Zuletzt aktualisiert: 12. Juni 2016
Hinweis für die Nur-Überschriftenleser: Im mittleren Teil dieses Beitrages finden Sie die Namen der Holtriemer Ratsmitglieder (mit Handelregisternummern), die an der Windkraft finanziell beteiligt sind. In Westerholt (Samtgemeinde Holtriem) im LK Wittmund/NDS befindet sich das Nest der Windkraftbetreiber der Region, ein Netzwerk aus Investoren und Kommunalpolitikern…
—-
„Wir haben die Schnauze voll“ war auf einem Protestplakat auf einer Demonstration am 12. Mai 2016 gegen noch mehr Windkraftanlagen in der Samtgemeinde Holtriem (Westerholt/Landkreis Wittmund/NDS) zu lesen.
Die Anlieger von Windkraftanlagen wissen, wovon sie reden: Der tieffrequente Schall bestimmter Anlagentypen dringt hunderte Meter weit durch Dächer und Wände und wirkt direkt auf den Körper, sogar Vibrationen an den Häuserwänden sind zu spüren. An einen geregelten und erholsamen Schlaf ist nicht mehr zu denken. Anwohner berichten vermehrt über gravierende Schlaf- und Organstörungen, die auch Kinder belasten, die dann unausgeschlafen zur Schule erscheinen. Die Genehmigungsbehörden der Landkreise sitzen diese vorsätzliche Körperverletzung aus, sie verweisen auf die Lärmmessungen, die von den Investoren in Auftrag gegeben werden. Es handelt sich dabei um „Lärmprognosen“, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben müssen. Zahlreiche Einwendungen der Anwohner gegen weitere Anlagen und den zu erwartenden Lärm wurden vom Landkreis Wittmund zurückgewiesen, die öffentlichen Anhörungen der Einwender waren eine Farce. Eigene Messungen von den Betroffenen, die auch den Körperschall erfassen und sich wesentlich von den herkömmlichen und kaum nachvollziehbaren Werten der Betreibergutachten unterscheiden, sind, ebenso wie Anwalts- und Gerichtskosten, sehr teuer und können daher von den Anliegern kaum bezahlt werden. Dennoch stimmen die Ratsmitglieder, nicht nur in Westerholt, unverdrossen weiter für noch mehr Windkraftanlagen. Einige von ihnen stellten vorher die Flächen über die Flächennutzungspläne per Mehrheitsbeschluss bereit, und verdienen später selbst an den Anlagen als beteiligte Kommanditisten.
Also trafen sich ca. 50 Personen der umliegenden Ortschaften zu einer spontanen Demonstration anlässlich einer Ratssitzung vor dem Rathaus der Gemeinde, um gegen die Weigerung des Samtgemeinderates zu protestieren, eine Bürgerbefragung zur Windkraftnutzung zuzulassen. Die meisten Ratsmitglieder, auch der Bürgermeister der Mitgliedsgemeinde Neuschoo und Landtagsabgeordnete Holger Heymann (SPD), der für das Amt des Landrats in Wittmund kandidieren will, gingen wortlos an der Demonstrantengruppe vorbei. Bereits im Juni 2015 bekamen die Ratsmitglieder Holtriems erheblichen „Wind von vorne“ auf einer Bürgerversammlung, die von der Initiative „Vernunftkraft.de“ organisiert worden war.
Eine Bürgerbefragung wird es auch in Zukunft nicht geben, beschloss der Samtgemeinderat dann schließlich auch auf der Sitzung, man müsse sonst mit kostspieligen Regressansprüchen des Investors rechnen.
Tatsächlich reichen die Anfänge der Planungen der nun kritisierten zehn weiteren Anlagen in der Mitgliedsgemeinde Ochtersum mindestens neun Jahre zurück. Erst als die Investoren ihre stillen und heimlichen Landanpachtungen und -aufkäufe sowie die Überwegungsrechte in trockenen Tüchern hatten, beschloss der willfährige Samtgemeinderat in Holtriem die Flächennutzungspläne, passend für die örtlichen Betreiber.
Die Bekanntmachung erfolgte in einem kleinen Aushangkasten, aber nicht „rechtzeitig und umfassend“, wie es die Niedersächsische Kommunalverfassung als Kannbestimmung vorsieht. Jedes Grillfest im Dorf wird bunter und häufiger angekündigt, nur bei weitreichenden und millionenschweren Investitionen, die die Bürgerinnen und Bürger – auch in den Nachbargemeinden! – direkt betreffen, berufen sich die Kommunalpolitiker auf den unscheinbaren Aushangkasten. Damals, bei Beginn der Planungen durch den Investor, hätte man rechtzeitig eine Bürgerbefragung vor (!) dem Beschluss über den Flächennutzungsplan durchführen können. Und nun heißt es dreist: „Aus Gründen der Rechts- und Planungssicherheit (…) kann eine abwägungsfehlerfreie Änderung oder Aufhebung nicht begründet werden.“
Die Planungsfläche in Ochtersum ist ein wertvoller Vogellebensraum und sollte laut – veraltetem – Landschaftsrahmenplan des Landkreises Wittmund als Wiesenvogellebensraum entwickelt werden. Nun wird die Fläche zum Windindustriegebiet.
So wird Kommunalpolitik stets gegen die betroffenen Bürger und nur für die Investoren gemacht. Mindestens zwölf Holtriemer Ratsmitglieder sind an Windkraftprojekten renditeorientiert in der Gemeinde laut Handelsregisterauszügen beteiligt und haben auch – sofern im Samtgemeinderat – bei früheren F-Plänen mit abgestimmt. Das ist in Niedersachsen sogar erlaubt, aber dennoch fragwürdig und eigentlich mit einem Geschmäckle versehen, sozusagen „legale Vorteilsnahme um die Ecke“, oder gar Bananenrepublik? Laut § 41 der Niedersächsischen Kommunalverfassung gilt ein Miwirkungsverbot nur bei einem „unmittelbarer“ Vorteil, die Bereitstellung von Flächennutzungsplänen für eine bestimmte Nutzung zählt nicht dazu, auch wenn das Ratsmitglied dadurch absehbar einen Vorteil erlangt. Im Rat werden also auch ganz andere Interessen vertreten als die des „Gemeinwohls“.
Anzeiger für Harlingerland, Wittmund, S. 7, 14. Mai 2016
Dirks: „Hier hat keiner gegen Gesetze verstoßen“
WINDKRAFT Ratsherren weisen Behauptungen einiger Einwohner zurück – Keine Bürgerumfrage in der Samtgemeinde Holtriem […] SPD-Fraktionsvorsitzender Hinrich Möhlmann äußerte sich zu einigen Formulierungen in den Anträgen der Bürgerinitiativen: „Wir haben keine Windparks genehmigt, um daran selbst zu verdienen. Wer das behauptet, sollte Ross und Reiter nennen und Beweise bringen.“ Dazu ergänzte Dirks: „Hier hat kein Ratsherr gegen Gesetze verstoßen. Es ist rechtlich alles in Ordnung.“ Die vorhandenen Befangenheitsrichtlinien seien nicht zum Tragen gekommen.
Die von Holtriemer Ratsmitgliedern in der Presse beleidigt geforderte Nennung von „Ross und Reitern“ und die „Beweise“ für die finanzielle Verquickungen einiger Kommunalpolitiker mit der Windenergienutzung gibt es durchaus, die nachstehende Liste ist jedoch nicht vollständig, es liegen noch nicht alle – kostenpflichtigen – Handelsregisterauszüge vor! Die damit verquickten Flächeneigentümer sind ebenfalls nicht vollständig bekannt. Die Windparkgesellschaft „Norderland“ verfügt über ein verzweigtes Netz von Gesellschaften mit unterschiedlichen Namen, was die Recherche erschwert. Die Höhe der Einlagen ist bekannt, wird aber hier nicht genannt. Bitteschön, „Ross und Reiter“, wie gewünscht:
Handelsregisterauszüge Amtsgericht Aurich HRA 200802 (An´t Otjetief GmbH & Co.KG) und HRA 2369 (An´t Grotschloot GmbH & Co. KG), persönlich haftender Gesellschafter ist die „Windpark Norderland Naturstrom GmbH“ in Westerholt (HRB 1760, ausgeschieden 2010). Jetzt: persönlich haftender Gesellschafter „Windpark Norderland Verwaltungs GmbH“, Westerholt (Amtsgericht Aurich, HRB 1569, Stand 2015)
Kommanditisten aus der Kommunalpolitik in der Samtgemeinde Holtriem, die jeweilige Parteizugehörigkeit ist von der WebSeite der Kommune nicht zu entnehmen:
Mitgliedsgemeinde Eversmeer:
Johanne Brüling (verwandt mit den Investoren Eisenhauer und Böttcher)
Egon Kunze (SPD), Bürgermeister von Eversmeer. Kunze wird bei der E&B Beteiligungs GmbH (HRB 200748) als Geschäftsführer und Gesellschafter geführt. Die E&B ist eine Vermögensverwaltung der Windkraftinvestoren Eisenhauer und Böttcher (Norderland, mit Sitz in Westerholt). Kunze kandidiert 2016 für das Amt des Samtgemeindebürgermeisters in Holtriem.
Mitgliedsgemeinde Nenndorf: Erwien Niehuisen (SPD)
Mitgliedsgemeinde Schweindorf:
Arno Dringenberg
Arnold Foken
Georg Goldhammer (ausgeschieden 2014, an Familienmitglied übertragen)
Gerhard JochimsMitgliedsgemeinde Utarp:
Jochen Ahrends (CDU), Harmine Bents (Bürgermeisterin SPD), Georg Goldenstein, Rolf Heyen, Helmut Janssen,Mitgliedsgemeinde Westerholt:
Harm Poppen (CDU), der sich 2005 öffentlich vehement gegen die Hochspannungsleitungen der Offshore-Windparks wandte, aber den Ausbau der Windenergie in der Samtgemeinde Holtriem ebenso vehement unterstützte. Zitat aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 22.01.2005:„Er vergleicht die Trassen mit den ´Todesstreifen´ entlang der früheren innerdeutschen Grenze, ´Die Masten sind 70 Meter hoch und haben Seitenarme mit je 30 Metern. Man muss wohl einen Sicherheitsabstand halten.`“ Die neuen Windkraftanlagen in Holtriem sind fast dreimal so hoch und ohne „Sicherheitsabstand“ zur Wohnbebauung!Mitglieder im Samtgemeinderat Holtriem, die über die Flächennutzungspläne zur Windkraftnutzung beschließen:
Jochen Ahrends (CDU), Egon Kunze (SPD), Harm Poppen (CDU), Harmine Bents (SPD)
Anlässlich des Neujahrsempfangs in der Gemeinde Eversmeer äußerte sich Bürgermeister Kunze in der Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“ am 11. Januar 2016 so zur Windenergie: „[…] Am Rande der Veranstaltung sagte Kunze, dass Eversmeer in den vergangenen Jahren vor allem für „Windmühlenauswanderer“ aus den umliegenden Gemeinden interessant geworden sei. Schließlich gebe es in seiner Kommune mit dem Ewigen Meer ein Naturschutzgebiet, das den Bau der mittlerweile in der Bevölkerung umstrittenen Windmühlen rechtlich nicht zulasse. […]“ Im windkraftfreien Ort Eversmeer im Kolonatenweg Nr. 6 haben mindestens acht Windkraftbetreibergesellschaften ihren eingetragenen Sitz. Im Haus Nr. 6 wohnt Wichert Brüling, Schwager von Johanne Brüling, die Ratsmitglied in Eversmeer/Samtgemeinde Holtriem ist. Wichert Brüling ist Kommanditist einiger Betreibergesellschaften. Der Produktionsleiter der Herstellerfirma Enercon, Klaus Peters, wohnt praktischerweise auch in Westerholt und ist weitläufig mit einem der Investoren der „Norderland Naturstrom“ verwandt, sein Schwiegervater war bis 2007 Kämmerer der Samtgemeinde. Und noch ein prominenter Bürger aus dem einflussreichen politischen Establishment wohnt in Westerholt: Hermann Dinkla Er war von 2008 bis 2013 Präsident des 16. Niedersächsischen Landtags. Vorher war er Samtgemeindebürgermeister von Holtriem und Mitglied des Wittmunder Kreistages. Dinkla pflegte gute Kontakte zum Investor „Norderland“ aus Westerholt. (Zitat aus der aktiven Zeit von seiner CDU-WebSeite: „Hermann Dinkla – zielstrebig, erfahren, heimatverbunden – vertritt Ihre Interessen im niedersächsischen Landtag“).
In Westerholt wohnte auch der Offshore-Windparkprojektierer Günther Eisenhauer, Nachbar von Hermann Dinkla in der Gartenstraße, der im September 2015 unter bisher nicht ganz geklärten Umständen beim Absturz seines von ihm geflogenen Flugzeuges bei Könnern in Sachsen-Anhalt ums Leben kam. Günther Eisenhauer war der Bruder von Johann Eisenhauer, der Inhaber bzw.- Mitinhaber verschiedener Windkraftgesellschaften ist. Links: Der Spiegel, 1/2011: Windige Spekulation: „Die Millionengeschäfte eines ostfriesischen Geschäftsmanns zeigen, welche Goldgräberstimmung in der jungen Branche herrscht“ und hier in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 28. Dez. 2015. Das ist der Stoff, aus dem ein „Tatort“ entstehen könnte: Göttinger EEV Windige Geschäfte
Die Handelsregisterauszüge und die Kenntnis der verwandschaftlichen Beziehungen enthüllen ein dicht gewebtes und sonst unsichtbares Geflecht, das die Windkraftanlagen sprießen lässt wie Pilze aus einem Myzel. Nicht „Klima“ oder „Energiewende“ sind der Dünger, sondern Renditeerwartung – also der Profit -, stets am Bürger vorbei.
In der Samtgemeinde Holtriem stehen 75 Anlagen, 19 weitere sind geplant. In der Nachbargemeinde Dornum drehen sich ca. 120 Windkraftanlagen vom selben Auricher Hersteller, auch hier sind Ratsmitglieder und der Kämmerer an den Anlagen finanziell beteiligt. Die Gemeinde Dornum betreibt im Widerspruch zur Kommunalverfassung eine eigene Firma zur Erzeugung von Windstrom, die Wirtschaftsbetriebe Dornum GmbH & Co. KG. Im Nachbarort Holtgast stehen weitere ca. 50 Anlagen, auch mit familiären Verbindungen in den Gemeinderat.
Es gibt bereits große Bereiche in Ostfriesland, die wegen der Dichte der Windkraftanlagen für die Wohnnutzung nicht mehr geeignet sind. Ursache ist der scheinhonorige kommunale Selbstbedienungs-Sumpf, ein Netzwerk aus Investoren und Politikern, das bis in die Genehmigungsbehörden hineinreicht, nicht nur in Ostfriesland. In den Zeitungen werden diese Verflechtungen nicht thematisiert! Aber es spricht sich herum und die Berichterstattung wird zunehmend kritischer.
Nachtrag 20. Mai 2016: Heute in der Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“ äußerte sich der Ochtersumer Ortsbürgermeister Franz Pfaff vor der Beschlussfassung über den Bebauungsplan für den neuen Windpark in Ochtersum so:
„[…] Vor der Beschlussfassung wandte sich Pfaff an alle: „Wir wollen auch in Zukunft gemeinsam in Ruhe und in Beschaulichkeit weiterleben.“ Es sei Neuland „für uns alle“, doch: „Wir haben diese Sachen vor neun Jahren angeschoben und wollen das jetzt mit Norderland zu Ende bringen bis der Windpark 2017 in Betrieb geht.“ […]“
Seit neun Jahren wissen also die örtlichen Kommunalpolitiker von den Windparkplanungen und haben erst sehr spät die Einwohner darüber informiert. Mit der „Ruhe und Beschaulichkeit“ dürfte es für viele Einwohner demnächst vorbei sein.
Nachtrag 21. Mai 2016: Heute im „Anzeiger für Harlingerland“, letzter Satz im Beitrag auf Seite 7:
„Egon Kunze: „Ich bin der richtige Mann“
POLITIK SPD schickt 62-Jährigen ins Rennen zur Wahl des Holtriemer Samtgemeindebürgermeisters […] Zur Windenergie in Holtriem erklärt der SPD-Politiker: „Es reicht, das Ende der Fahnenstange ist erreicht.“ Der Wattenrat informiert auf seiner Internetseite, dass Egon Kunze im Handelsregister des Amtsgerichts Aurich als Geschäftsführer und Gesellschafter bei der Beteiligungs GmbH eines Windparks geführt wird. Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte Kunze, dass diese Beteiligung in der Abwicklung ist und er unmittelbar vor dem Ausstieg steht.“
Nachtrag 01. Juni 2016: Der sich angegriffen gefühlte Samtgemeinderat reagierte bereits 2015 auf die Vorwürfe der Intrasparenz und Kungelei in einer Pressemitteilung, allerdings ohne Datum. Hier ein Auszug, der leicht zu widerlegen ist, siehe die Handelregisterauszüge. Man geht also durchaus kreativ mit der Wahrheit um. Fazit: nicht mehr wählbar!
„[…] Die Organe der Samtgemeinde und der Gemeinden haben eine Schutzfunktion gegenüber ihren ehrenamtlichen Ratsmitgliedern. Darum wird Behauptungen und Unterstellungen über „Käuflichkeit“ oder „Hörigkeit“ energisch widersprochen. Zu keiner Zeit haben sich Ratsmitglieder durch ihr Mandat einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Mutmaßungen über persönliche Haftungen als Folge politischer Ratsbeschlüsse, soweit diese im Einklang mit geltendem Recht stehen, entbehren jeder gesetzlichen Grundlage. Sie werden auch nicht dadurch richtiger, dass die Meinung eines einzelnen Juristen zitiert oder – wie geschehen – im „Anzeiger“ publiziert oder befördert wird. […]“
Hier die vollständige Pressemitteilung im Wortlaut als .pdf-Datei: PresseWindparkHoltriem_2015