Am 30. Mai 2016 feierte die CDU-Landtagsfraktion den 30ten Geburtstag des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer im Wilhelmshavener Wattenmeer-Besucherzentrum. Zwei Mitarbeiter des Wattenrates gehörten zu den geladenen Gästen aus Verwaltungen, der Jägerschaft, den Deichverbänden, der Sportbootfahrer und der Küstenfischerei, um nur einige zu nennen. Außer dem kalten Buffet, dem schönen Wetter und dem Blick über den Jadebusen ist eigentlich nichts erwähnenswert. Wie erwartet, wurde in den Redebeiträgen über einen Nationalpark referiert, den es so gar nicht gibt, u.a. so: „Ziel müsse sein, die Nordsee als intakten Naturraum auch für künftige Generationen zu erhalten“. Dieses Ziel wurde bereits vor 30 Jahren bei Gründung des Nationalparks angestrebt, und davon ist man nach wie vor sehr weit entfernt. Das Wattenmeer ist durch die vielfältigen Nutzungen keinesfalls ein „intakter Naturraum“, die Leserinnen und Leser unserer Wattenmeer-Webseiten müssten das eigentlich wissen. Im Vordergrund der Grußworte stand die Aufwertung für den Tourismus und die „Wertschöpfung“. Die dramatischen Brutvogelrückgänge, der desolate Zustand vieler Salzwiesen (strengste Schutzzonen), die vielen zugelassenen Nutzungen und die abträglichen Auswirkungen des Massentourismus wurden nicht thematisiert. Naturschutz war nur ein Randthema.Der überwiegende Teil der Gäste machte nicht gerade den den Eindruck, mit dem tatsächlichen Zustand des Wattenmeeres und den angrenzenden Bereichen vertraut zu sein. Peter Südbeck als Nationalparkleiter lobte mit den bekannten Sprechblasen selbstbeweihräuchernd „seinen“ Nationalpark und warb für ein Biosphärenreservat hinter dem Deich. Das ist dort, wo die industriealisierte Landwirtschaft lebensfeindliche Maisäcker, Rapsfelder oder insektenfreie Einheitsgrasflächen bewirtschaftet, auch in den sogenannten „EU-Vogelschutzgebieten“! Die eigentlich streng geschützten Wiesenvögel kommen hier kaum noch vor, die letzten Gelege oder Jungvögel werden für die Futtersilage schon früh und weitgehend ausgemäht, Insekten für die letzten Jungvögel fehlen. Dazu kommen die riesigen Windparks entlang der Küste, die von vielen Vogelarten weiträumig gemieden werden. Die Natura-2000-Richtlinien der EU sind hier Makulatur, aber das merkt eben nicht jeder. Herr Südbeck als ausgewiesener Ornithologe sollte das aber wissen und daher auch thematisieren. Außer Fahrtkosten und ein paar interessanten Kontaktgesprächen mit einigen „Nationalparkveteranen“ am erwähnenswerten kalten Büffet ist also nichts gewesen.
Ablage „P“
Die Gegenrede des Wattenrates mit Beispielen aus dem maroden Nationalpark, rechtzeitig vor der Veranstaltung an die Presse verschickt, landete vermutlich in den Papierkörben der Redaktionen. Lesen konnte man hinterher nur Jubelberichte von der Veranstaltung in den Lokalzeitungen an der Küste. Die ersparen wir unserer Leserschaft, sie machen nur ärgerlich.
„Bruno“, die Schaufensterpuppe
Viel spannender dagegen war die Eröffnungsfeier des Nationalparks vor 30 Jahren im März 1986 in einem Restaurant in Wilhelmshaven. Auch damals waren Eilert Voß und Manfred Knake, die heute im Wattenrat mitarbeiten, dabei. Vor dem Restaurant wartete ein Pressepulk auf den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU), der die Eröffnungsrede halten sollte. Als alle Gäste Platz genommen und Ernst Albrecht gerade seine Rede beendet hatte, trat Gottfried Vauk, der ehemaligen Leiter der Außenstelle Helgoland der gleichnamigen Vogelwarte ans Rednerpult. Vauk war auch als passionierter Jäger bekannt. Plötzlich öffnete sich hinter Vauk der Vorhang einer Nebentür und hereingeschoben wurde eine als Waidmann drapierte Schaufensterpuppe, sie trug eine Flintenattrappe und ein Schild mit der Fraktur-Aufschrift „Wie edel ist die Wattenjagd?“ um den Hals. Geführt wurde die Schaufensterpuppe „Bruno“ (so hatten wir sie „getauft“) von Eilert Voß, der sie neben Gottfried Vauk abstellte. Sofort wurde Eilert von Sicherheitsbeamten umringt und zurückgedrängt, alle Kameras richteten sich, wie vorher vor der Tür abgesprochen, auf ihn und Bruno. Eilert Voß hatte sich mit Mitstreitern jahrelang gegen die Ausübung der Jagd auf Zugvögel im Wattenmeer aus eingegrabenen „Poolfässern“ mit angepflockten Lockenten und vom Rande der Salzwiesen eingesetzt und wurde dabei auch beschossen. Später wurde er von einem Jäger durch einen Steinwurf schwer an einem Auge verletzt.
Die Veranstaltung ging nach Brunos Auftritt wie geplant weiter – die Sicherheitsbeamten sollen „dem Vernehmen nach“ einen gehörigen „Anschiss“ erhalten haben -, aber die Wattenjagd wurde – genau wie die Herzmuschelfischerei – nach dem Regierungswechsel 1990 von der SPD-geführten Landesregierung (Kabinett Schröder mit Umweltministerin Griefahn) eingestellt. Nach wie vor ist aber auf den Inseln zur Bespaßung der Inseljäger die Jagd auf bestimmte Enten und Gänse, auch Zugvögel, erlaubt.
Harmoniesauce
Nutzungskonflikte, die nach wie vor im Nationalpark vorhanden sind, werden heute mit rhetorischer Harmoniesauce zugekleistert. Von den Naturschutzverbänden in Niedersachsen hört man kaum noch Kritisches zu der abträglichen Entwicklung im und am Großschutzgebiet Nationalpark, der seit 2009 als „Weltnaturerbe“ touristisch vermarktet wird. Zuletzt erstellten die Verbände unter erheblicher Mitarbeit des Wattenrates 2006 eine kritische Nationalparkbilanz, die vorher in Fünfjahresrhythmus veröffentlicht wurden. Auch das ist Geschichte.
Man muss dabei berücksichtigen, dass die letzte „Bilanz“ in sich sehr widersprüchlich ist, aufmerksame Leser werden das schnell feststellen. Schon vor zehn Jahren gab es durchaus unterschiedliche Interessen und Wahrnehmungen der elf an der Bilanz beteiligten Umweltorganisationen. BUND, NABU und andere Verbände agierten mit ihren Mitarbeitern von ihren Schreibtischen aus dem fernen Hannover oder dem Oldenburgischen.
Nachtrag:
Am 11. Juni 2016 druckte die Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“ aus Wittmund den nachstehenden Leserbrief von Reiner Schopf ab. Schopf war von 1973 bis 2003 Inselvogt und Vogelwart auf der Vogelinsel Memmert bei Juist im Nationalpark Nds. Wattenmeer. Er war auch hauptamtlicher Nationalparkranger, der sich nicht scheute, Missstände öffentlich zu benennen. Schopf ist Wattenrat-Mitarbeiter und lebt
heute in MeckPomm. Die Eindrücke seiner Dienstzeit auf der Insel schildert er hier: Die achte Insel.
Anzeiger für Harlingerland, Wittmund/NDS, S. 12, 11. Juni 2016
Leserbrief
Ideal und Wirklichkeit weit auseinander
Betrifft: 30 Jahre Nationalpark Wattenmeer
Es gibt sie also, die Parallel- Universen. Der Berichterstattung über die CDU-Veranstaltung zu 30 Jahren Nationalpark kann man es entnehmen: Dank der Anstrengungen aller Eierdiebe, Fun- Sportler, Feuerwerkszünder, Zugvogeljäger, Touristenscharen, Lenkdrachenpiloten, Fischer, Hundebesitzer, Windmüller und sonstigen Naturfreunde ist der Idealzustand erreicht. Nur zwei Probleme gilt es noch zu lösen: Die
Meeresverschmutzung und den Klimawandel, die immer gut sind, um von der Realität vor Ort abzulenken. Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung, fügt sich als oberster Gesundbeter nahtlos in das Scheuklappenkonzept ein. Störend ist nur, dass die Zahl der brütenden und rastenden Vögel dramatisch zurückgeht, die Salzwiesen von Quecken überwuchert werden und so für Küstenvögel unattraktiv sind, dass es keine nutzungsfreie Zonen gibt oder das Problembewusstsein bei den Verantwortlichen so ausgeprägt ist, wie das der deutschen Autobauer. Anders gesagt: Ideal und Wirklichkeit sind so weit voneinander entfernt wie die Nordsee von Palmenstränden. Vermutlich müssen auch die verbliebenen Vögel zu Raritäten werden, bevor bewusst wird, dass Naturschutz – die beste, die lebenswichtigste Sache der Welt – wie Horst Stern einmal schrieb, mit Schönfärberei nicht umzusetzen ist. Nicht einmal die Naturschutzverbände schämen sich für ihren Opportunismus und stimmen in die Loblieder mit ein.Reiner Schopf Jakobsdorf
Aktualisiert am 10. Juni 2016