Bauern aus dem Rheiderland (Landkreis Leer) haben angekündigt, die hier überwinternden Gänse zu verscheuchen. Die Bauern geben vor, dass die Gänse das Gras wegfressen oder die Ländereien verkoten („schwattmaken“) und dadurch erhebliche Fraßschäden auftreten. In der Tat können gerade bei nasser Witterung Fraß-oder Trittschäden am Wintergetreide vorkommen, aber diese Schäden müssen fachlich begutachtet werden. Schäden an der Grasnarbe entstehen auch durch Staunässe und Bodenverdichtung, Ursache sind die schweren landwirtschaftlichen Geräte. Es kam auch schon vor, dass Frostschäden den Gänsen als Fraßschäden in die Schnäbel geschoben wurden.
Ostfriesen Zeitung, Rheiderland, 22.03.2016
„Wildgänse sollen „den Abflug machen“ […] Für sie ist jetzt Schluss mit lustig: 20 Landwirte aus dem Rheiderland wollen die Initiative ergreifen und Wildgänse ab dem 1. April von ihren Ländereien vertreiben. Die nordischen Gastvögel haben die Gastfreundschaft der Landwirte überstrapaziert. […]
Landwirte sind nicht von sich aus „gastfreundlich“ gegenüber den Gänsen. Diese „Freundschaft“ wird mit Barem geregelt. Bauern, die am Vertragsnaturschutz teilnehmen, erhalten maximal 250 Euro ha/a Ausgleichszahlungen, egal ob Fraßschäden aufgetreten sind oder nicht. Die Verträge zum Schutz der Gänse decken die Periode vom 1. November bis zum 31. März ab. Während dieser Zeit dürfen die Landwirte auf ihren Ländereien nichts unternehmen, um die arktischen Zugvögel zu stören.
Große Teile des Rheiderlandes mit der angrenzenden Wattenmeer-Meeresbucht Dollart sind als EU-Vogelschutzgebiete ausgewiesen, hier befinden sich international bedeutsame Überwinterungsgebiete verschiedener Gänsearten. Deshalb gelten hier auch besondere Regeln für landwirtschaftliche Betriebe, wenn sie Direktzahlungsempfänger, sprich Subventionsempfänger, der EU sind: Stichwort „Cross Compliance“ oder „anderweitige Verpflichtungen“, die sich aus den Subventionszahlungen ergeben. Die Direktzahlungsempfänger sind verpflichtet, gewisse Standards bei der Bewirtschaftung einzuhalten. Dazu gehören der Erhalt der ökologischen Qualität der Flächen, der Vogelschutz und die Beachtung der Natura-2000-Richtlinien. Verstoßen die Betriebe gegen die Auflagen, können Subventionen gekürzt oder gänzlich gestrichen werden.
Das angekündigte Vertreiben der Rastvögel sollten sie daher lieber unterlassen, nicht nur wegen der Vorgaben der EU, sondern weil die gewerbliche Störung und Vertreibung von streng geschützten Vogelarten nach dem Bundesnaturschutzgesetz als Straftat geahndet werden kann. Bauern leben nicht im rechtsfreien Raum, auch wenn man gelegentlich einen anderen Eindruck bekommen kann.
Die angeblichen Ertragseinbußen am Grünland sind weit übertrieben, bis zu vier Grasschnitte im Jahr – sogar in der Brutzeit – widerlegen das. In der Brutzeit werden durch die frühe Mah die Wiesenbrüter ausgemäht und vernichtet, in einem EU-Vogelschutzgebiet! Die angebliche „Verkotung“ der Flächen ist nichts im Vergleich zur tonnenweise Güllefracht, die auch auf die Grünlandflächen aufgebracht werden, zur Grundwasseranreicherung mit Nitrat führen sowie die Oberflächengewässer belasten. Es geht mal wieder ums Geld: Jammern auf hohem Niveau, um die Subventionszahlungen weiter in die Höhe zu treiben.
Die Bauern behaupten sogar „übrigens sollen es insbesondere die Nonnengänse sein, die sich überdurchschnittlich stark vermehren und auch gegenüber den anderen Wildvögeln sehr aggressiv und störend auftreten.“ Ja, durch Schutzmaßnahmen zugenommen haben sie, aber dass sie unverträglich sein sollen, kann überhaupt nicht bestätigt werden. Vergesellschaftet mit den Nonnengänsen finden sich nicht selten Watvogel- oder andere Gänsearten.
Der NABU im Landkreis Leer hat in einer Pressemitteilung Widerstand angekündigt. Er forderte den Landkreis Leer auf, den angedrohten Bruch der Schutzgebietsverordnungen im Rheiderland durch lokale Landwirte zu verhindern. Hierfür soll die Kreisverwaltung auch mit personeller Präsenz im Gebiet Sorge tragen. Bei dieser Sachlage sollte sich allerdings der Landesverband Niedersachsen oder die Bundesgeschäftsstelle des NABU einmischen. Der NABU hat zudem ein EU-nahes Büro in Brüssel…
Die Lokalpresse indes ist kaum in der Lage, differenziert über Landwirtschaft und Gänse zu berichten. In der Regel wird das Klagelied der Bauern 1:1 übernommen.
Auszug Wikipedia zu „Cross Compliance“:
[…] Die „anderweitigen Verpflichtungen“ sind in insgesamt 19 Richtlinien dokumentiert.
Werden die festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllt, kommt es je nach Schwere, Ausmaß, Dauer oder Häufigkeit des Verstoßes zur Kürzung von bis zu 100 Prozent der Beihilfezahlungen für ein oder mehrere Kalenderjahre. Dabei werden die Verstöße der unterschiedlichen Bereiche in jeweils leicht, mittel oder schwer eingestuft. Des Weiteren wird geprüft, ob bei einem Verstoß eventuell Vorsatz vorlag. Während es bei den normalen Verstößen zu ca. 1, 3 und 5 % Kürzung einer beantragten Subvention kommen kann, beläuft sich der vorsätzliche Verstoß auf 15 bis 100 %. Für einen vorsätzlichen Verstoß mittlerer Schwere sind 20 % anzusetzen. Es liegt aber im Ermessen des Prüfenden, welcher Prozentsatz für die Kürzung der beantragten Prämie angewandt wird. Zu einer Kürzung der Prämie kommt es nur, wenn die Prüfung im Jahr der Bewilligung der beantragten Prämie erfolgt. Grundsätzlich kann es erst im Jahr 2006 zu Wiederholungen von Verstößen kommen, da bereits erfolgte Verstöße vor dem 1. Januar 2005 nicht geahndet werden. Die Ergebnisse der so genannten Cross-Compliance-Vor-Ort-Kontrollen werden in der zentralen Datenbank in München erfasst. […]