Ein Dauerbrenner, der heute mal wieder so richtig aufgeflammt ist: In der Salzwiese zwischen Dornumersiel und Bensersiel fräst sich ein schweres Kettenfahrzeug (Grüppenfräse) durch das geschützte Deichvorland. Hier werden Grüppen (Entwässerungsgräben) gezogen, im Bereich des Fotos alle zehn Meter eine Grüppe. Das soll den Deichfuß des angrenzenden Hauptdeiches entwässern und vor Schäden schützen. Nur: Die Salzwiesen sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz und der Flora- Fauna- Habitatrichtlinie (FFH) der Europäischen Union geschützt und gehören zur strengsten Schutzzone im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, der auch als „Weltnaturerbe“ touristisch vermarktet wird, zudem sind sie im staatlichen Besitz. Da darf man nicht so einfach mit schwerem Gerät alles platt machen, noch nicht einmal Fußgänger dürfen hier laufen. Das Bundesnaturschutzgesetz verpflichtet die Behörden in § 2,“die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu unterstützen“ und weiter: „Bei der Bewirtschaftung von Grundflächen im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand sollen die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege in besonderer Weise berücksichtigt werden.“
Es fehlt an einer vernünftigen Koordination der Küsten- und Naturschutzlandesbehörde „Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz“, (jawohl: „Naturschutz“!) und der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven,. um diese gesetzlichen Vorgaben umzusetzen. Es muss auch geklärt werden, was eine „bedarfsgerechte“ Unterhaltung der Salzwiesen ist und wie diese jedesmal im Einzelfall vor Ort abzustimmen ist. Das geschieht nicht!
Nach Artikel 6, Abs. 2, der FFH-Richtlinie gilt im Nationalpark Wattennmeer als Natura-2000-Gebiet ein Verschlechterungsverbot der natürlichen Lebensräume wie die der Salzwiesen. Es ist auch fraglich, ob die intensive Begrüppung mit Kettenfahrzeugen als ein „überwiegend öffentliches Interesse“ bewertet und damit trickreich als zulässig deklariert werden kann. Mit dieser Art der Bewirtschaftung werden Salzwiesen zerstört und nicht erhalten, von einer Naturschutzbehörde des Landes Niedersachsen! Das sollte auch die „International Union for Conservation of Nature“ (IUCN) wissen, die im Wattenmeer als Bewertungskommission für noch mehr „Weltnaturerbe“ herangezogen wird und die von der Nationalparkverwaltung stets nur die wenigen Schokoladenseiten dieses Schutzgebietes gezeigt bekommt.
Der Leiter des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, Peter Südbeck, hat offenbar Wahrnehmungsstörungen zum Zustand der Salzwiesen vor der Haustür seiner Behörde (Wadden Sea 2013: Celebrating 40 years of salt marshes research):
[…] “Salt marshes research is a success story”, says Peter Südbeck, the Head of the Wadden Sea National Park Administration in Lower Saxony, – “we have managed to provide the highest protection status to this large area, and this is in the middle of Europe.” […]
Die Salzwiesenforschung mag ja durchaus auf dem Papier eine Erfolgsstory sein, aber die praktische Umsetzung ist es nicht. Nur wenige Salzwiesen im Nationalpark wurden renaturiert, und das dann auch noch als „Kompensationsmaßnahme“ für Eingriffe anderswo deklariert und finanziert. Der Leiter des Common Waddensea Secretariats (CWSS), Jens Enemark, als staatlicher Wattenmeerverwalter der Anrainerstaaten D, DK und NL, untergebracht im selben Gebäude wie die Nationalparkverwaltung, sieht das so:
[…] “Salt marshes, apart from being an ecosystem of an extraordinary beauty, are also an integral part of the Wadden Sea World Heritage and we have global responsibility to preserve it for generations to come, – concludes Jens Enemark, the Head of the Wadden Sea secretariat. […]
Verantwortung sieht eigentlich anders aus! Sprücheklopfen ersetzt wieder einmal den tatsächlichen Wattenmeerschutz.; die Lüge oder Halbwahrheit als heutige Standardfrom der interessengeleiteten Kommunikation auch hier?
Der Wattenrat hat sich mit dieser Pressemitteilung an die Presse gewandt:
Presseinfo, 13. Sept. 2013
Mit Kettenfahrzeug in den Salzwiesen des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer und „Weltnaturerbe“
Der Wattenrat Ostfriesland berichtet von einem schweren Eingriff in die Salzwiesen des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer („Weltnaturerbe“) zwischen Bensersiel und Dornumersiel. Ein schweres Kettenfahrzeug des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) zog tiefe parallele Gräben (sog. Grüppen) in der strengsten Schutzzone (Ruhezone) des Nationalparks östlich von Dornumersiel im Landkreis Aurich. Seit Jahren werden in den außendeichs liegenden Salzwiesen vom NLWKN diese Gräben zur Deichfußentwässerung gezogen, dadurch trocknen die Salzwiesen aus, die typischen Blütenpflanzen verschwinden und machen der einförmigen Strandqueckenvegetation Platz. Diese Salzwiesen verdienen ihren Namen nicht mehr, sie werden für Brut- und Rastvögel unattraktiv. Diese Unterhaltungsarbeiten sind zwar nach dem Nationalparkgesetz freigestellt, verändern aber die Salzwiesen enorm zu deren Nachteil, ein klassischer Konflikt zwischen Küsten- und Naturschutz. Von Fußgängern dürfen diese Salzwiesen nicht oder nur auf ausgewiesenen Wegen betreten werden. Salzwiesen sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt und unterliegen auch dem Schutz der europäischen Flora- Fauna- Habitatrichtlinie, aber nach Auffassung des Wattenrates nur auf dem Papier.
Der Zustand vieler Salzwiesen im Nationalpark ist nach Beobachtungen des Wattenrates desolat, die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven kommt ihrer Verpflichtung zur Pflege und Entwicklung dieser geschützten Feuchtgebiete nicht im gebotenen Umfang nach, so der Wattenrat. Der Wattenrat ist durchaus für eine sinnvolle Deichfußentwässtung zum Schutz der Hauptdeiche, diese muss sich aber auch an den Erfordernissen des Naturschutzes orientieren.
Es ist völlig überflüssig, alle zehn Meter einen Entwässerungsgraben Richtung Wattenmeer zu ziehen, das lastet zwar das Kettenfahrzeug aus, zerstört aber die Salzwiesen. Eine Entwässerung alle dreißig bis vierzig Meter reicht nach Auffassung des Wattenrates völlig aus. Alternativ ist die Anlage von sog. Außendeichsringschloten, Gräben parallel zum Deichfuß mit wenigen Gräben Richtung Wattenmeer, sinnvoll. Diese würde die Belastung für die Salzwiesen minimieren. Zudem fehle es an einer extensiven Beweidung, und die Vielfalt der Blütenpflanzen wiederherzustellen. Der Wattenrat wirft der Nationalparkverwaltung vor, sich mehr um die touristischen Belange im Nationalpark zu bemühen, als den tatsächlichen Schutz voranzutreiben. Derzeit werden die „Zugvogeltage“ vorbereitet, die zusätzliche Besucher an die Küste locken sollen. Nur finden die Zugvögel wie Gänsearten, die zudem auch noch örtlich bejagt werden, nur noch wenig intakte Salzwiesen zur Rast und Nahrungsaufnahme vor und weichen so auf landwirtschaftlich genutzte Flächen aus.
Bundesnaturschutzgesetz, § 30 – Gesetzlich geschützte Biotope –
(1) Bestimmte Teile von Natur und Landschaft, die eine besondere Bedeutung als Biotope haben, werden gesetzlich geschützt (allgemeiner Grundsatz).
(2) Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung folgender Biotope führen können, sind verboten:
[…]
5. […] Fels- und Steilküsten, Küstendünen und Strandwälle, Strandseen, Boddengewässer mit Verlandungsbereichen, Salzwiesen und Wattflächen im Küstenbereich, Seegraswiesen […]
Bundesnaturschutzgesetz § 2 -Verwirklichung der Ziele –
[…]
(2) Die Behörden des Bundes und der Länder haben im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu unterstützen.
[…]
(4) Bei der Bewirtschaftung von Grundflächen im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand sollen die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege in besonderer Weise berücksichtigt werden.
(5) Die europäischen Bemühungen auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden insbesondere durch Aufbau und Schutz des Netzes „Natura 2000“ unterstützt. Die internationalen Bemühungen auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden insbesondere durch den Schutz des Kultur- und Naturerbes im Sinne des Übereinkommens vom 16. November 1972 zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (BGBl. 1977 II S. 213, 215) unterstützt.
[…]