Bitte den Nachtrag vom 10. Mai 2018 beachten (ganz unten).
Landwirt Amos Venema aus Jemgum im Rheiderland/LK Leer/NDS (Venema GbR) beklagt sich über den angeblich hohen Gänsefraß auf Grünland (siehe Facebook-Eintrag ganz unten). Gänsefachleute dagegen halten fest, dass es keine großen Unterschiede zwischen den „Exclosures“ (für Gänse eingerichtete unzugängliche Flächen zu Forschungszwecken) und den Äsungsflächen gäbe. Das Rheiderland ist Überwinterungsgebiet für arktische Gänse und gehört zum Jahreslebensraum der arktischen Zugvögel. Große Teile des Rheiderlandes sind als EU-Vogelschutzgebiet ausgewiesen und unterliegen dem Artenschutzregime der Europäischen Union. Zudem unterliegen Zugvögel wie die arktischen Gänse dem Schutz der Bonner Konvention für wandernde Tierarten. Zahlen- und flächenmäßig gehört also das Rheiderland zu den wichtigsten Gänserastgebieten in Deutschland, und fressen müssen sie. Und dabei entstehen auch Fraßschäden.
In welchem Umfang Fraßschäden auftreten oder die Schäden durch Frost oder Bodenverdichtung mit Staunässe durch die schweren landwirtschaftlichen Geräte aufgetreten sind, muss jeweils genau nachgewiesen werden. Falls ein Betrieb am Vertragsnaturschutz teilnimmt, bekommt er noch einmal pro Hektar und Jahr Kompensationzahlungen im dreistelligen Bereich, egal ob Gänseschäden aufgetreten ist oder nicht. Ertragseinbußen enstehen vor allem beim ersten Schnitt; Landwirte in Ostfriesland machen bis zu viermal Grassilageschnitt im Jahr, in sehr guten Jahren sogar fünfmal, auch in EU-Vogelschutzgebieten! Liest man aber die Medienberichterstattung, kann man den Eindruck gewinnen, die Bauern stünden kurz vor der Verarmung durch die Gänse. Die Rastvögel verlassen die Überwinterungsgebiete im April/Mai und ziehen zurück in ihre arktischen Brutgebiete.
EU-Vogelschutzgebiet: V06 Rheiderland
Flächengröße (ha): 8.685
Hoheitlicher Schutzstatus: 100 % Landschaftsschutzgebiet „Rheiderland“
Landnutzung im Vogelschutzgebiet: 84 % Grünland, 15 % Ackerland, 1 % Stillgewässer
Wiesenvogelschutz?
In den Wiesenvogelbrutgebieten wurde schon mit der Mahd begonnen, das ist das Aus für Gelege und Jungvögel der Bodenbrüter, auch in Schutzgebieten. Die eigentlich streng geschützten bodenbrütenden Vogelarten von Kiebitz bis Uferschnepfe oder Weihen werden so systematisch ausgerottet. Der Gülleeinsatz mit dem häufigen Befahren der Flächen ist auch im Rheiderland enorm. Rheiderländer Landwirte machen gewaltige PR mit Lokal, Landes- und Bundespolitikern, um politische Unterstützung gegen die Gänse zu erhalten und sich gleichzeitig als Wiesenvogelschützer darzustellen. Man schiebt den dramatischen Rückgang der Bodenbrüter bequem auf Fuchs, Marder und Krähe. Füchse, Marder und Krähen waren schon immer die Fressfeinde der Bodenbrüter, dramatisch verschärft hat sich der Rückgang aber erst durch die Intensivlandwirtschaft, nicht durch die Prädatoren, die holen nur noch die Reste.
Tatsächlich wird nur auf Teilflächenlächen des EU-Vogelschutzgebietes Rheiderland derzeit Gelegeschutz durchgeführt (ELER/Profil), wofür die Bauern ebenfalls Fördermittel bekommen. Markierte Gelege werden aber schnell von Krähen gefunden. Auf einer Fläche von nur 411 ha (von insgesamt 8.685 Hektar Fläche des EU-Vogelschutzgebietes Rheiderland) findet derzeit Vertragsnaturschutz statt.
Dennoch ist auch das Rheiderland fast wiesenvogelleer; nasse, extensiv genutzte Wiesen mit Blütenpflanzen sind rar geworden. Man muss nur hinfahren und nachsehen. Man vergleiche z.B. die Pressekampagnen zum Erhalt des Spitzmaulnashorns, des Sibirischen Tigers oder des Orang Utans; vor unserer Haustür aber verschwinden die kaum noch bekannten heimischen Vogelarten fast unbemerkt von einer großen Öffentlichkeit, gefördert mit EU-Mitteln. Das ist die Realität der Intensivlandwirtschaft, nicht nur im Rheiderland, die aber leider mit Hilfe der Presse und eingebundenen Politikern nicht selten ganz anders dargestellt wird. Offensichtlich leben diese Landwirte unter einer realitätsverleugnenden Käseglocke.
Beispiel Hof Venema, Venema GbR:
Laut Webseite der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung „Öffentliche Zahlungen für das EU-Haushaltsjahr 2016 (Zahlungen für den Zeitraum 16.10.2015 – 15.10.2016)“ erhielt dieser Betrieb in 2016 insgesamt 65.505, 79 Euro an Zahlungen aus EU-Agrarfonds, also steuergeldfinanziert (neuere Daten liegen noch nicht vor). Allein aus dem Fond „ELER: Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen“ erhielt der Betrieb in 2016 die Summe von 22.668,89 €, die auch „zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität und Artenvielfalt (insbesondere Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie), sowie zur Erhaltung, Pflege und Gestaltung einer regionaltypischen Kulturlandschaft und eines traditionellen Landschaftsbildes“ beitragen soll. Was also tut der Betrieb Venema tatsächlich für den Artenschutz? Wie viel Fördergeld wird zum Erhalt und zr Förderung der Artenvielfalt verwendet, was genau geschieht mit dem Geld? Wer kontrolliert das? Diese Frage richtet sich nicht nur an den Betrieb Venema, sondern an alle Betriebe, die z.T. erhebliche EU-Summen dafür erhalten.
Link (.pdf der Landwirtschaftskammer Niedersachsen): Neubewertung der Gaenserast im Rheiderland_2008-2010_Frassschaeden
Nachtrag 10. Mai 2018:
Der Betrieb Venema hat nach hier vorliegenden Informationen erst vor 3 Jahren von ca. 100 auf > 300 Milchkühe mit riesigem neuen Laufstall aufgestockt. Zweifellos nagt der Betrieb also nicht am Hungertuch. Der Vater von Amos Venema, Landwirt Arnold Venema, ist Kommunalpolitiker der FDP im Kreistag von Leer. Er pflegt Kontakte zu Landes- und Bundespolitikern. Die taz hat 2014 über ihn berichtet: Ein konservativer Freigeist – Der Weltgewandte aus Jemgum.
Die Neuer Osnabrücker Zeitung berichtete am 09. Mai 2018 über den Betrieb Venema. Es sieht nach einer gezielten Aktion aus, um noch mehr Geld aus den Rastgänsen in ihren Schutzgebieten herauszuschlagen, der Vowurf der Kritiker lautet: „Der Berufsstand mit der stets offenen Hand – Lerne klagen ohne zu leiden“.
Neue Osnabrücker Zeitung, 09. Mai 2018: Jemgum. Gänse-Zoff in Niedersachsens Landesregierung: Umwelt- und Innenministerium streiten vor Gericht um die Kostenerstattung für Fraßschäden durch Wildgänse auf Weideflächen in Ostfriesland. Landwirt Amos Venema hatte eine entsprechende Rechnung geschrieben. […]
Amos Venema schreibt auf Facebook (Blog Agrar, 04. Mai 2018, 15:17):
Der erste Schnitt hat bei vielen Berufskollegen begonnen. Wir müssen leider noch lange warten bzw. auf den ersten Schnitt verzichten. Die Fraßschäden der Gänse sind sehr extrem und werden von Jahr zu Jahr immer mehr. Ein Durchschnittsbetrieb im Rheiderland hat mittlerweile bei 100 ha Fläche einen Schaden von über 60.000 € pro Jahr. Letztes Jahr hatten wir einen Verlust von 2500 Tonnen Futter zu beklagen. Bei einem Tagebedarf von 15 Tonnen sind das gut 150 Tage, die fehlen. Wer behauptet, dass die Gänse schon lange in Sibirien sind, braucht sich nur den kurzen Clip von heute anschauen! Die Gänsen fressen und fressen und fressen ……. jeden Tag mehrere Tonnen gutes Futter. Wenn man sich den Bereich in den Schutzkörben anschaut, könnten wir Anfang nächster Woche den ersten Schnitt machen und eine guten Ertrag erzielen. Von den zu mähenden 75 ha werden bei mehr als 25 ha die Schäden bei fast 100% liegen (siehe 2. Foto), bei etwa 50 ha liegen sie bei fast 50% (siehe 1. Foto). Die Gänse müssen deutlich reduziert werden, sonst verlieren bei dieser Zunahme der Gänse viele Familie ihre Existenz! Die Situation spitzt sich deutlich zu! Unsere Kühe brauchen Futter und dieses Futter wird zum großen Teil (mittlerweile zu 50% übers Jahr) von den Gänsen weggefressen, was für uns nicht mehr zu verkraften ist.
Aufgrund der sehr strengen Naturschutzgesetze in Deutschland dürfen wir die Gänse nicht vergrämen und müssen der Schadensentstehung wehrlos zu sehen. Die Schäden überschreiten die Sozialverträglichkeit des Eigentums, weshalb wir auch der Auffassung sind, dass der Staat in der Pflicht steht. Wir sollen mehr regionales Futter nutzen, weniger Kraftfutter einsetzen, effizienter mit den Stickstoffdüngern umgehen, die Gesundheit unserer Rinder erhalten, mehr Weidetage den Kühe bieten, mehr Tierwohl anbieten und umsetzen, mehr für die Artenvielfalt im Grünland tun, Wiesenvögel schützen, weniger Pflanzenschutz einsetzen …..
All diese sinnvollen Forderungen der Gesellschaft stehen in einem klaren Widerspruch zu diesen Maßen an Gänsen, die alles Grün fressen, was ihnen vor den Schnabel kommt. Alle guten Ansätze sind durch diese Gänseplage zum Scheitern verurteilt! Was wollen wir Gänse oder Kühe? Wir, Milchviehhalter, brauchen eine klare Antwort!