Der Wattenrat Ostfriesland nimmt – wie in fast jedem Jahr- Stellung zu den „Zugvogeltagen“, die derzeit wieder an der niedersächsischen Küste beworben werden. Zu begrüßen ist zunächst, so der Wattenrat, dass Zugvögel aus Nordeuropa und Asien eine große Aufmerksamkeit bekommen. Nur muss man den Eindruck haben, das es dabei weniger um die Zugvögel geht, sondern um die weitere touristischen Vermarktung der Küste mit dem Vehikel „Zugvögel“.
Wesentliche Belastungsfaktoren des Wattenmeeres und der Zugvögel werden bei der Propagierung der Zugvogeltage ausgeblendet. Der Vogelzug an der Küste beginnt bereits im Juli nach dem Abschluss der Brutzeit. In dieser Zeit boomt der Massentourismus an der Küste und auf den Inseln. Ruhige Rückzugsorte für die durchziehenden und rastenden Watvögel sind auch im Großschutzgebiet „Nationalpark Wattenmeer“ selten geworden.
Vielerorts werden in den Tourismusorten im Sommer enorm laute Höhenfeuerwerke abgebrannt, die mit ihren Lärm- und Lichteffekten kilometerweit in die Schutzzonen hineinwirken und Brut- oder Rastvögel vertreiben. Viele, eigentlich geschützte Salzwiesen der Außendeichsbereiche im Nationalpark, werden durch Gräben zu stark entwässert und nicht mehr beweidet. Das führte zu einer Überwucherung mit Quecke oder Disteln. Die Flächen werden von den Rastvögeln nicht mehr angenommen. Die an den Nationalpark grenzenden binnendeichs gelegenen Hochwasserrastplätze von Watvögeln, Enten und Gänsen wurden in den letzten Jahren mit riesigen Windparks überbaut, die einen erheblichen Scheucheffekt auf die Rastvögel ausüben und diese ehemaligen Rückzugsgebiete wertlos gemacht haben. Auf dem Zugweg über die Nordsee gefährden zudem großflächige Offshore-Windparks die Zugvögel. In der Außenweser, nur ca. 560 Meter vom Nationalpark entfernt, entsteht gerade der Nearshore-Windpark „Nordergründe„.
Gleich nach den Zugvogeltagen beginnt im Nationalpark (EU-Vogelschutzgebiet!) und in den außerhalb des Nationalparks angrenzenden europäischen Vogelschutzgebieten die Hobbyjagd auf bestimmte durchziehende Enten- und Gänsearten (sog. „Wasserfederwild“). Die Jagdzeitenverordnung in Niedersachsen ist durch die vielen Ausnahmen und Einschränkungen kompliziert und schwer durchschaubar. Durch die Jagd werden auch nicht jagdbare Zugvogelarten vertrieben oder es kommt zu Fehlabschüssen von Arten, die keine Jagdzeit haben. Auf Baltrum werden z.B. in einem Hotelrestaurant geschossene Gänse auf der Speisekarte angeboten, der Inhaber ist Gänsejäger („Abends verwöhnen wir Sie mit Fisch- und Wildspezialitäten aus unserer eigenen Jagd“). In den letzten Jahren wurden bei einigen durchziehenden Watvogelarten dramatische Bestandsrückgänge durch fachlich versierte ehrenamtliche Vogelzähler festgestellt, die z.T. seit Jahrzehnten an festen Zählstrecken ihre Daten erheben. Der Wattenrat bezweifelt daher, dass Einheimische oder Gäste mit dem beworbenen Wettbewerb „Zugvogel-Aviathlon“ tatsächlich qualifizierte und aussagekräftige Vogeldaten feststellen können. Dazu gehört eine gehörige Portion Artenkenntnis bei den schwerer bestimmbaren Arten, die man nur nach jahrelanger Erfahrung „vor Ort“ mit dem Fernglas erreichen kann.
Viel mehr Naturschutzinhalte beim Bewerben der Zugvogeltage und weniger Touri-Tamtam wären also wünschenswert. Die Schwurbeleien des Nationalparkleiters Peter Südbeck über ein „Netzwerk“ und „Miteinander für den Naturschutz“ im Nationalpark entsprechen kaum der Realität, es ist in der Tat ein Netzwerk der Naturvermarkter.
Mittlerweile tragen mehr als 50 Mitveranstalter zu dem vielseitigen Zugvogeltage-Programm bei. Neben Nationalparkhäusern und-zentren und anderen Bildungseinrichtungen gehören dazu auch Tourismusorganisationen, Hotels und Restaurants. Dabei geht es um mehr als den Mitnahme-Effekt eines naturtouristischen Angebotes: Die Partner werden selbst zu Akteuren des Naturschutzes und vermitteln ihren Gästen die Bedeutung des Nationalparks und Weltnaturerbes, auch durch eine nachhaltige Wirtschaftsweise im eigenen Betrieb. „Durch die Zugvogeltage ist es uns gelungen, ein Netzwerk zu schaffen, in dem das Miteinander für den Naturschutz und eine nachhaltige Entwicklung im Mittelpunkt steht.“ (aus der Veröffentlichung der Nationalparkverwaltung vom 29. Sept. 2017)
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Bearbeitet am 21. Okt. 2016