Gänsejagd: Fakten statt Jägerpropaganda, SPD bremst Gänseschutz

Auch an Gänseschlafplätzen darf weiter gejagt und gestört werden: Gänseschlafplatz im Dollart, EU-Vogelschutzgebiet und Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, 05. März 2014

Die Gänsejagd ist wieder Thema in der Presse. Die Nachrichtenagentur dpa hat darüber sehr ausführlich berichtet, unter Verwendung einer aktuellen sehr detaillierten Pressemitteilung des NABU (s.u.) und mit Hinweis auf die jahrelangen Aktivitäten des Wattenrates Ostfriesland. Nur in einigen Lokalzeitungen an der Küste, dem Ort des Geschehens, fiel die Übernahme des dpa-Beitrages leider sehr mager aus, der Bericht wurde z.T. stark gekürzt abgedruckt…

Inzwischen kursieren die Entwürfe einer neuen Jagdzeitenverordnung in Niedersachsen vom Oktober 2013, einer sogar speziell zugeschnitten auf den Herrschaftsbereich der Vorsitzenden des SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, Johanne Modder aus landwirtschaftlich geprägten Rheiderland im Nordwesten der Republik.

Die Partei der Bündnisgrünen im niedersächsischen Landtag hatte angekündigt, die Verordnung auch im Sinne des Gänseschutzes in den EU-Vogelschutzgebieten zu verbessern. Das ist mit dem Koalitionspartner SPD nicht gelungen. Gerade SPD-Jäger hatten Einfluss auf die Fraktionsvorsitzende der SPD, Johanne Modder und den Landtagsabgeordneten Wiard Siebels (SPD) aus Aurich genommen, um die Freizeitjagd auf Gänse zu erhalten. Die organisierte Hobbyjägerschaft hatte kampagnenartig Einfluss auf diese SPD-Politiker ausgeübt und zusammen mit Landwirtschaftsfunktionären in der Tagespresse unhaltbare Horrorgeschichten über eine angebliche Gänseplage an der Küste verbreitet. Die Landesjägerschaft Niedersachsen darf sich anerkannter Naturschutzverband nennen! Landwirte, die am sog. „Vertragsnaturschutz“ teilnehmen, bekommen als Ausgleich für reale oder auch keine Gänseschäden 250 Euro/Hektar/Jahr, macht für einen 100-Hektar-Betrieb 25.000 Euro im Jahr, egal ob Fraßschäden aufgetreten sind oder nicht. Zusätzlich dürfen die Graugänse auf diesen Flächen auch bejagt werden. Das Land Niedersachsachsen gibt so jährlich 5,7 Millionen Euro für diese Landwirte aus!

Die  Entwürfe der neuen Jagdzeitenverordnung, weiter unten verlinkt, reduzieren zwar die Jagdzeiten für einige Wasservogelarten, erlauben z.B. weiter drei Treibjagden in den EU-Vogelschutzgebieten; auch die Jagd auf Wasservögel auf den Inseln im Nationalpark Wattenmeer ist weiterhin zulässig, ein Zugeständnis an die insularen Freizeitjäger, die nur auf „ihrer“ Insel eine Jagdmöglichkeit haben. Sogar die Krickente, ein Zugvogel, und in Mitteleuropa stark rückläufig, darf noch bejagt werden, auch in Vogelschutzgebieten. Die Bestimmungen für die einzelnen Arten sind unterschiedlich, unübersichtlich und kompliziert, was die tatsächliche Einhaltung bei der Jagd wesentlich erschweren und zu Fehlabschüssen führen wird.

Die SPD ist derzeit, und das ist bemerkenswert, der politische Arm der Landesjägerschaft im Landtag, obwohl in der SPD wesentlich weniger Jäger als in der landwirtschaftlich unterstützten CDU ihrem Hobby nachgehen. Es geht also wieder einmal nicht um nachprüfbare Fakten, sondern nur um die, die sich am lautesten in Szene setzen und die politischen sowie die Medienkanäle besetzt halten. Die Jagdlobby funktioniert bis in die politischen Spitzen, wenn man diese so nennen will.

Links:

Jagdzeitenverordnung_NDS_Entwurf__ Rheiderland_29Okt2013

Jagdzeitenverordnung_NDS_Entwurf_28Okt2013

dpa/lni in verschiedenen Tageszeitungen von Nordhessen bis Ostfriesland, 26. März 2014

[…] Seit Jahren protestieren Naturschützer im Wattenrat Ostfriesland gegen die Jagd auf nordische und arktische Gänsearten. Eine ehrenamtliche Gänsewacht beobachtet akribisch das Verhalten von Jägern in Naturschutzgebieten wie dem Petkumer Deichvorland bei Emden und dem Vogelschutzgebiet Emsmarschen von Leer bis Emden. Der Streit um Jagdverstöße hat bereits zu Gerichtsverfahren geführt, die jedoch stets zugunsten der Jäger ausfielen.

In vielen geschützten Rast- und Brutgebieten wie im Rheiderland müsse ein Jagdverbot herrschen, forderte nun auch der Nabu. Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen ließen sich durch die Gänsejagd ohnehin nicht reduzieren. Nach Untersuchungen gibt es geringere Erträge nur dort, wo Nonnengänse in großen Zahlen auftreten. Diese dürften jedoch nach der EU-Vogelschutzrichtlinie europaweit nicht bejagt werden. […]

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NABU Niedersachsen – P R E S S E D I E N S T — 26. März 2014

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Jagd / Gänse / Umwelt

NABU: Stimmungsmache gegen Einschränkung der Gänsejagd in Niedersachsen

Hannover, Norden, Borkum, Aurich – Die Forderungen nach Erhalt der Gänsejagd in Niedersachsen und Erklärungen nach einem Totalausfall auf den Feldern durch Gänsefraß werden vom NABU Niedersachsen als eine beispiellose Stimmungsmache bezeichnet. Der NABU Niedersachsen ruft dazu auf, die Diskussion um Gänsejagd, Gänsezahlen und etwaige

Gänseschäden endlich zu versachlichen.

„Hier wird aus unserer Sicht oft eine Mücke zum Elefanten gemacht. Hiermit muss endlich Schluss sein. Auf sachlicher Basis sind wir weiterhin gesprächsbereit“, erklärte NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann. Eine Jagd auf nordische und arktische Gänsearten dürfe es weder im Naturschutzgebiet Petkumer Deichvorland und dem Vogelschutzgebiet Emsmarschen von Leer bis Emden noch in anderen geschützten Rast- und Brutgebieten in Niedersachsen, wie beispielsweise dem Rheiderland, geben.

Etwaige Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen lassen sich durch eine Gänsejagd ohnehin nicht reduzieren. Etwaige Ertragsminderungen konnten nach Informationen des NABU bei Untersuchungen des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und

Naturschutz (NLWKN) und der Landwirtschaftskammer nur dort festgestellt werden, wo Nonnengänse in größerer Anzahl auftreten. Die geschützte Art steht im Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie. Sie ist europaweit nicht jagdbar. „Hier sieht das europäische Recht ganz klar

vor, dass nach einem Einzelfallnachweis eines Schadens zunächst nicht tödliche Methoden angewandt werden müssen“, sagt NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann.

Nicht zuletzt erhalten niedersächsische Landwirte landesweit durch den Vertragsnaturschutz von den Gänsen am Großen Meer bis hin zum Rheiderland oder auch in Kehdingen (Landkreis Stade) bedeutende Zahlungen. Denn auf nicht weniger als 21.000 Hektar werden in Niedersachsen jährlich 5,7 Millionen Euro an die Landwirte für den Gänseschutz ausgezahlt. „Es macht keinen Sinn, die Gänse dann von diesen Flächen, die extra für sie bezuschusst werden, durch jagdliche Aktivitäten auf andere Flächen zu vertreiben“, betonte Dr. Holger Buschmann.

Auch die mehrfach geäußerte Behauptung, dass Gänsekot die Flächen verätze und Kühe auf diesen nicht mehr weiden könnten sowie das Große Meer überdüngt würde, ist nicht haltbar. Einer Antwort des Niedersächsischen Umweltministeriums auf eine Anfrage ist zu entnehmen, dass einerseits die immer wieder in den Medien auftauchenden Gänsebestandszahlen von niemandem aktuell erhoben wurden und somit frei erfunden sind und andererseits die Gänsekotproblematik im Rahmen der Dümmersanierung ausführlich betrachtet wurde: „Dabei wurde festgestellt, dass dem Eintragungspfad über Gänsekot eine absolut untergeordnete Bedeutung in der Nährstoffbelastung eines Gewässers zukommt. Darüber hinaus erfolgten die Einträge aus Gänsekot primär im Winterhalbjahr und damit in einer Zeit, in der die Festlegung von Phosphat im Sediment am höchsten ist. Dies bedeutet, dass ein Großteil des aus Gänseexkrementen stammenden Phosphors

bereits vor seiner Nutzung durch Algen und andere Primärproduzenten immobilisiert sein dürfte. Bei der bekannt hohen Phosphor-Belastung der Zuflüsse im Einzugsgebiet des Großen Meeres sind die am Dümmer gewonnenen Ergebnisse durchaus auf das Große Meer übertragbar.“

Für besonders fragwürdig hält der NABU die Wasservogeljagd in den niedersächsischen Vogelschutzgebieten, so zum Beispiel im Rheiderland, in der Emsmarsch von Leer bis Emden, Krummhörn, Ostfriesische Meere und Niedersächsisches Wattenmeer, denn in diesen Gebieten ist nach der derzeit geltenden Jagdzeitenverordnung jetzt eine Jagd auf Bläss- und Saatgänse untersagt. „Gerade in diesen Gebieten sollen die Zugvögel ausdrücklich geschützt werden, dennoch ist in vielen die Jagd auf die Zugvögel erlaubt“, unterstrich NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann. „Darüber hinaus muss die Gänsejagd auch außerhalb der Schutzgebiete auf die Zeit außerhalb der Zugzeit von Gänsearten beschränkt werden.“

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