestellter Form erhoben. Alle hierzu erforderlichen Schritte sind einzuleiten. Der Beschluss wird von dem Gedanken getragen, dass dies ein schwerwiegender Schritt gegen das Land Niedersachsen ist, aber trotz Prozess- und Kostenrisiken der Schritt als unumgänglich angesehen wird, um mögliche Schadensersatzansprüche nicht verjähren zu lassen.“ Zitat Ende.
Die Verjährung etwaiger Ansprüche wäre am 31. Dezember 2018 wirksam geworden. Bereits am 08. Dezember berichtete der „Anzeiger für Harlingerland“ aus Wittmund (das ist die meistgelesene Tageszeitung in der Region Wittmund!) vom Unmut des niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies (SPD) über die Klageankündigung der Stadt:
„ ´Ich halte das für unglücklich, denn wir befanden uns in Gesprächen, unser Ministerium hat mehrfach Fristen verlängert – jetzt befinden wir uns in einem Rechtsstreit.´ Überdies wirft Lies die Frage auf, `ob das Umweltministerium der richtige Adressat für eine Klage ist.´ Auch andere, kommunale Verwaltungsebenen waren in den damaligen Genehmigungsprozess für die Entlastungsstraße eingebunden, der Landkreis und nicht zuletzt die Stadt selbst.“
Verwaltungsnahe Berichterstattung im Heimatblatt?
Die Leserschaft des „Anzeiger für Harlingerland“ erfuhr indes nichts von der Ratssitzung am 10. Dezember 2018 und einem Beschluss, ein Novum. Erst elf Tage später, am 21. Dezember 2018, konnte man aus dem „Anzeiger“ entnehmen, dass nun zunächst gar keine Klage mehr geplant sei. So wurde aus der eindeutigen Beschlussvorlage „Die Klage wird in der von der Verwaltung in dargestellter Form erhoben“ elf Tage später laut Zeitungsmeldung ein ganz anders lautender „Vorbehaltsbeschluss“, der sich so gar nicht in der Sitzungsvorlage findet:
„Nach der jetzt getroffenen Vereinbarung geht es darum, rechtliche Fragen zu klären. ´Wir hoffen auf Erkenntnisse, wie es zur damaligen fehlerhaften Abgrenzung im faktischen Vogelschutzgebiet gekommen ist´, sagt Hinrichs. Der Vorbehaltsbeschluss sei jetzt wichtig gewesen, um mit dem Land zu erneuten Gesprächen zu kommen. ´Ich bin zuversichtlich, dass wir jetzt zu klaren Ergebnissen kommen´, so Hinrichs.“
Merkwürdig, ist nun plötzlich Harmonie mit dem Umweltministerium ausgebrochen?: „Nicht gegeneinander, sondern miteinander wollen die Stadt Esens und das Land Niedersachsen klären“, erfährt der Leser am 21. Dezember. Das Land, das beklagt werden soll, habe einer Fristverlängerung zur Klageerhebung vom 31. Dez. 2018 zum 30. Juni 2019 zugestimmt. Der Kläger (Stadt Esens) verhandelt also mit dem potenziellen Beklagten (Land Niedersachsen) um eine Fristverlängerung. Das ist äußerst ungewöhnlich, das klingt nach Kungeleien. Es gibt offensichtlich Absprachen zwischen der Stadt Esens und dem Land Niedersachsen über die Terminierung einer noch einzureichenden Klage und Absprachen der Stadtverwaltung mit der Lokalzeitung, wann was wie berichtet wird.
Wie kam Esens an die Landesfördermittel von 5,4 Millionen Euro?
Hätte die Stadt mit der angekündigten Klage Erfolg, würden die Baukosten für Straße von fast 9 Millionen Euro in Gänze vom Land übernommen werden. Esens bediente sich bereits aus einem Förderprogramm des Landes mit einem Bauzuschuss von 5,4 Millionen Euro. Inzwischen stehen aber Zweifel im Raum, ob diese Zahlung rechtmäßig erfolgte und ob die Stadt Esens möglicherweise bei der Beantragung beim Land verschwiegen hatte, dass bereits 2007 eine Normenkontrollklage des Landeigentümers vor dem Oberverwaltungsgericht anhängig war. Laut hier vorliegenden Unterlagen aus dem Jahr 2007 hatte das Land Niedersachsen damals die Förderkriterien für die Aufnahme in das Landesbauprogramm kurzfristig geändert. Demnach waren Bauvorhaben, gegen die Normenkontrollverfahren wegen planungs- oder eigentumsrechtlichen Hindernissen anhängig waren, von der Förderung ausgeschlossen! Die Frage bleibt, auf welcher Grundlage die Stadt Esens die Fördergelder für den Straßenbau erhalten hat. Zu der Zeit wurde das Land Niedersachsen vom Kabinett Christian Wulff (CDU) regiert, der zuständige Umweltminister war Hans-Heinrich Sander (FDP). Landtagspräsident war Hermann Dinkla (CDU) aus Westerholt im Landkreis Wittmund. Der Landrat in Wittmund war Henning Schultz (CDU). Die damalige CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident Wulff (der später gescheiterte Bundespräsident) löste ab 2005 die Bezirksregierungen, die auch die Kommunalaufsicht ausübten, im Lande auf. Ebenso wurde das naturschutzfachlich gut aufgestellte Niedersächsische Landesamt für Ökologie (NLÖ) aufgelöst. Viele Aufgaben wurden so auf die Landkreise und Kommunen übertragen, um das „Subsidaritätsprinzip“ der kommunalen Selbstverwaltung ohne „Kontrolle von oben“ zu stärken. Wie das in der Realität funktioniert, zeigt das Esenser Verwaltungs- und Ratswirken anschaulich. Es hat zudem den Anschein, dass in der Sache Umgehungsstraße eine Hand die andere gewaschen hat, während doch eigentlich eine Hand die andere kontrollieren sollte.
Neues Spiel, neues Glück? – B-Plan Nr. 89 soll die Straße retten
Am 30. Nov. 2018 – mit Öffentlicher Bekanntmachung wegen eines Datumfehlers korrigiert am 11. Dezember 2018 – veröffentlichte die Stadt Esens einen neuen Bebauungsplan, um die illegal gebaute Straße doch noch zu retten. Mit dem aktuellen B-Plan Nr. 89 wird wohl der letzte Versuch unternommen, die Straße zu legalisieren und damit die alten B-Pläne, die aber bis zum Bundesverwaltungsgericht als „rechtsunwirksam“ ausgeurteilt wurden, zu ersetzen. Dafür soll die Planung mit dem neuen B-Plan 89 quasi „virtuell“ bei Null beginnen. Es wird so getan, als ob es die Straße noch gar nicht gäbe.
Der zu Unrecht enteignete Landeigentümer hatte sich bisher erfolgreich durch alle Instanzen gewehrt und wird sich wohl auch weiter wehren. Derzeit sind noch zwei Klagen des erfolgreichen Klägers, der auch Jurist ist, gegen die Umgehungsstraße anhängig, eine gegen die bisher nicht erfolgte Entschädigung (Landgericht Aurich), die andere gegen die vom Landkreis Wittmund vorgenommene Neuabgrenzung des Landschaftsschutzgebietes innerhalb des Vogelschutzgebietes V63. Auch die vorgenommene Neuabgrenzung des Schutzgebietes unter Aussparung der Straßentrasse soll helfen, die Umgehungsstraße nachträglich zu legalisieren. Zuständig ist in diesem Falle das OVG Lüneburg. Ob das neue Verfahren trotz des bestehenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vor Gericht Bestand haben kann, wird sich zeigen.
Da fragt sich doch der Beobachter, warum nicht schon längst gegen die damals Verantwortlichen von Verwaltung und der Ratsmehrheit der Stadt Esens ein Amtshaftungsverfahren eingeleitete wurde. Immerhin sind die Verwaltung und die Ratsmitglieder, die für die Planung und den Bau der Umgehungsstraße im EU-Vogelschutzgebiet gestimmt hatten und 5,4 Millionen Euro öffentliche Gelder für den mehr als 8 Millionen Euro teuren Straßenbau rechtswidrig verbraten haben, zunächst selbst verantwortlich für das Desaster, das sich neben einer Posse auch zum Krimi entwickeln könnte. Auch der Landkreis Wittmund als Kommunalaufsichtsbehörde ist mitverantwortlich, er ist nicht gegen die erkennbar rechtswidrige Planung und den Bau im damals faktischen Vogelschutzgebiet eingeschritten.
Der ehemalige Rechtsbeistand der Stadt Esens, Prof. Bernhard Stüer aus Münster
Der ehemalige Rechtsbeistand der Stadt Esens in der Causa Umgehungsstraße, Prof. Stüer, hatte laut Niederschrift des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg vom 22. Mai 2008 VERNEINT, die Straße würde in einem Vogelschutzgebiet verlaufen. Der damalige Anwalt der Stadt hat also, um es zurückhaltend auszudrücken, vor Gericht unrichtig vorgetragen. Gegen ihn ist von der Stadt nichts in Sachen Anwaltshaftung unternommen worden. Allein die Anwalts- und Gerichtskosten mit Prof. Stüer beliefen sich auf mehrere hunderttausend Euro für die Stadt, Steuergelder!
Prof. Stüer wurde 2017 wegen „schweren Parteiverrats“ in einer anderen Rechtssache vom Landgericht Münster zu einer 15-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt; er verlor zudem seine Zulassung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Im November 2018 hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil aufgehoben. Danach hat sich der Angeklagte Prof. Stüer zwar des Parteiverrats, nicht aber des schweren Parteiverrats schuldig gemacht. Das Verfahren wurde vom BGH an das Landgericht Münster zurückverwiesen.
Alle Hemmnisse waren seit 2003 bekannt
Allen Beteiligten war durch den Unterzeichner vom Wattenrat-Ostfriesland seit 2003 bekannt (auch dem damaligen Anwalt der Stadt Esens), dass die Straßenplanung in einem damals „faktischen Vogelschutzgebiet“ erfolgte und rechtswidrig sein müsse. In einem „faktischen Vogelschutzgebiet“ (das zwar alle Voraussetzungen erfüllt, aber nicht nach Brüssel gemeldet wurde) dürfen überhaupt keine Maßnahmen dieser Art geplant oder gebaut werden. Erst nach einer Meldung und Ausweisung als europäisches Vogelschutzgebiet (Natura-2000-Gebiet) hätte mit den Planungen NACH einer positiven Verträglichkeitsprüfung begonnen werden dürfen (§34 Bundesnaturschutzgesetz). Das ist aber unterblieben und soll jetzt nachträglich, aber sehr fragwürdig, mit einem neuen Anwalt „passend“ gemacht werden. Genau diese Verfahrensfehler waren dem Rat und der Verwaltung in Esens, dem Landkreis Wittmund und dem Land Niedersachsen vorher bekannt und waren schließlich auch Bestandteil des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom März 2014, das die damals zugrundeliegenden Bebauungspläne als „unwirksam“ bezeichnete. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Urteil die Möglichkeit einer nachträglichen „Heilung“ des damaligen Bebauungsplans Nr. 67 ausdrücklich verneint.
„Haltet den Dieb“ – oder den Überblick verloren?
Alle Gerichtsurteile vom VG Oldenburg, OVG Lüneburg bis zum Bundesverwaltungsgericht sprechen also GEGEN die Stadt Esens und die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Bebauungspläne „kommunale Entlastungsstraße“! Das VG Oldenburg bescheinigte der Stadt Esens bereits „fortgesetztes rechtsuntreues Verhalten“ bei der Posse um die spätere zunächst halbherzige Straßensperrung, deren wirksame Sperrung vom Landeigentümer gerichtlich durchgesetzt wurde. Es sieht so aus, als ob die Verantwortlichen in der Stadt Esens erneut mit der Parole „Haltet den Dieb“, der jetzt in Hannover verortet wird, von der eigenen Verantwortlichkeit ablenken wollen, ein Trauerspiel der kommunalen Selbstverwaltung. Aus der „kommunalen Entlastungsstraße“ ist längst eine steuerliche „Belastungsstraße“ geworden!
Link (Juli 2017): Reloaded: Chronologie der Umgehungsstraße Bensersiel, Teil 2
Manfred Knake
Anzeiger für Harlingerland, Wittmund/NDS, S. 1, 21. Dez. 2018
Klage gegen das Land ausgesetzt
ENTLASTUNGSSTRASSE – Ansprüche auf Schadenersatz gemeinsam prüfen Klaus Händel Das Land Niedersachsen hat die Frist bis zum 30. Juni verlängert.ESENS. Die Streitigkeiten um die Entlastungsstraße Bensersiel gehen in eine neue Runde. Weil das Land Niedersachsen die Ausweisung des Vogelschutzgebietes zu spät vorgenommen, aber trotzdem zum Baubeginn geraten hatte, sieht die Stadt beim Land eine Mitschuld an der laut Bundesverwaltungsgericht „illegal“ gebauten Straße.
Um Anspruchsfristen auf Schadenersatz zu wahren, hatte die Stadt eine Klage angekündigt und in der jüngsten Ratssitzung einen Vorbehaltsbeschluss gefasst. „Schon im Vorfeld und parallel haben wir Gespräche mit Umweltminister Olaf Lies geführt“, erklärte Bürgermeisterin Karin Emken mit Stadtdirektor Harald Hinrichs gestern in einem Pressegespräch. Stadt und Land hätten sich nun geeinigt, die Frist zur Erhebung der Klage nochmals vom 31. Dezember 2018 auf den 30. Juni 2019 zu verlängern.
„Wir hätten gerne eine längere Frist von einem Jahr gehabt“, sagt Harald Hinrichs. Jetzt seien Stadt und Land gemeinsam gezwungen, sich schnell zusammenzusetzen und über Schadenersatzansprüche zu reden. Das Land sei bereit, sich damit auseinanderzusetzen. Olaf Lies habe es zwischenzeitlich so verstanden, dass die Stadt bereits Klage eingereicht habe. „Das war ein Missverständnis. Lies ist nicht sauer auf die Stadt, und die Stadt ist nicht sauer auf das Land“, stellt Karin Emken klar.
Nach der jetzt getroffenen Vereinbarung geht es darum, rechtliche Fragen zu klären. „Wir hoffen auf Erkenntnisse, wie es zur damaligen fehlerhaften Abgrenzung im faktischen Vogelschutzgebiet gekommen ist“, sagt Hinrichs. Der Vorbehaltsbeschluss sei jetzt wichtig gewesen, um mit dem Land zu erneuten Gesprächen zu kommen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir jetzt zu klaren Ergebnissen kommen“, so Hinrichs.
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Klärung von Schadenersatzansprüchen das Ziel
ENTLASTUNGSSTRASSE – Stadt Esens und Land Niedersachsen bleiben im Gespräch – Straße weiter gesperrt
ESENS. (HÄ) Nicht gegeneinander, sondern miteinander wollen die Stadt Esens und das Land Niedersachsen, hier das Umweltministerium, klären, wie es zur damaligen fehlerhaften Abgrenzung im faktischen Vogelschutzgebiet gekommen ist, aufgrund derer die in Bensersiel gebaute Kommunale Entlastungsstraße schlussendlich für „illegal“ erklärt worden ist.
Nach vorausgegangenen Gesprächen und einer erneuten Fristverlängerung für eine Schadenersatzklage haben Stadt und Land nun ein halbes Jahr Zeit, die Fragen zu klären. „Wir hoffen auf rechtliche Erkenntnisse, wie es 2007 zur fehlerhaften Abgrenzung im faktischen Vogelschutzgebiet gekommen ist, aus denen sich dann mögliche Schadensersatzansprüche ableiten lassen“, erklärte Stadtdirektor Harald Hinrichs gestern in einem gemeinsamen Pressegespräch mit Bürgermeisterin Karin Emken. „Umweltminister Olaf Lies hat mir in einem Telefonat versichert, mit der Stadt im Gespräch bleiben zu
wollen“, so die Bürgermeisterin.Unabhängig von diesen Gesprächen bleibt die Straße, nachdem sie knapp fünfeinhalb Jahre befahren wurde, weiterhin gesperrt. Das liege allein in der Hand des Eigentümers der mit der Entlastungsstraße überbauten Flächen. Offen in einem Verfahren vor Gericht in Aurich sei die Frage, welcher Schaden dem Eigentümer durch den Bau der Straße entstanden ist.
„Ob mit Klagen gegen den jetzt in Kraft getretenen neuen Bebauungsplan zu rechnen ist, ist offen. Auch hier gibt es eine Frist bis Ende 2019“, erklärt der Stadtdirektor.