EU-Naturschutzrichtlinien auf dem Prüfstand: „Fitness-Check“, für wen?

Das war abzusehen: „Für Wachstum und Arbeitsplätze“, also für die wirtschaftliche Expansion, soll der Abbau der „Bürokratie“ der Natura-2000-Richtlinien, die FFH- und Vogelschutzrichtlinie, „geprüft“ werden, in einem „Fitness-Check“ der EU. Fitness-Checks werden mezinischerseits bekanntlich zur Wiederherstellung und der Verbesserung der Belastbarkeit durchgeführt, auf Eurokratenebene ist das ganz anders. Auf EU-Ebene arbeiten Lobbyverbände, die sich in Brüssel „nachhaltig“ eingenistet haben, schon seit Jahren an der Aufweichung dieser lästigen Naturschutzvorgaben, nun offensichtlich mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg mit der Unterstützung von Herrn Juncker. Die Aufweichung würde sich verheerend auf den mittlerweile schlappen Naturschutz der EU-Mitgliedsstaaten auswirken, der im Wesentlichen nur noch auf dem Papier ordentlich funktioniert. Das war einmal anders, beide Richtlinien halfen bei der Flächensicherung für Arten und ihren Lebensräumen in den Mitgliedsstaaten, allerdings nicht immer erfolgreich, wie z.B. die Bestandsrückgänge von Brut- oder Rastvögeln im Wattenmer nahelegen.
Heute kann man den Eindruck haben, dass sich die Kommission am Beispiel Deutschland mit der unzureichenden Anzahl der Gebietskulissen zufrieden gibt, wenn die Mitgliedsstaaten nur quantitativ ausreichende Flächen melden, wobei es anscheinend inzwischen nicht mehr so wichtig ist, ob diese tatsächlich zu  den flächen-  und zahlenmäßig geeignetsten gehören. Das Beispiel, dass dem Büro des Wattenrates am nächsten liegt, ist der illegale Bau der Umgehungsstraße in einem „faktischen Vogelschutzgebiet“ südlich von Bensersiel/Stadt Esens im Landkreis Wittmund. Hier meldete das Land Niedersachsen ganz aktuell eine nachweislich völlig ungeeignete Fläche zwischen dem Ortsrand des Küstenbadortes und der schwarz gebauten Straße nach einer anschließenden „Neuabgrenzung“ der Flächen nach Brüssel nach, um diese nach erfolgreichen Klagen des enteigneten Landeigentümers vor dem drohenden Rückbau zu retten. Die Kommission (Generaldirektion Umwelt- Direktion D – ENV.D.3) akzeptierte das fragwürdige Vorgehen des Landes Niedersachsen, kein Einzelfall. Es drängt sich daher der Eindruck auf, die Kommission könnte ihrem Anspruch weder personell noch konzeptionell gewachsen sein.

Inwieweit z.B. die Windenergiewirtschaft durch den „Fitness-Check“ Morgenluft für noch mehr Stellplätze, diesmal verstärkt in Natura-2000-Gebieten wittert, bleibt abzuwarten. Bisher sind EU-Vogelschutzgebiete in der Regel Ausschlussgebiete für die Windenergienutzung. Matthias Groote aus Ostfriesland, SPD-Europaabgeordneter und umweltpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, war früher Vertriebsingenieur des WEA-Herstellers Enercon in Aurich, und der wird mit Sicherheit mit an diesem Rad drehen. Er sieht schon auf seiner WebSeite „am Ende des Prozesses ein ausgewogenes Ergebnis stehen„, was immer das auch heißen mag….

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Bundesanstalt für Naturschutz:

EU Fitness Check für FFH- und Vogelschutzrichtlinie
Überprüfung der Wirksamkeit von FFH – und Vogelschutzrichtlinie
Die Europäische Kommission überprüft derzeit die beiden EU-Naturschutzrichtlinien (die Vogelschutzrichtlinie von 1979 und die FFH -Richtlinie von 1992) hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Diese Überprüfung, auch Fitness Check genannt – erfolgt im Rahmen des so genannten REFIT-Programms (Regulatory Fitness and Performance), das 2012 von der EU-Kommission initiiert wurde, um für mehr Wachstum und Arbeitsplätze unnötige Bürokratie abzubauen. Derzeit werden 31 EU-Regelungen auf ihre Zweckdienlichkeit untersucht. Das Mandat für den Fitness Check der Naturschutzrichtlinien (siehe auch  zugehörige Website der EU-Kommission) wurde bereits im Februar 2014 erteilt.
Die Ergebnisse des Fitness Checks der beiden EU-Naturschutzrichtlinien werden für Frühjahr 2016 erwartet und sollen dann mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament diskutiert werden. Für die Weiterentwicklung und den Erfolg des Naturschutzes in Europa werden mit diesem Prozess entscheidende Weichen gestellt werden.
Für den Fitness Check werden die Evaluierungen im Rahmen der Berichtspflichten nach Art. 17 FFH -Richtlinie und Art. 12 Vogelschutzrichtlinie sowie die Halbzeitbewertung der EU-Biodiversitätsstrategie eine wichtige Grundlage sein. Er bezieht sich auf das Schutzgebietsnetz Natura 2000 ebenso wie die Artenschutzregelungen und alle auf Grundlage der Richtlinien durchgeführten Maßnahmen. Konkret enthält das Mandat zum Fitness Check 25 Fragen zu
• * Effectiveness = Zielerreichung (z.B. Beitrag zu EU Biodiversitätsstrategie),
• * Efficiency = Kosten-Nutzen-Verhältnis,
• * Relevance = Bedeutung, basierend auf aktuellem Stand des Wissens / aktuellen Anforderungen sowie Akzeptanz in der Bevölkerung,
* • Coherence = Übereinstimmung / Verhältnis zu anderem EU-Recht / Politiken (z.B. anderen EU-Umweltrichtlinien wie der Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung oder der Wasser-Rahmenrichtlinie, internationalen Abkommen oder relevanten Sektorpolitiken wie Land- und Forstwirtschaft),
* • EU added value = Mehrwert von gesetzlichen Regelungen auf EU-Ebene.
Zeitplan zum Prozess der Überprüfung der EU-Naturschutzrichtlinien:

* Mandat für den Fitness Check Mandat für den Fitness Check, 25. Februar 2014
* Werkvertrag zur Unterstützung der Kommission bei Sammlung und Bewertung der Fakten für den Fitness Check, Herbst 2014 bis Ende 2015
* Öffentlicher Konsultationsprozess via Internet, Frühjahr 2015
* Vorlage Gemeinschaftliche Berichte für Artikel 17 FFH -Richtlinie und Artikel 12 Vogelschutzrichtlinie, April 2015
* Stakeholder-Meeting auf Green Week, Juni 2015
* Vorlage der Halbzeitbewertung der EU-Biodiversitätsstrategie, Herbst 2015
* Konferenz zur Diskussion der vorläufigen Ergebnisse der Überprüfung der Richtlinien, Herbst 2015
* Bericht der Kommission zu den Ergebnissen des Fitness Checks, Frühjahr 2016
Als Teil der Phase der Informationssammlung wurde der Fragenkatalog von der Kommission an Behörden und Verbände unterschiedlichster Sektoren in allen Mitgliedsstaaten versandt. In Deutschland wurden folgende Akteure um Beantwortung gebeten:
– Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (für die Bundesregierung),
•- Bundesstraßenbauverwaltung im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur,
-• Bundesverband der Deutschen Industrie sowie
-• Naturschutzbund Deutschland, NABU (gemeinsame Beantwortung mit Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, WWF u.a.).
Auf andere Sektoren fokussierte Akteure, wie z.B. Interessenverbände der Land- und Forstwirtschaft oder der Jagd wurden von der Kommission in anderen Mitgliedsstaaten und/oder auf EU-Ebene berücksichtigt.
Seit dem 30.04.2015 findet für die Dauer von 12 Wochen ein öffentlicher Konsultationsprozess statt, an dem sich Jedermann beteiligen kann.

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