Den nachfolgenden Beitrag haben wir ungekürzt von der Gesellschaft zu Erhaltung der Eulen e.V. (EGE) übernommen, mit deren freundlicher Genehmigung. Nur das Titelfoto ist vom Wattenrat.
Das Dutzend ist voll – September 2012
Die Strompreise werden steigen. Das ist sicher. Die Ökostromindustrie hat es dank tatkräftiger Unterstützung von Medien und Umweltverbänden vermocht, der Gewinnung von Strom aus Wind, Biomasse, Wasser und Sonne ein sauberes Image zu verschaffen wie dies Jahrzehnte zuvor nur der Atomenergie gelungen war. Dabei hat jede Form der Energieerzeugung ihren Preis, der sich allerdings für die meisten Stromkunden auf einen Rechnungsbetrag beschränkt. Natur und Landschaft zahlen hingegen einen Preis, den im Fall des vermeintlich sauberen Stroms aus regenerativen Quellen Politik, Medien und Öffentlichkeit nicht auf der Rechnung haben.
Den Preis für die in Deutschland täglich wachsende Zahl der Windenergieanlagen zahlen beispielsweise Greifvögel und Eulen – und zwar mit dem Leben. Aktuell stieg die Zahl der an den Anlagen verunglückten Seeadler auf 72, die der Rotmilane auf 170, der Schwarzmilane auf 21, der Uhus auf 12, um nur wenige der betroffenen Arten zu nennen. Dabei werden die Opfer, sieht man von einigen Windparks in Brandenburg ab, praktisch nirgends systematisch erfasst. Die Opferzahlen aus Brandenburg führen deshalb die Statistik an: Allein jeder zweite der mehr als 200 toten Mäusebussarde wurde unter einem Rotor in Brandenburg gefunden. Es steht außer Frage, dass diese Zahlen nur die Spitze eines Eisberges beschreiben. Die große Mehrzahl der Opfer landet nicht in einer Statistik, sondern im Magen der Füchse.
Das gilt erst recht für die kleinen Vögel, die an den Anlagen verunglücken, aber schon wegen ihrer geringen Größe nach einer Rotorkollision zerstückelt ins Erdreich, Gras oder Getreide gestürzt nicht ins Auge fallen. Umso mehr muss erschrecken, dass allein in Brandenburg 43 Feldlerchen als Opfer aufgeführt sind. Wer jemals eine Feldlerche beim Singflug beobachtet hat, kann sich ausrechnen, wie dieser Flug in einem Windpark endet. Das hindert die Praxis der Gutachter nicht, die Feldlerchen wie andere Arten ohne hochrangigen Platz in den Roten Listen als gegenüber Windenergieanlagen „unempfindlich“ einzustufen, wie es täglich in Gutachten und von Naturschutzbehörden unwidersprochen geschieht.
Das ist bedingt das Versäumnis der Vogelschutzwarten in Deutschland. Sie haben in einem gemeinsamen Papier verdienstvollerweise Empfehlungen zum Schutz einiger kollisionsgefährdeter seltener Vogelarten formuliert (beispielsweise für Seeadler, Rotmilan und Uhu), zum Schutz von Vogelarten ohne hochrangigen Platz in den Roten Listen aber keine Aussagen getroffen. Dieses Papier der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten entstand vor Inkrafttreten der artenschutzrechtlichen Vorschriften, welche auch die noch nicht ganz seltenen Arten vor einem signifikant steigenden Tötungsrisiko in Schutz nehmen. Das Papier der Länder-Arbeitsgemeinschaften der Vogelschutzwarten ist für diesen Anspruch nicht ausgelegt.
Das Image der sauberen Windenergie könnte Schaden nehmen, die Täuschung auffliegen, würden die Opferzahlen auch nur ansatzweise systematisch erfasst. Die großen Umweltverbände sollten in der Lage sein, solche Erfassungen wenigstens stellenweise zu organisieren und nötigenfalls auch zu finanzieren. Die kleine EGE kann das nicht. Auch sie registriert nur Zufallsfunde. Zuletzt rein zufällig einen toten Wespenbussard (im Bild) in einem Windpark, in dem kurz zuvor nicht minder zufällig ein Uhu tot aufgefunden wurde, der jetzt in der Statistik das Dutzend vollmacht. In Deutschland brüten übrigens weniger als 5.000 Paare der seltenen Bussardart. Das Vogelschutzwarten-Papier sagt nichts zu ihrem Schutz.
Der betreffende Windpark steht im rheinland-pfälzischen Kreis Trier-Saarburg. Zwei Uhupaare brüten 1.360 m und 1.560 m von den Anlagen entfernt. Ob der verunglückte Uhu einer der Brutpartner war, ist unbekannt. Im Zulassungsverfahren für die Anlagen haben die Uhus und der Brutplatz des jetzt verunglückten Wespenbussards niemanden interessiert. Offenkundig auch die Naturschutzbehörden nicht. So ist es nach Beobachtungen der EGE in der Mehrzahl der Zulassungsverfahren. Die Praxis schert sich um das Artenschutzrecht und die Empfehlungen der Vogelschutzwarten einen feuchten Kehricht. Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Naturschutzbehörden stehen einer aggressiven Anwälte bewehrten und politisch allseits hoffierten Branche weitgehend hilflos gegenüber. Dabei könnte der getötete Wespenbussard vielleicht den Tatbestand des Biodiversitätsschadens erfüllen und Haftungspflichten der beteiligten Stellen auslösen. Könnte. Naturschutzalltag in Deutschland.
Am 17. September 2012 beginnt der Deutsche Naturschutztag. Das Thema: „Neue Energien – neue Herausforderungen: Naturschutz in Zeiten der Energiewende.“ Ob der hier exemplarisch geschilderte Alltag des Naturschutzes darin vorkommen wird? Die großen Umweltverbände haben sich der großen Energiewende verschrieben. Sie führen den Schutz der Biodiversität im Munde und bleiben gegenüber den Kollateralschäden der Wende seltsam stumm. Ihr Einsatz für Arten spielt eine immer geringere Rolle und verengt sich auf eine Handvoll mediengerechter und die Spendenbereitschaft fördernder Symboltiere wie Eisbär oder Wildkatze. Die Windenergiewirtschaft muss die Eintrübung ihres strahlendweißen Umweltimages nicht fürchten – auch und gerade nicht aus diesem Teil der Gesellschaft.
Deutschland steht nicht nur eine Vervielfachung der Windenergieanlagen bevor, sondern trotz und wegen des Ausbaus der Regenerativen der Bau neuer konventioneller Wärmekraftwerke, ist doch der Wind zu unstet und der Beitrag der Sonne zu gering, um das Land nur auf die Regenerativen gestützt sicher mit Strom versorgen zu können. Die Vollversorgung aus regenerativen Quellen ist bis auf weiteres eine Lebenslüge. Deshalb findet auch der Braunkohleabbau in ost- und westdeutschen Revieren kein Ende – auch der Tagebau Hambach nicht, für dessen Fortgang jetzt die Abholzung weiterer Jahrhunderte alter Eichen- und Hainbuchenwälder beantragt ist; ein Eingriff, den – wie sich denken lässt – die sozial-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung legalisieren wird.