Im siebten Jahr steht unsere Mitstreiter Eilert Voss nun wieder vom 01. November bis zum 15. Januar – der Hauptjagdzeit der Hobbyjäger auf Wasservögel – auf der inzwischen bundesweit bekanntgewordenen „Gänsewacht“ in Petkum an der Ems. Von seinem Ausguck aus beobachtet er bei jedem Wetter die Jagdaktivitäten im Naturschutzgebiet „Petkumer Deichvorland“, Teil eines EU-Vogelschutzgebietes. Seine „Waffen“ sind ein Fernglas, ein weitreichendes Teleobjektiv und ein Notizbuch, mit dem er in den letzten Jahren bereits zahlreiche Jagdverstöße dokumentiert hat, z.B. die Jagd bei Nebel oder dichtem Schneetreiben, bei dem keine der Wasservogelarten auf jagdbar oder nicht jagdbar unterscheidbar ist. Das ist nach der Bundesjagdzeitenverordnung verboten! Unterstützt wird Eilert Voss dabei von weiteren Gänsewachtaktivisten aus der Umgebung. Seine hartnäckige Tätigkeit hat sich herumgesprochen, seit Anfang November ist im Schutzgebiet an der Ems kein Schuss gefallen. Allerdings wird in der angrenzenden Pufferzone binnendeichs gejagt, auf Hasen, Fasane oder Wasservögel. Jeder Schussknall vertreibt dann auch regelmäßig die Vögel aus dem angrenzenden EU-Vogelschutzgebiet an der Ems. Die Gänse weichen dann aus dem Schutzgebiet auf die anliegenden landwirtschaftlichen Flächen aus.
Der Wattenrat hatte sich jahrelang um ein vollständige Einstellung der Jagd in den EU-Vogelschutzgebieten an der Küste, zu dem auch der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gehört, bemüht. Unterstützt wurde der Wattenrat dabei vom Ökologischen Jagdverband (ÖJV). Zunächst hatte der damalige Oppositionspolitiker der Grünen Christian Meyer – heute Landwirtschaftsminister – zugesagt, sich für die Abschaffung der Jagd in den Schutzgebieten einzusetzen. Nach der Landtagswahl, als die Grünen zusammen mit der SPD Regierungspartei wurden, war alles anders.
Durch die massive Einflussnahme der Landtags- und SPD-Fraktionsvorsitzenden Johanne Modder aus dem Rheiderland, unterstützt von Wiard Siebels (MdL, SPD), wurde daraus ein fauler Kompromiss: Statt der Einstellung der Jagd wurde zwar die Niedersächsische Jagdzeitenverordnung so geändert, dass z.B. Blässgänse in Vogelschutzgebieten nicht mehr bejagt werden dürfen, dafür dürfen aber in den Schutzgebieten Graugänse bereits ab August bis 30 November statt wie bisher zum 15. Januar bejagt werden. Auch Stock-, Pfeif- und Krickenten dürfen in den Schutzgebieten geschossen werden. Zusätzlich sollen die Flächen in „Intervallen“ bejagt werden, damit auf einer Fläche dann jeweils Jagdruhe herrscht. Nur sind die Intervalle viel zu kurz, nämlich lediglich 14 Tage. Eine echte Intervalljagd lässt Flächen aber für Monate oder Jahre unbejagt. Mit dieser neuen Jagdzeitenverordnung werden also weiter Zugvögel ganz legal in ihren Schutzgebieten getötet, verletzt oder, wenn sie keine Jagdzeit haben, allein durch die Anwesenheit eines Jägers vertrieben.
Inzwischen liegen dem Wattenrat auch Meldungen von Beobachtungen vor, dass ungeachtet der Jagzeitenverordnung auch weiter in den Schutzgebieten an der Ems auf Blässgänse oder Nonnengänse, die überhaupt keine Jagdzeit haben, geschossen wurde. Die Jagzeitenverordnung ist kompliziert, Verstöße durch Wasservogeljäger wegen Unkenntnis oder Missachtung sind also vorprogrammiert.
Die beabsichtigten Jagdeinschränkungen riefen u.a. jagenden SPD-Mitglieder auf den Plan, die 2013 einen „Initiativkreis Waidgenossen in der SPD Niedersachsen“ gründeten:
„[…] Aus allen Regionen Niedersachsens trafen sich in Hannover SPD-Mitglieder. Außer ihrem Parteibuch haben sie eine weitere Gemeinsamkeit: Sie verbindet die jagdliche Passion – und die Sorge, dass die Jagd in der SPD-Fraktion des Niedersächsischen Landtages ein eher stiefmütterliches Dasein fristet. Ganz unberechtigt scheint diese Befürchtung nicht zu sein, denn unter den 49 SPD-Landtagsabgeordneten gibt es lediglich einen Jäger, nämlich Gerd Will aus Nordhorn. Dieser war denn auch zusammen mit Thorsten Tellmann, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Jägerschaft der Landeshauptstadt Hannover, die treibende Kraft für dieses Treffen. Unterstützt wurden sie dabei von Carola Sandkühler, Parlamentarische Referentin der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag für Umwelt & Energie/Landwirtschaft & Verbraucherschutz. Nach einer kurzen Selbstvorstellung der Anwesenden erläuterte Will die Beweggründe für diese Zusammenkunft. Mit dem Landwirtschafts- und dem Umweltministerium habe die SPD ihrem Koalitionspartner zwei für die Jagd bedeutsame Ressorts überlassen. Zum Stichwort Jagd enthalte die Koalitionsvereinbarung lediglich die knappe Aussage: ‚Zeitgemäße und naturnahe Jagd muss sich an ökologischen Prinzipien ausrichten und den Erfordernissen des Tierschutzes gerecht werden. Daher wird die rot-grüne Koalition das Jagdrecht novellieren und dabei auch die Jagd in EU-Vogelschutzgebieten thematisieren. Es soll ein konstruktiver und fachlich orientierter Dialog mit allen Betroffenen und Beteiligten beginnen.‘ […]“
Die erwähnte Parlamentarische Referentin der SPD-Fraktion Carola Sandkühler ist auch, man höre und staune, seit 2015 Vorsitzende des „anerkannten“ Naturschutzverbandes Niedersachsen (NVN). Ihr Vorgänger als NVN-Vorsitzender war Dr. Christian Eberl (FDP), ehemals Bundestagsabgeordneter und später Staatssekretär in der CDU/FDP-Landesregierung im niedersächsischen Umweltministerium unter dem notorischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander, ein weiteres Indiz für die Anpassungsfähigkeit des Verbändenaturschutzes in Niedersachsen.