Der kleinste Wal der Welt, der Schweinswal oder Kleine Tümmler, lebt gefährlich. In der Ostsee sind es hauptsächlich Stellnetze, die ihm zum Verhängnis werden. In der Nordsee wurden im Sommer 2012 auffällig viele tote Schweinswale an der Westküste Schleswig-Holsteins angeschwemmt. Zeitgleich wurden in der Nordsee Fundamente für Windkraftwerke gerammt, mit Dauerschallpegeln von z.T. mehr als 190 Dezibel. Lärm dieser Größenordnung führt zu Nervenschäden und Orientierungsschwierigkeiten bei Schweinswalen, die bis zum Tod führen. Die Häufung der Totfunde dieses Sommers fand kaum eine Resonanz in der Presse, der Einzelfund eines einzelnen toten Schweinswals am Ufer der Ems bei Emden schon. Über den wurde im Juni ausführlich mit Bild bundesweit berichtet. Dieser Schweinswal wies deutliche Schnittverletzungen durch Netze auf. Es liegt also nahe, dass er in einem Netz umkam, und nur dieser einzelne tote Wal, nicht die gehäuften Totfund des Sommers, führt zu einer einer Kleinen Anfrage der Bündnisgrünen im Niedersächsischen Landtag. Hier der Wortlaut mit der Antwort der bemerkenswert falschen Antwort der Landesregierung:
Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode Drucksache 16/4975
Hannover, den 11.07.2012
Mündliche Anfragen gemäß § 47 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages
[…]
28. Abgeordneter Christian Meyer (GRÜNE)
Sterben Schweinswale durch gefährliche Fangnetze in Niedersachsen?
Wie die Rheiderland-Zeitung am 29. Juni 2012 berichtete, wurde am Emsufer bei Emden ein Schweinswal von Mitarbeitern des Wattenrats Ostfriesland tot aufgefunden. An dem Tier seien tiefe Einschnitte in der Haut zu sehen, die vermutlich von einem Fischernetz oder einer stationären Fangvorrichtung (Reuse) unter Wasser ausgingen. Der Totfund von der Ems wurde vom Wattenrat der Seehundaufzuchtstation in Norddeich mitgeteilt, um durch eine eventuelle Sektion die sichere Todesursache feststellen zu können.
Nach Angaben des Wattenrates sterben jährlich viele Kleinwale, Seehunde oder Kegelrobben in Reusen oder anderen Stellnetzen. In den Niederlanden seien hingegen durch eine neue Technik nur noch Reusen mit einer sogenannten „Keerwant“ erlaubt, damit Meeressäuger durch dünne Fäden im ersten Segment einer Reuse vor der Lebensgefahr gewarnt werden. Laut Rheiderland-Zeitung wehre sich Deutschland jedoch gegen solche Maßnahmen zum Schutz der Meeressäuger.
Ich frage die Landesregierung:
1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über den Tod von Meeressäugern in Fangnetzen und Reusen vor der niedersächsischen Küste, und kann der geschilderte Fall auf Fischerei zurückgeführt werden?
2. Befürwortet die Landesregierung die gesetzliche Einführung eines besseren Schutzes der Meeressäuger als ungewollten Beifang z. B. durch die vom niederländischen Wissenschaftler Pieter Rijnders entwickelte „Keerwant“?
3. Welche Maßnahmen ergreift Niedersachsen gegenüber der Fischerei, um den ungewollten Fang von Meeressäugern zu verhindern?
Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode – 144. Plenarsitzung am 20. Juli 2012
Die Kleine Anfrage beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1: Der Tod von Meeressäugern in Fangnetzen oder Reusen ist vor der niedersächsischen Küste ein sehr unwahrscheinliches Ereignis. Gefährlich sind für Meeressäuger vor allem Stellnetze. In geringerem Ausmaß können auch Reusen eine Gefährdung darstellen. Stellnetze werden von der niedersächsischen Küstenfischerei jedoch nicht verwendet. Reusen werden fast ausschließlich von Sportfischern in der Aalfischerei eingesetzt. Die Reusen werden dabei ufernah gestellt und stellen nach unserer Erkenntnis keine Gefahr für Meeressäuger dar. Die Todesursache in dem geschilderten Fall konnte nicht geklärt werden, da der Schweinswal aufgrund fortgeschrittener Zersetzung nicht mehr untersuchungsfähig war.
Zu 2: Die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer hat bereits 1991 zum Schutz gefährdeter Tierarten wie Seehund und Schweinswal im Wege einer Allgemeinverfügung für die Sport- und Freizeitfischerei festgelegt, dass Fischreusen und Aalkörbe im Frontbereich durch Umkehrnetze oder Gitter mit einer Maschenweite von 10 x 10 cm zu sichern sind. Ein darüber hinausgehender Regelungsbedarf besteht derzeit nicht (siehe auch zu 1).
Zu 3: Aufgrund der unter 1. dargelegten geringen Wahrscheinlichkeit, dass ein Meeressäuger vor der niedersächsischen Küste durch Fischereigeräte getötet wird, sieht die Landesregierung keine Erfordernis für weitere Maßnahmen gegenüber der Fischerei, um den ungewollten Fang von Meeressäugern zu verhindern.
Richtig ist, dass in der Emsmündung (und dort wurde der erwähnte einzelne Schweinswal gefunden), auch in diesem Sommer sehr wohl sehr lange Stellnetze in der Nähe des Emsstauwerkes (offiziell: “Ems-Sperrwerk”) quer über weite Teile des Flusses gespannt wurden, sog. „Aalhamen“. (Zitat Landesregierung: “Stellnetze werden von der niedersächsischen Küstenfischerei jedoch nicht verwendet.”). Diese Stellnetze stehen nicht im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und verfügen über keinerlei Sicherunsgeinrichtungen gegen Meeressäuger. Es ist auch unerheblich, ob die Stellnetze von der “niedersächsischen Küstenfischerei” oder von Hobbyfischern verwendet werden. Schweinswale (und Seeehunde) können gleichermaßen in Netzen von Berufsfischern oder von Freizeitfischern ertrinken.
Unser Mitarbeiter Eilert Voß hat heute, am 14. Oktober 2012, anlässlich einer Wat- und Wasservogelzählung zwischen Ditzum und Emstunnel, insgesamt 11 Hamenanlagen mit 61 Trichternetzen gefunden!
Die niedersächsische Landesregierung kennt also die tatsächlichen Verhältnisse “im richtigen Leben” nicht. Den Grünen sei gedankt, dass sie die Anfrage gestellt haben. Noch besser wäre es gewesen, nicht nur das kurzlebige parlamentarische Frage-Antwort Ping-Pong zu spielen, sondern “nachhaltig” auf die Probleme des Schweinswalschutzes nicht nur bei der Stellnetzfischerei, sondern auch öffentlich auf die erhebliche Gefährdung durch die Rammarbeiten für die Offshore-Wind”parks” hinzuweisen und Gegenmaßnahmen zu fordern. Nur wird auch den Grünen, ebenso den großen Naturschutzverbänden und Greenpeace, dieser Spagat zwischen Artenschutz und dem Lieblingsthema “Energiewende” nicht gelingen. In diesem politischen Spiel bleiben die Schweinswale als Bauernopfer auf der Strecke, ungeachtet internationaler Schutzabkommen. Für die Energiewende ist eben keine Tierart und keine Landschaft zu schade.