Acht Jahre „Weltnaturerbe“ Wattenmeer – Kinderkram?

Hinweisschild an der A31 im Rheiderland/Ostfriesland, Foto (C): Eilert Voß

Das UNESCO-“Weltnaturerbe“ Wattenmeer wird acht Jahre alt. Die UNESCO verleiht den Titel Weltnaturerbe für Regionen, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit weltweite Bedeutung haben. Der Vorschlag für diesen Titel wird bei der UNESCO von dem Staat eingereicht, in dem sich die besondere Region befindet. Gedanklicher Vater für die Wattenmeer- Titelverleihung in Deutschland war u.a. der ehemalige Bundestagsabgeordnete und niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP), der auch bis 2014 langjähriger Präsident der deutschen UNESCO-Kommission war. In Ostfriesland war es Walther Theuerkauf (SPD), der schon 2003 als damaliger Oberkreisdirektor des Landkreises Aurich die Ausweisung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer als „Weltnaturerbe“ mit vorantrieb, aus touristischen Vermarktungsgründen. Unterstützt wurde er von der Industrie und Handelskammer (IHK) für Ostfriesland und Papenburg. Theuerkauf, der auch fünf Jahre dem Nationalparkbeirat angehörte, war nicht gerade als Unterstützer des Naturschutzes im Wattenmeer bekannt. In Deutschland wurden die Wattenmeer-Nationalparke in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen mit dem neuen Etikett 2009 geadelt. Verfolgt man die Vorgeschichte bis zur Ausweisung des Wattenmeeres als „Weltnaturerbe“ und die Entwicklung danach wird eines deutlich: Das Etikett „Weltnaturerbe“ auf dem Wattenmeer dient ausschließlich der Tourismusindustrie und wurde dankbar auf alle möglichen Fremdenverkehrsorte oder Veranstaltungen geklebt. „Weltnaturerbe Wattenmeer“ führt bei Suchmaschinen häufig zu Tourismusanbietern. Auch die Nationalparkverwaltungen sind auf den Tourismuszug aufgesprungen. Besucht man deren Webseiten, fallen die vielen touristischen Angebote auf, Naturschutzmaßnahmen sind eher spärlich anzutreffen. Dabei ist der immer noch steigende Tourismusstrom an der Küste einer der Hauptbelastungsfaktoren für die freilebende Tierwelt, die ein Nationalpark eigentlich schützen sollte.

Hier auf den Wattenratseiten wurde über die Versäumnisse im Wattenmeernaturschutz – oder neue Eingriffe – in Niedersachsen  schon häufig berichtet. Erinnert sei nur daran, dass kurz nach der Ausweisung als „Weltnaturerbe“ von Cuxhaven bis Emden zahlreiche Kitespots für Kitesurfer im Großschutzgebiet Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer von der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven eingerichtet wurden, in den Zwischenzonen des Nationalparks, in dem sogar das Steigenlassen von Kinderdrachen gesetzlich verboten ist.

Der Lack ist ab: Kitesurfer im „Weltnaturerbe“ in Sahlenburg/Cuxhaven, Foto (C): Eilert Voß

Die Genehmigungen wurden in Absprachen mit den Küsten- und Inselkommunen ohne die eigentlich erforderlichen Verträglichkeitsprüfungen nach dem Bundesnaturschutzgesetz erteilt, im EU-Vogelschutzgebiet, das deckungsgleich mit dem Wattenmeer-Nationalpark in Niedersachsen ist. In den Natura-2000-Gebieten der europäischen Gemeinschaft gilt ein Verschlechterungsverbot. Kritiker bezeichneten die Einrichtung der Kitespots im Nationalpark und Vogelschutzgebiet als „Rechtsbeugung“ durch die Nationalparkverwaltung. Der Wattenrat hatte als einzige Naturschutzgruppe öffentlich zunächst auf den Etikettenschwindel „Weltnaturerbe“ und später auf den Missstand der Ausweisung von Kitespots hingewiesen. Von 15 „anerkannten“ und damit klagebefugten Naturschutzorganisation in Niedersachsen, von denen später nur laue Proteste zu hören waren, gab es keine Rechtsmittel gegen die Kitespots durch eine Klageeinreichung. Wenn man das Wattenmeer und „Weltnaturerbe“ tatsächlich besser schützen würde, gäbe es nichts zu kritisieren, aber saurer Wein wird bekanntlich durch bunte Etiketten auf den Flaschen auch nicht genießbarer. Mit behördlichen oder politischen Inszenierungen wird daher stets ein geschöntes Bild von der Situation im Wattenmeer gemalt.

Pünktlich zum achtjährigen Bestehen des „Weltnaturerbes“ wurde der Besuch eines Kindes bei der UN in New York mit viel Pressegeschwurbel medial inszeniert, um mit höchster Stelle, aber weitab vom Ort des Geschehens,  Aufmerksamkeit über das „Weltnaturerbe Wattenmeer“ zu verbreiten. Was wird man sich erst in zwei Jahren zum zehnjährigen Jubiläum einfallen lassen?

Norderney, Foto (C): Eilert Voß

Für den Schutz der Weltmeere nach New York – Wilhelmshavener Junior Rangerin repräsentiert das Weltnaturerbe Wattenmeer bei der UN-Vollversammlung“ titelte die Pressestelle der Nationalparkverwaltung am 16. Juni 2017 auf deren Webseite, „copy and paste“ von vielen Medien übernommen.

Das bundesweit tätige „Junior-Ranger-Programm“ ist ein Gemeinschaftsprojekt von EUROPARC Deutschland e.V., den Nationalen Naturlandschaften, unterstützt vom WWF Deutschland und der Town & Country Stiftung. Der Town und Country Stiftung gehören Firmen der Bauwirtschaft und Immobilienmakler an. So die Selbstdarstellung: Seit 2008 entwickeln wir gemeinsam das bundesweite Junior-Ranger-Programm, um Kinder für Natur, natürliche Dynamik und die Nationalen Naturlandschaften zu begeistern und ihr aktives Mitwirken zu ermöglichen.“ Dagegen ist nichts einzuwenden. Das praktizieren auch Pfadfinder und das bei Donald-Duck-Lesern bekannte „Fähnlein Fieselschweif“. Nur „Ranger“, die Aufsicht in Nationalparks führen sollen, sind Junior Ranger eben nicht. Ob die politisch instrumentalisierte 14-jährige „Junior-Rangerin“ aus Wilhelmshaven auch die eklatanten Missstände und Versäumnisse im Wattenmeerschutz bei der UN vorgetragen hat, kennt sie diese überhaupt?

Touristenbespaßung im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, Upleward, LK Aurich. Im Hintergrund ein Kabelverleger für die Offshore-Windkraftanbindung (TenneT), Foto (C): Eilert Voß

So sieht es im hochgejubelten Weltnaturerbe in Niedersachsen tatsächlich aus:

* ständig steigender Massentourismus, z.B. mit freilaufenden Hunden, vielen z.T hochmotorisierten Freizeitbooten, Kitesurfer in Schutzgebieten, Lenkdrachen, sommerliche Feuerwerke zur Touristenbespaßung

*  unzureichende Aufsicht im Schutzgebiet, in Niedersachsen sind es 12 hauptamtliche Ranger ohne Kompetenzen und Boote auf 3.500 qkm Nationalpark- und Weltnaturerbefläche, die Aufsicht führen und informieren

*Hobbyjagd auch auf Enten und Gänse im Nationalpark, auch in den strengsten Schutzzonen

* dramatischer Rückgang einiger Brut- und Rastvogelarten

* Baggergutverklappungen im Nationalpark

* örtlich desolater Zustand der Salzwiesen, entwässert und mit Quecke überwuchert, für Brut- und Rastvögel wenig attraktiv

* Überfischung und keine fischereifreie Referenzzonen

* Miesmuschelfischerei mit starken Eingriffen in das Wattensediment

* hoher Nährstoffeintrag aus landwirtschaftlichen Quellen

* Entwertung der Hochwasserrastplätze für Zugvögel im angrenzenden Binnenland – das auch Biosphärenreservat werden soll! – mit riesigen Windparks

* kaum noch intakte Wiesenbrüterlebensräume im angrenzenden Binnenland durch die von der EU subventionierten Intensivlandwirtschaft

Blick von Norderney auf das Festland, Foto (C): Eilert Voß

2016 stand dieser Satz auf der Webseite der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven: „Jetzt soll in Wilhelmshaven und Friesland eine Junior-Ranger-Gruppe gegründet werden, in der sich die Kids regelmäßig treffen können, um miteinander ihr Wissen zu erweitern und den Schutz der Natur in ihrer Heimat voran zu bringen.“ Das ist bis auf eine Ausnahme nicht zu bemängeln und sogar unterstützenswert, „den Schutz der Natur voranzubringen“ ist aber immer noch fachliche und vor allem staatliche Aufgabe und kein „Kinderkram“! Und genau diese Aufgabe wird in Deutschland immer noch vernachlässigt, trotz verbindlicher EU-Vorgaben durch die Natura-2000-Richtlinien.

Details sind im Heft 1/2017 der Zeitschrift „Nationalpark“ in diesen Beiträgen nachzulesen: Natura 2000 in Deutschland (.pdf) – oder hier im Heft 1/2015: Fünf_Jahre_Weltnaturerbe  (.pdf)

Der damalige Innenressortleiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentierte die Ausweisung des niedersächsischen Wattenmeeres als „Weltnaturerbe“ so:

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Seite 2, 29.Juni 2009:

Ein vorzügliches Marketinginstrument

Der Jubel und das Eigenlob unter Politikern sind groß, seit die Unesco das Wattenmeer zum Weltnaturerbe erklärt hat. Dass Windkraftwerke und Massentourismus das einzigartige Großbiotop gefährden, wird dabei gern verschwiegen.

Von Stefan Dietrich

[…] Man sollte annehmen, dass die Unesco-Kommission die Einhaltung von Naturschutzstandards vor der Titelverleihung geprüft hat. Möglicherweise hat sie sich aber auch davon blenden lassen, dass die ausgewiesenen Gebiete schon Nationalpark-Status haben. Der im ostfriesischen Esens ansässige Wattenrat, ein kleiner Zusammenschluss von Naturschützern an der Küste, beklagt seit langem, dass dieser Status zunehmend durchlöchert werde: Ausnahmegenehmigungen gibt es für touristische Nutzungen, für Gas-Pipelines und Stromleitungen durchs Wattenmeer, für Jäger, Fischer und Landwirte sowie für Windparks, von denen der Nationalpark regelrecht umstellt wird – künftig auch auf See. Mit den meisten bekannten Umweltverbänden liegt der Wattenrat übrigens über Kreuz, weil sie zugunsten des „Ökostroms“ beim Naturschutz die Augen zudrücken. Erleichtert hat die niedersächsische CDU/FDP-Regierung diese Genehmigungspraxis durch die Auflösung des Landesamts für Ökologie. Die entsprechenden Zuständigkeiten wurden in die Landkreise verlagert, die im Zweifel wirtschaftlichen Interessen den Vorrang vor denen des Naturschutzes geben. Welche Bedeutung Letzteren beigemessen wird, lässt sich vor allem an der personellen Ausstattung der niedersächsischen Nationalparkverwaltung ablesen. Sie beschäftigt ganze sechs hauptamtliche Mitarbeiter im Außendienst. […]

Hier der aktuelle Zeitungsbericht:

Anzeiger für Harlingerland, Wittmund/NDS, S. 9, 21. Juni 2017

14-Jährige repräsentiert Weltnaturerbe

WELTERBESTÄTTEN Silja Reiser aus Wilhelmshaven bei der UN-Vollversammlung in New York Vier Kinder aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden vertraten das Weltnaturerbe Wattenmeer.

NEW YORK/WILHELMSHAVEN/AH – Im Rahmen der World Oceans Conference in New York hat jüngst eine Gruppe von Kindern aus aller Welt vor der UN-Vollversammlung für den Schutz der Weltmeere für zukünftige Generationen plädiert. Über 30 Kinder aus mehr als zehn verschiedenen marinen Welterbestätten vertraten dabei die 49 marinen Welterbestätten der Welt. Vier Kinder aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden repräsentierten das Weltnaturerbe Wattenmeer – unter ihnen die 14-jährige Silja Reiser aus Wilhelmshaven. „Ich glaube, es hat die Politiker beeindruckt, dass der Appell von uns Kindern kam. Wir konnten zeigen, dass uns der Schutz der Meere am Herzen liegt“, berichtet Silja von ihren Erlebnissen in New York. Silja ist schon seit sechs Jahren Junior Rangerin im Nationalpark und Biosphärenreservat Niedersächsisches Wattenmeer und kennt sich mit der einzigartigen Natur an der Nordseeküste bestens aus. In der Junior- Ranger-Gruppe Wilhelmshaven- Friesland setzt sie sich für den Naturschutz ein, nimmt an lehrreichen Veranstaltungen teil und gibt ihr Wissen auch an andere weiter. […]

 
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