Am 25. August 2016 fand der 11. Wattenmeertag in Wilhelmshaven statt. Thema dieser Veranstaltung: Die negative Bestandsentwicklung der Zugvögel im Wattenmeer (Die Pressemitteilung dazu ganz unten). Nichts Genaues zum z.T. dramatischen Rückgang einiger Zugvogelarten im Wattenmeer (Nationalpark und „Weltnaturerbe“) weiß man jedoch nicht, und das bringt wieder neuen Sprechblasennaturschutz zum Blähen. Zitat Peter Südbeck, Leiter des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer: „Die Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe im Jahre 2009 hat zu einer erhöhten Akzeptanz in der Region geführt, die einen noch wirksameren Naturschutz ermöglicht.“ Was für ein Unsinn. Das Weltnaturerbe wurde für die stärkere Tourismuswerbung eingerichtet, nicht für den Naturschutz. Wo dieser „noch wirksamere Naturschutz“ tatsächlich stattfinden soll, lässt er unerwähnt. Es gibt ihn nicht.
Sicher gibt es aber die zahlreichen abträglichen Lebensraumveränderungen auf der gesamten Zugroute der Zugvögel, nicht nur in Deutschland. Aber auch in Deutschland sterben die Wiesenvögel, zu denen auch die Limikolen des Wattenmeeres gehören, als Brutvögel langsam aus. Ursache ist die europaweite Intensivierung der Landwirtschaft: Entwässerung, Bodenverdichtung, Pestizideinsatz, häufiges Befahren mit schwerem Gerät. Internationale Abkommen zum Schutz stehen nur auf dem Papier und entfalten keine Wirkung.
Der dramatische Rückgang vieler Watvogelarten des Feuchtgründlandes ist zudem seit mindestens 2001 bekannt: The Kollumerpomp Statement
Vor der eigenen Haustür könnte man sofort anfangen, um die Situationen für Zug- und Brutvögel zu verbessern. Peter Südbeck und der „grüne“ Umweltminister Stefan Wenzel wissen, woran es in diesem „Nationalpark“ hapert und was sofort abgestellt werden könnte:
* Die Jagd auf Zugvögel (bestimmte Enten- und Gänsearten) ist auf den Inseln für Freizeitjäger an zehn Tagen im Jahr erlaubt, die Jagd auf diese Arten (und zusätzliche) in den angrenzenden EU-Vogelschutzgebieten außerhalb des Nationalparks ebenfalls. Durch die Jagd werden auch nicht jagdbare Arten weiträumig von ihren Rast- und Nahrungsplätzen vertrieben. Die Landesjägerschaft in Niedersachsen darf sich „anerkannter Naturschutzverband“ nennen, ist damit klagebefugt und wird an Verwaltungsverfahren zusammen mit den „Trägern öffentlicher Belange“ beteiligt.
* Viele Salzwiesen (strengste Schutzzone!) des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer werden mit schwerem Gerät des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten-und Naturschutz (ja, Naturschutz!) entwässert, trocknen aus und überwuchern mit Quecke. Die Flächen sind für Rast- und Brutvögel wenig attraktiv. Schonendere Eingriffe mit einer extensiven Beweidung würden zu einer Wiederbesiedelung mit artenreichen Salzwiesenpflanzen führen. Einen wirksamen Managementplan gibt es nicht.
* Große Rastvogellebensräume in unmittelbarer Nationalparknähe werden seit zwei Jahrzehnten gezielt mit Wind“parks“ vollgestellt, allein durch den Scheucheffekt der Anlagen fallen dadurch riesige Rastflächen für den Vogelzug aus. Die Genehmigungspraxis der Landkreise missachtet vielerorts ausreichende Abstände zu den deichnahen Vogelschutzgebieten.
* Die Auswirkungen der Fischerei mit dem hohen Beifang (für die gewünschte Zielart wird bis zu dem Achtfachen unerwünschter Beifang vernichtet) und der Muschelfischerei im Wattenmeer auf das Ökosystem haben möglicherweise auch Auswirkungen auf die Nahrungsgrundlage von einigen Zugvogelarten. Vor allem die Pazifische Auster, die als Ersatz für die überfischte und ausgestorbene Europäische Auster von Fischereibetrieben in der Schelde (Niederland) sei den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts und auf Sylt als „Sylter Royal“ kultiviert und vermarktet werden, haben zu Nahrungsprobleme z.B. für Eiderenten und Austernfischer geführt. Die aus den Muschelbetrieben stammenden Austern haben inzwischen das gesamte Wattenmeer besiedelt und teilweise die Miesmuschelbänke großflächig verdrängt. Die eulitoralen – mit Ebbe und Flut trockenfallend oder mit Wasser bedeckt – Miesmuschelbänke haben in den letzten Jahren dramatisch abgenommen, vor allem durch die hier betriebene Miesmuschelfischerei. Die Wiederbesiedelung des Sediments nach dem Abfischen wurde erheblich beeinträchtigt. In den nun entstandenen Austernbänken wachsen zwar auch Miesmuscheln heran, sind aber für die einige Vogelarten wesentlich schwerer zu erreichen. Milde Winter – die an der Küste nichts Ungewöhnliches sind – haben die Vermehrung der Pazifischen Austern begünstigt. Der Hinweis auf den angeblichen „Klimawandel“ ist fragwürdig, bequem, entspricht dem politischen Zeitgeist und ist als Ursache des Zugvogelrückganges wenig plausibel.
* Der Massentourismus im „Weltnaturerbe“ und Nationalpark beeinträchtigt die entlegensten Rückzugsräume für Vögel. Enorm störend können Geocacher, Lenkdrachen,freilaufende Hunde oder auch Kitesurfer sein. Das für den Vogelschutz abträgliche Kitesurfen wurde erst nach der Ausweisung als „Weltnaturerbe“ ab 2009 von der Nationalparkverwaltung zusammen mit den Fremdenverkehrskommunen an mehr als 20 „Spots“ im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zugelassen, mit „Befreiungen“, die nach dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 67 BNatSchG) eigentlich nur bei einem „überwiegenden öffentlichen Interesse“ zulässig sind. Das trifft für diese kleine Trendsportartengruppe in diesem Großschutzgebiet zweifellos nicht zu.
* Südlich angrenzend an den Nationalpark befinden sich das große EU-Vogelschutzgebiet „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“. Hier werden direkt an den Grenzen des Schutzgebietes riesige Windkonverter geplant oder derzeit repowert. In diesem entstellten und landwirtschaftliche übernutzten Gebiet soll ein „Biosphärenreservat“ entstehen. Ohne Bewirtschaftungsauflagen für die Landwirtschaft wird aber auch das Makulatur und nur ein weiteres Etikett bleiben. Es ist schon jetzt abzusehen, dass die gut organisierte Landwirtschaftslobby, von Subventionen gespeist, evtl. Auflagen nicht hinnehmen und sich im Gegenteil als Retter der Kulturlanschaft darstellen wird.
Einige Brutvogelarten wie See- und Sandregenpfeifer und Zwergseeschwalben als Strandbrüter haben gerade durch den Massentourismus ebenfalls dramatisch abgenommen. In diesem Zusammenhang von „noch wirksameren Naturschutz“ zu schwätzen ist Propaganda, Desinformation und eine Frechheit.
Die EU-Vogelschutz- oder die FFH-Richtlinie (Natura-2000-Richtlinien) als verbindliches Regelwerk für alle EU-Staaten haben sich hier als wenig wirksam erwiesen. Die EU-Kommission kennt die Entwicklung an der Küste, schaut aber weg. Sie verlässt sich auf die „offiziellen“ geschönten Angaben das Landes Niedersachsen. Auch von den 15 „anerkannten“ und klagebefugten Naturschutzverbänden hört man wenig. Schein und Sein dieses Nationalpark klaffen weit auseinander! Es wäre hilfreich, wenn sich „die Wissenschaft“ auch zu solchen Themen äußern würde.
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Gemeinsame Presseinformation der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer und des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats
25.08.2016Zugvögel bleiben Sorgenkinder
Der 11. Wattenmeertag widmete sich der Frage „Das Wattenmeer – eine verlässliche Drehscheibe für den Vogelzug?“
Gruppenbild mit Teilnehmern des WattenmeertagsV.l.n.r.: Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung
Niedersächsisches Wattenmeer, Juliana Köhler, Geschäftsführerin des UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrums Wilhelmshaven, Andreas Wagner, Oberbürgermeister der Stadt Wilhelmshaven, Elsa Nickel, Abteilungsleiterin für Naturschutz im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Stefan Wenzel, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vogelforschung, Wilhelmshaven, Jaap Verhulst, Vertreter des zuständigen niederländischen Ministeriums, Rüdiger Strempel, Leiter des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats, Wilhelmshaven. Foto: J. Wagner/NLPVRund 90 Fachleute aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden trafen sich heute im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum Wilhelmshaven, um über die Entwicklung der Zugvogelbestände im Wattenmeer zu diskutieren. Zum jährlichen Wadden Sea Day laden die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer und das Gemeinsame Wattenmeersekretariat seit 2006 gemeinsam ein. Anlässlich des 30. Nationalpark-Geburtstages wurde erneut die Kooperation der Wattenmeerländer zur Bühne für eine fachliche Diskussion zum Schutz des Wattenmeeres.
Das Wattenmeer hat für die Zugvögel eine herausragende Bedeutung als Rast-, Mauser- und Überwinterungsplatz. Jedes Jahr machen zehn bis zwölf Millionen Vögel in den Wattgebieten entlang der niederländischen, deutschen und dänischen Küste Station, wo sie geeignete Ruheplätze und Nahrung finden, um ihre oft tausende Kilometer lange Reise auf dem Ostatlantischen Zugweg zwischen Arktis und Afrika zu bewältigen.
Bereits beim 1. Wattenmeertag in 2006 war ein alarmierender Rückgang der Zugvogelbestände thematisiert worden. Trotz der seither ergriffenen vielfältigen Maßnahmen sei die Bestandsentwicklung vieler Vogelarten, wie z.B. Austernfischer oder Rotschenkel, nach wie vor ungünstig, stellte Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung, fest. Dennoch befinde man sich insgesamt auf einem guten Wege: „Die Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe im Jahre 2009 hat zu einer erhöhten Akzeptanz in der Region geführt, die einen noch wirksameren Naturschutz ermöglicht.“ Dazu gab es in den vergangenen Jahren viele Beispiele in Naturschutz, Forschung und Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit. Zudem begännen auch internationale Kooperationen wie die „Wadden Sea Flyway Initiative“ Wirkung zu zeigen.
Der niedersächsische Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Stefan Wenzel, wies ebenfalls auf die Bedeutung einer internationalen Zusammenarbeit entlang des gesamten Ostatlantischen Zugwegs für den Vogelschutz hin: „Der Knutt und die Brandseeschwalbe kennen keine Reisepässe, keine Grenzen und Nationalitäten. Zweimal im Jahr machen sie auf ihrer Reise zwischen der Arktis und Afrika eine Rast im Wattenmeer. Die Vögel zeigen uns, wie wichtig internationale Kooperation und Zusammenarbeit beim Erhalt der Artenvielfalt, beim Naturschutz und beim Klimaschutz ist.“
Professor Dr. Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven, betonte die Bedeutung der funktionalen Konnektivität: Faktoren, die sich auf die Entwicklung der Zugvogelbestände auswirken, lägen häufig außerhalb des Wattenmeeres, das nur eine – wenn auch wichtige – Etappe auf dem Ostatlantischen Zugweg darstelle. Der Schutz müsse insgesamt in die Betrachtung einbezogen werden.
Die Tagungsteilnehmer stimmten darin überein, dass für einen wirksamen langfristigen Schutz der Zugvögel die weitere Entwicklung der Forschungsarbeit mit innovativen Methoden sowie der Ausbau internationaler Kooperationen unerlässlich ist. Dabei seien aber „nicht nur Abkommen und Gesetze wichtig, sondern auch eine entsprechende Kultur“, stellte Jaap Verhulst als Vertreter des zuständigen niederländischen Ministeriums fest. Diese schließe auch die Umweltbildung zur Vermittlung der einzigartigen Bedeutung des Weltnaturerbes Wattenmeer ein.
Rüdiger Strempel, Leiter des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats, wies abschließend darauf hin, das Ziel des breiten Netzwerkes zum Schutz des Wattenmeeres bleibe, stets eine internationale Perspektive für Forschung und Naturschutz zu stärken, damit entlang des gesamten Zugweges der Schutz der Vögel verbessert werden kann. „Das ist eine große Herausforderung, für die die Wattenmeerkooperation gut gerüstet ist“, resümierten Strempel und Südbeck.