Nein, kein Ostfriesenwitz, aber bauernschlauer und dreister geht’s nimmer: „Gänse verdrängen die Wiesenbrüter“ tönte Klaus Borde, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Zweigvereins Niederrheiderland in der Ostfriesen Zeitung vom 03. März 2014: Gaense_Wiesenbrueter_OZ_13Maerz2014. Sie fräßen die Weiden kahl, dass Wiesenvögel keine Deckung mehr fänden; außerdem trockne der Boden aus, sodass die Wiesenbrüter nicht mehr nach Nahrung stochern könnten, die Küken fänden keine Insektennahrung mehr. Hieße dieser Landwirtschaftsfunktionär Pinocchio, hätte er die längste Nase der Welt!
Fakt ist, dass die Industrielandwirtschaft mehrfach im Jahr, schon im zeitigen Frühjahr bis in den Sommer, das Grünland mäht. Vorher wird geschleppt und gewalzt, zwischendurch Gülle in enormen Mengen aufgebracht. Das überlebt kein Gelege und keine Brut. Das Grünland wird zudem dräniert und mit Herbiziden behandelt.
Was den Gänsen angelastet wird, verursacht in Wirklichkeit die Landwirtschaft selbst, deren Funktionäre mit diesen erfundenen Horrorgeschichten sogar Politiker einzulullen versuchen, und die sich auch beschwatzen lassen! Hintergrund dieser Desinformation ist die Auflage für die Landwirte, die am Vertragsnaturschutz teilnehmen und dafür fast 6 Millionen Euro Steuergelder jährlich für tatsächliche oder gar keine Fraßschäden kassieren, dass nun auch mindestens auf einem Hektar Fläche pro zehn Hektar Fläche für den Vertragsnaturschutz nun auch Maßnahmen für den Wiesenvogelschutz getroffen werden müssen. Diese Koppelung ist den Bauern ein Dorn im Auge. Da müsste man ja tatsächlich gestalten und unter Verzicht tätig werden, statt nur die Hände aufzuhalten.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Offensichtlich ist der „Vertragsnaturschutz“ das falsche Instrument im Lande: Verträge können gekündigt werden. Naturschutz ist aber eine staatliche, hoheitliche Aufgabe und ist nicht den jeweiligen Befindlichkeiten irgendwelcher Bauernfunktionäre und deren Propagandaorganen unterworfen. Vertragsnaturschutz kann das gebotene hoheitliche Handeln nicht ersetzen! Wenn der Vertragsnaturschutz dem geforderten Erhaltungszustand der Naturschutz- und EU-Vogelschutzgebiete zuwiderläuft, müsste der Staat handeln, eigentlich. Das Bundesnaturschutzgesetz (§ 44, Abs. 4) bietet ganz ohne teure Kompensationsmaßnahmen die Möglichkeit für die Naturschutzbehörden, die nimmersatten Subventionsbauern per Anordnung zum Artenschutz zu zwingen, und zwar schon dann, wenn der Erhaltungsszustand der lokalen Population gefährdet ist! Nur werden diese einfachen gesetzlichen Maßnahmen in unserer Lobbyistenrepublik kaum angewendet. Warum eigentlich nicht?
§ 44 (4) BNatSchG: Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.