Die neue Sau im Dorf: Mutterkorn am Schlickgras

Schlickgrashorst im Wattenmeer, im Hintergrund Brandenten, Dornumersiel/LK Aurich, Mai 2013

Das Leben an der Küste ist bekanntlich gefährlich: Orkane, Sturmfluten, Dünenabbrüche, Ebbe und Flut, gefräßige asiatische Gänse und nun auch noch das Schlickgras (Spartina spec.), das im weichen Wattensediment wächst, verursachen immer wieder Schlagzeilen. Das Schlickgras mit Migrationshintergrund, eine sog. „invasive Art“, kam vermutlich schon vor über hundert Jahren mit Ballastwasser der Schiffe aus Nordamerika oder England ins Wattenmeer, wurzelte und mutierte hier und wurde zeitweilig auch gezielt als Sedimentfänger für den Küstenschutz im Wattenmeer angepflanzt. Das funktionierte aber nicht so gut, weil Schlickgras überwiegend isolierte Horste im Watt bildet. Nun wuchs es jahrzehntelang weiter völlig ungestört und kaum beachtet vor sich hin, bis Botaniker der Leibniz Universität in Hannover am Jadebusen pilzbefallenes Schlickgras entdeckten. Der Parasit Claviceps purpurea, auch als Mutterkorn bekannt, siedelt gerne auf Gräsern und Getreidepflanzen und verursachte schon häufig Todesfälle, als Getreide noch nicht gründlich gereinigt wurde und der Pilz so ins Brot und die Menschen gelangte. Diese Zeiten sind allerdings in unseren Breiten vorbei.

Die Botaniker aus Hannover allerdings wähnten mit ihrer Entdeckung des Mutterkorns an Spartina aber gleich eine neue große Gefahr für Kinder, Hunde oder Schafe, die, wenn sie denn mit dem Mutterkorn im Watt in Berührung kämen, sogar tot umfallen könnten. Flugs verbreiteten sie diese Horrorgeschichte per Pressemitteilung der Universität (s.u.). Meldungen dieser Art verbreiten sich bekanntlich immer gut, die Nachrichtenagentur dpa und der Norddeutsche Rundfunk hauten richtig rein und übernahmen die Pressemitteilung der Universität Hannover ungeprüft, ist ja Wissenschaft und Recherche in unserer vorgeblichen Informationsgesellschaft war sowieso gestern. Und so raste diese Meldung als neu Sau des Dorfes vom Norden bis in den Süden der Republik und machte das vorher völlig unbekannte Schlickgras schlagartig berühmt, und vor allem berüchtigt.

Pfuhlschnepfen im Schlickgras: Norderney, 12. Mai 2013

Nur, welches Kind isst Schlickgras, und welcher Hund rennt in den weichen Schlick, versinkt dort und macht sich anschließend über das Gras her? Sogar Schafe meiden das weiche Wattensediment, dort wo das Schlickgras wächst und in dem sie nicht mehr laufen können, und halten sich lieber an das viel weichere Andelgras auf den trittfesten Salzwiesen vor den Deichen. Bisher wurden auch noch keine sich suhlende Kleinkinder-Krabbelgruppen oder sich im Todeskampf wälzenden Schafe in den Spartinabeständen des Wattenmeeres beobachtet. Die Schafe an den Deichen oder in den Salzwiesen kommen ohnehin eher durch unbeaufsichtigte Hunde ums Leben, die lieber Schafe hetzen anstatt Spartina zu fressen. Auch körnerfressende Kleinvögel wie Ohrenlerchen oder Schneeammern, die sich auf dem Zuge in großen Scharen am Wattenmeer aufhalten, fielen bisher nicht als Mutterkornopfer im Spülsaum auf.

Die Natur hält für uns Menschen noch weit mehr und wesentlich verbreitetere Gefahren als Mutterkorn auf Spartina in Form von Giftpilzen oder giftigen Pflanzen wie Fingerhut, Eisenhut oder Goldregen bereit, die Aufregung darüber hält sich aber in Grenzen.

Wie lange das Mutterkorn an Spartina bereits im deutschen Wattenmeer parasitiert, ist nirgends festgehalten. Hätten die Botaniker der Uni Hannover ihre Hausaufgaben gemacht, wären ihnen die seit Jahren bekannten Veröffentlichungen aus den USA oder Großbritannien zu Claviceps aufgefallen. Danach ist der Pilz Claviceps auf Schlickgras längst bekannt, und zwar weltweit! Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass der Befall mit Mutterkorn die Schlickgrasbestände reduzieren könnte.

Herbstliche Spartinahorste im Watt (im Vorder- und Hintergrund), dazwischen Strandsode (rot)

Was die Forscher aus Hannover dazu bewogen haben mag, aus dem Pilz eine Horrornummer zu machen, kann nur vermutet werden. Man kommt aber selber drauf, wenn man die Pressemitteilung gründlich liest: „Um weiter in dem Bereich forschen zu können, brauchen wir fachliche und finanzielle Unterstützung.“ Na also, es geht also wieder einmal ums Geld, und klappern gehört eben zum Handwerk. Diese Nummer wurden bereits von den politisch motivierten Klimamodellierern im großen Stil perfektioniert: unglaubliche Gefahren für die Menschheit vorhersagen, vermeintliche Lösungen entwerfen, Forschungsgelder beantragen, mit Drittmitteln Stellen und Aufträge sichern. Das Botanische Institut der Universität Hannover könnte sich so den Pilz im Schlick zur Lebensaufgabe machen, mit geschickt inszenierter Drittmittelwerbung die eigene Existenz langfristig sichern helfen und jahrelang weiterwerkeln am Schlickgras.

So richtig ernst nahm sogar die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven die Forscher nicht. „Wir haben unsere Erkenntnisse den zuständigen Ämtern und der Nationalparkverwaltung mitgeteilt“, schrieb Prof. Jutta Papenbrock von der Uni Hannover in der Pressemitteilung. „Die Reaktionen seien bisher allerdings dünn.“ Schließlich meldete sich auch der Tourismusverband Nordsee öffentlich zu Wort, jedoch nur besorgt um den Rückgang der Übernachtungszahlen an der Wattenküste ob der schrecklichen Meldung so kurz vor dem Beginn der Hauptsaison: Der Pilz sei keine Gefahr für Menschen, da das Schlickgras keine Nahrungspflanze sei, wie wahr.

Die Gefahr für das Wattenmeer mit seinen Tieren und Pflanzen geht dann auch eher von der beworbenen Masse Mensch aus, die kaum Kenntnisse über die Lebensansprüche von Küstenvögeln, Seehunden oder den Pflanzen hat und „dank“ der Tourismusindustrie die letzten Winkel dieses Lebensraumes erschließt, zu Fuß, mit dem Rad, per Flugzeug, Boot oder dem Kiterbrett, mit oder ohne Hund, zum Schaden der Tiere und Pflanzen des viel beworbenen „Weltnaturerbes“.

Um es aus dem Blickwinkel des um das Wattenmeer besorgten Naturschützer zu formulieren: So verkehrt wäre es indes nicht, wenn durch die Meldung der Universität Hannover und das Mutterkorn im Schlickgras zu Tode verängstigte Nordseeurlauber ihre Erholungsorte auch mal wechseln würden. Will sagen, liebe Massentouristen, macht doch auch mal woanders Urlaub und trefft Euch da, wo der Pfeffer und nicht das Schlickgras wächst….

Literatur:

* Freybould, Gray, Clark: The long-term epidemic of Claviceps purpurea on Spartina in Pool Harbour, Institute of Terristrial Ecology, Wareham, Dorset, UK, 1997

* Fisher et al.: Salt Marsh Claviceps purpurea in Native and Invaded Spartina Marshes in Northern California, 380 Plant Disease / Vol. 91 No. 4; Zitat daraus „The fungal pathogen Claviceps purpurea (subgroup G3) has a worldwide distribution on salt marsh Spartina spp….“

* Gray et al.: A century of evolution in Spartina anglica. Adv. Ecol. Res., 21, 1-62

Leibniz Universität Hannover, Presseinformation vom 22.05.2013

Giftiger Parasit an der Küste entdeckt

Mutterkorn befällt große Schlickgras-Flächen an der Nordsee

Eigentlich wollten sie nur Saatgut für ein Botanik-Forschungsprojekt an der Nordseeküste sammeln. Doch als die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts in der Salzmarsch am Jadebusen unterwegs waren, machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Fast überall in den Rispen des dort wachsenden Schlickgrases, Spartina anglica, fanden sie violett-schwarz schillernde sporenartige Gebilde. Die Nachwuchswissenschaftler schickten Fotos davon nach Hannover und brachten Proben mit. „Als ich die Bilder sah, habe ich sofort an Mutterkorn gedacht“, erinnert sich Prof. Jutta Papenbrock vom Institut für Botanik.

Mutterkorn, mit korrektem Namen Claviceps purpurea, befällt als Pilz normalerweise Roggen, aber auch andere Getreidepflanzen, und ist hochgiftig. Im Mittelalter war die Mutterkorn-Vergiftung, das so genannte Antoniusfeuer, mit geistiger Verwirrung und zum Tode führenden Organschäden extrem gefürchtet. Eine Darstellung auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald in Colmar zeigt eindrucksvoll einen Menschen, der am „Antoniusfeuer“ leidet. Heute besteht durch das Sieben von Getreide in der konventionellen Landwirtschaft keine Gefahr mehr.

„Dass Claviceps auch Schlickgras besiedelt, war uns neu“, sagt Prof. Papenbrock. Um den Ausmaß des Befalls genauer abschätzen zu können, fuhren Mitarbeiter des Instituts die gesamte Wattenmeerküste von den Niederlanden bis nach Dänemark ab und untersuchten die Schlickgras-Bestände. Und tatsächlich – überall in den Rispen fanden sich die Überwinterungsorgane des Pilzes, sogenannte Sklerotien, und zwar deutlich mehr, als sonst auf Roggen zu finden sind. Daraufhin taten sich die Biologen mit einer Arbeitsgruppe der Stiftung Tierärztliche Hochschule (TiHo) zusammen. Die Wissenschaftler untersuchten, wie giftig das Schlickgras-Mutterkorn tatsächlich ist. „Es kam heraus, dass die Konzentrationen der giftigen Mutterkorn-Alkaloide sogar höher waren als beim Roggen-Mutterkorn“, berichtet Jutta Papenbrock, „mehrere der Sklerotien können ein Kleinkind töten.“

Sorgen macht den Wissenschaftlern, dass das Schlickgras Spartina anglica, das eigentlich nicht in Europa heimisch ist, aber zur Küstenbefestigung in England und den Niederlanden angebaut wurde, inzwischen fast überall im Küstenbereich bis hoch an die Deiche, also auch in der Nähe beweideter Wiesen, wächst. Schafe, aber auch Kinder oder Hunde könnten gefährdet sein. Da sich die Sklerotien erst im Herbst entwickeln, seien immerhin die Sommermonate relativ gefahrenfrei. „Allerdings haben wir festgestellt, dass das Gift kaum abgebaut wird“, berichtet Prof. Papenbrock. Christian Boestfleisch hat in seiner Masterarbeit herausgefunden, dass abgefallene Sklerotien mit ähnlicher Giftigkeit später im Spülsaum an vielen Stellen wieder angeschwemmt werden.

„Wir haben unsere Erkenntnisse den zuständigen Ämtern und der Nationalparkverwaltung mitgeteilt“, sagt Jutta Papenbrock. Die Reaktionen seien bisher allerdings dünn. „Um weiter in dem Bereich forschen zu können, brauchen wir fachliche und finanzielle Unterstützung.“ Um die Ausbreitung zu stoppen, müsse man Experten mit ins Boot holen, die sich mit invasiven Arten beschäftigen und auch international zusammenarbeiten. In Deutschland sei dieser Fund der erste, aber aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich gebe es ähnliche Meldungen. Bisherige Bemühungen, Schlickgras durch Mähen oder Verbrennen einzudämmen, blieben weitgehend erfolglos.

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