Übergewicht ist bekanntlich ungesund. Das trifft nicht nur für Menschen zu, sondern auch für Straßen, die für Schwerlastfahrzeuge nicht gebaut, aber dennoch intensiv genutzt werden. Die Rede ist von landwirtschaftlichen Fahrzeugen wie Zugmaschinen, Anhängern oder Mähdreschern. Moderne Güllegespanne z.B. erreichen heute ein Gesamtgewicht von bis zu 40 t (zum Vergleich: Der Kampfpanzer Leopard 1 wiegt 42,5 t). Die Zufahrtsstraßen für diese Ungetüme sind nicht nur schmale landwirtschaftliche Wirtschaftswege, sondern sie führen auch durch Wohnsiedlungen, deren Straßen für Gewichte dieser Größenordnung nicht gebaut wurden. Die breiten und schweren landwirtschaftlichen Fahrzeuge passen inzwischen gar nicht mehr auf schmale Straße, die Reifen zerfahren genau den Grenzbereich zwischen Grünstreifen und Asphaltdecke. Der Straßenkoffer und die Asphaltdecke leiden so unter dem häufigen Befahren, es gibt Risse und Absenkungen, danach Frostaufbrüche und Auswaschungen, bis die Straße nicht mehr befahrbar ist. Die Reparaturen zahlen dann in der Regel die Anlieger, nicht aber die Verursacher.
Bauern halten sich häufig nicht an die ausgeschilderte Gewichtsbeschränkung, die Polizei drückt auch gerne ein Auge zu, irgendwie müssen die Bauern ja auf ihre Ländereien kommen. Lohnunternehmer zahlen in der Regel beim jeweiligen Landkreis eine Abgabe für eine Ausnahmegenehmigung der Gewichtsüberschreitung. Aber viele Landwirte zahlen nichts. Mit “Sondernutzungsgebühren” (§21 Nieders. Straßengesetz) können Landkreise und Gemeinden durch Satzungen die Höhe der Abgaben regeln. Das Problem ist seit Jahren bundesweit bekannt, im Sinne der betroffenen Anlieger ändert sich aber nichts.
Im Januar 2013 kochte das Problem der zerfahrenen Straßen auch in der ostfriesischen Stadt Wittmund hoch. Der Straßenausschuss des Stadtrates erörterte die Situation unter großer Zuschauerbeteiligung. Das Kreislandvolk schlug vor, für jeweilige Gemarkungen einen Wirtschaftswegeverband zu bilden, in den alle Grundeigentümer aus dem Bereich einzahlen. Alleine wollten die Landwirte aber nicht für die kaputten Straßen zahlen. Eine Lösung wurde bisher nicht gefunden, verschiedene Vorschläge sollen geprüft werden.
Die starke Bauernlobby hat jedoch inzwischen erreicht, dass der Bundesrat zum 01. August 2013 die Fahrzeuglängen und -gewichte dem „technischen Fortschritt“ (das ist tatsächlich die Begründung!) in der „48. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ anpasste, nach oben, selbstverständlich, und völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ein Wahlgeschenk so kurz vor der Bundestagswahl?
Bisher mussten bei mehr als 24 t Gesamtgewicht eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Nun darf bis zu einem Gesamtgewicht bis zu 32 t gefahren werden, ohne Ausnahmegenehmigung. Das schont die Konten der Lohnunternehmer und der ohnehin hochsubventionierten Bauern, wird aber die Straßen noch mehr schädigen. Dafür sorgt auch die neue zulässige Gesamtbreite von 3 m.
Die Allgemeinheit wird wieder für wenige Verursacher zahlen dürfen. PKW-Fahrer, die in Innenstädte fahren, müssen an der Windschutzscheibe ihres PKW eine Schadstoffplakette anbringen, man sieht auf den ersten Blick, ob es „reicht“ oder nicht. Bei einem landwirtschaftlichen Fahrzeug dagegen ist nicht erkennbar, ob der Halter eine Ausnahmegenehmigung für das Befahren von Straßen besitzt oder nicht. Auch hier wäre eine entsprechende Plakette zum Nachweis der gezahlten Genehmigung hilfreich. Nur, ein „Fortschritt“ ist es nicht, wenn die Fahrzeugindustrie immer größerer und schwerere Landmaschinen herstellt, die nicht mehr auf die alten Straßen passen, die nicht mitgewachsen sind.
Pressemitteilung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 14. August 2013:
Straßenverkehr: Zuggespanne dürfen etwas länger sein
Neue Vorschriften ab Anfang August berücksichtigen technische Entwicklung
Pressemitteilung vom 14.08.2013
Die 48. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist seit dem 1. August 2013 in Kraft. Für die Landwirtschaft gab es nach Auskunft der Landwirtschaftskammer Niedersachsen einige Erleichterungen.
Zugmaschinen mit Anhängern dürfen nun eine Länge von zusammen 18,75 Metern (m) haben. Bisher war die Zuglänge auf 18 m begrenzt, und beilängeren Abmessungen musste für den jeweiligen Zug eine Ausnahmegenehmigung vorliegen. Überschreitet der Zug die 18,75 m, ist nach wie vor eine Ausnahmegenehmigung bei der örtlichenStraßenverkehrsbehörde einzuholen. Zu beachten ist, dass die neueAnpassung sich ausschließlich auf Zugmaschinen, z.B. Traktoren, und Anhänger bezieht. Sie gilt nicht für selbstfahrende Arbeitsmaschinen. So darf ein Mähdrescher mit angehängtem Schneidwerkswagen wie bisher nur 18 m Gesamtlänge aufweisen, sonst ist eine Ausnahmegenehmigung fällig.
Neu ist auch, dass das Gesamtgewicht von Rüben- und Kartoffelrodern, Mähdreschern oder Zugmaschinen die mit Raupenfahrwerken, sogenanntenGleisketten ausgestattet sind, nun 32 (Tonnen) t betragen darf. Bisher musste bei mehr als 24 t eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden.
Auch die 35. Ausnahmeverordnung wurde an den technischen Fortschrittangepasst. Das betrifft die Ausstattung von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen und ihren Anhängern mit Doppelreifen oder Breitreifen. Inklusive Reifen darf die Breite desFahrzeugs bis zu 3 m betragen. Bisher war der maximale Reifeninnendruck mit 1,5 bar für Breitreifen gesetzlich begrenzt.
Durch die neue Verordnung kann mit dem vom Hersteller vorgegebenen Innendruck gefahren werden. Auch Zugmaschinen, die mit Gleisketten(Raupenfahrwerk) ausgerüstet sind, dürfen seit dem 1. August 2013 mit einer Breite von 3 m legal auf der Straße fahren.
Künftig ist zu beachten, dass ab dem 1. Juli 2014 das Mitführen von Warnwesten in Personen- und Lastkraftwagen, Bussen und auch Zugmaschinen zur Pflicht wird.