„Kadavermesse“: Kritik am Hubertus-Gottesdienst in Emden-Borssum

Hubertusgottesdienst in der ev.-ref. Kirche in Emden-Borssum, 26. Oktober 2014

Wie findet ein Heiliger der katholischen Kirche in einen Gottesdienst der evangelisch-reformierten Kirche in Emden-Borssum? Der Heilige Hubertus wird in jedem Jahr von der Zunft der Freizeitjäger fürs gute Gewissen und die öffentliche fromme Selbstdarstellung instrumentalisiert. Am 3. November ist Hubertustag, und vorher zelebriert die Kirche vielerorts Hubertus-Gottesdienste oder -Messen. Das gefällt nicht jedem: Mitglieder mehrerer ostfriesischer Umwelt-und Naturschutzinitiativen, darunter der Wattenrat Ostfriesland, die Gänsewacht und die Dyklopers, beteiligten sich am 26. Oktober 2014 als „Zaungäste“ an einem Hubertusgottesdienst der Emder Jägerschaft vor der evangelisch-reformierten Kirche in Emden- Borssum. Bei Kerzenschein betraten Zuhörer die mit Eichenlaub geschmückte Kirche. Die evangelisch-reformierte Kirche verzichtet in der Regel auf bildliche Darstellungen und sogar das Kruzifix. Für den Hubertus-Gottesdienst galt das nicht: Die Jäger brachten über dem Schriftzug am Altartisch „LOBE DEN HERRN“ eine Hirschgeweihtrophäe  – ein abgekochter gebleichter Schädel mit aufgesetzten Geweihstangen –  an, die den Schriftzug beinahe unleserlich machte. Unter Hörnerklängen und in Marschformation betraten zwei Dutzend Jäger in jagdgrün die Kirche und das Ritual des Hubertusgottesdienstes, eigentlich katholischen Ursprungs, begann in einer reformierten Kirche, ohne dass vorab in der Gemeinde ein Dialog über den Unsinn der andernorts als „Kadavermessen“ bezeichneten Image-Veranstaltungen der Jäger geführt wurde. Dass sogar im katholischen Speyer Hubertusmessen für Hobbyjäger nur noch unter Polizeischutz abgehalten werden können, ist anscheinend noch nicht bis ins ostfriesische Borssum vorgedrungen.

Die Argumente der anwesenden Jagdkritiker waren ausschließlich friedlicher Natur, und so wurden auch in Borssum vor der Kirche auf einem öffentlichen Gehweg nur Flugblätter verteilt, den Inhalt können Sie hier nachlesen: Hubertusmesse_So_26Okt2014_19Uhr_Borssum. Sie sollten an das Gewissen der verantwortlichen Personen in der reformierten Kirche appellieren, damit Folgeveranstaltungen zum ausschließlichen Nutzen der Jägerei und deren Selbstdarstellung in Zukunft unterbleiben. Nach Auffassung der Jagdkritiker ist die Kirche der falsche Ort, den Freizeitjägern ein Forum zu bieten. Trotz aller Friedfertigkeit der beteiligten Tier-und Naturschützer unternahm die Jägerschaft den Versuch, die kleine Gruppe der Handzettel verteilenden Personen zu kriminalisieren. Die Jäger riefen die Polizei, ein Einsatzwagen fuhr direkt vor die Kirche. Den Polizeibeamten wurde das Flugblatt mit zehn Fragen an die Veranstalter des umstrittenen Gottesdienstes gezeigt. Die Polizeibeamten sahen aber keinen Grund, gegen die Kritiker des Hubertusgottesdienstes einzuschreiten und verließen nach wenigen Minuten den Schauplatz. Ein unbekannter Jäger beschimpfte die Jagdkritiker danach wenig christlich als „Ökofaschisten“.

Bei Nebel erlegte Blässgans, Zugvogel (nichtjagdbare Art), NSG Petkumer Deichvorland, EU-Vogelschutzgebiet, Foto zeigt nicht ursprünglichen Fundort, Nov. 201111

Wattenrat und Gänsewacht hatten in den vergangenen Jahren immer wieder auf Jagdverstöße bei der Wasservogeljagd auf Zugvögel im Natur- und Vogelschutzgebiet „Petkumer Deichvorland“ aufmerksam gemacht. Dort wurde verbotswidrig bei Nebel und Dunkelheit gejagt und dabei auch nicht jagdbare Vögel erlegt. Alle Anzeigen gegen die verantwortlichen Jäger verliefen im Sande, die Polizei erschien entweder nach Anrufen nicht oder zeigte sich wenig kooperativ. Die Aktion in Borssum wurde ideell unterstützt vom NABU, Ortsgruppe Morrmerland, und dem Tierschutzverein „Bunte Kuh“.

Die Emder Jägerschaft ist sogar im Gemeindebrief der ev.-ref. Kirche in Borssum präsent. In der Ausgabe Oktober/November 2014, S. 9, stellt sie sich, ihre Passion und ihren Schutzpatron Hubertus vor. Am 01. November soll übrigens der zweite Hubertusgottesdienst in der Borssumer Kirche stattfinden.

Nähmen die Jäger die fromme Botschaft ihres Schutzpatrons tatsächlich ernst, müssten sie ihre Flinten und Büchsen zwar nicht ins Korn, dafür aber in Zukunft im Waffenschrank stehen lassen: Hubertus verzichtete nach der Erscheinung des Kreuzes im Hirschgeweih auf die Jagd…

Nachtrag: Die Pressemitteilung des Wattenrates zum Hubertusgottesdienst in Borssum wurde von der Lokalpresse (drei Zeitungen) mal wieder geflissentlich ignoriert. Dafür berichtete am 01. November 2014 die Emder Zeitung ausführlich über den Gottesdienst vom vergangenen Sonntag, ohne aber mit einem Wort die Flugblattaktion und den Polizeieinsatz zu erwähnen. „Die Besucher hätten der liturgischen Musik ´ergriffen´ gelauscht, heißt es in einer Pressemitteilung“, so die „Emder Zeitung“. Von wem die Pressemitteilung stammte, wurde nicht erwähnt.. Die Freiheit der Presse, unbequeme Wahrheiten im Sinne der „honorigen“ Jägerschaft und der damit verbandelten Kirche zu ignorieren, wurde damit eindrucksvoll demonstriert.

Die Legende erzählt, dass Hubertus von Lüttich in den Ardennen zur Jagd ging. Als er zum Bogenschuss auf einen Hirsch anlegte, erschien ein leuchtendes Kreuz zwischen den Geweihstangen. Gleichzeitig vernahm er eine Stimme, die ihn ermahnte, neben den weltlichen Vergnügungen das ewige Leben nicht zu vergessen. Fortan verzichtete Hubertus auf die Jagd und wurde zunächst Einsiedler. Später wurde er zum Bischof von Maastricht berufen, den Bischofssitz verlegte Hubertus nach Lüttich. Am 3. November 743 wurde er heilig gesprochen. Hubertus ist u.a. der Schutzpatron der Jäger.

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