Vor einigen Tagen wurde am Ostende von Wangerooge ein weiblicher Seehund an seinem Liegeplatz von einem freilaufenden Haushund totgebissen, Herrchen sah zu und verdrückte sich nach dieser Tat, samt Hund. Hunde im Großschutzgebiet „Nationalpark Wattenmeer“ und „Weltnaturerbe“ entwickeln sich zu einer Pest, auch deshalb, weil Hundehalter die Regeln im Nationalpark größtenteils einfach ignorieren. Anleinpflicht oder Betretensverbote gelten für diese Spezies einfach nicht, und ohne Überwachung durch fehlende Ranger wird sich daran auch nichts ändern. Thomas Schumacher, freier Journalist aus Leer, hat diese Missstände schon einmal auf der Wattenrat-Seite glossiert: Vierbeiniger Insel-Massentourismus, Hundehalters Kack- und Beißstrände als verschwiegenes Phänomen. Heute hat er nachgelegt.
Hunde, wollt ihr ewig leben?
von Thomas Schumacher
Ist das nicht niedlich? Da hat ein freilaufender Hund, Schulterhöhe ca. 60 cm, ein Seehundweibchen am Wangerooger Strand tot gebissen (Dienstag, den 14.8.2012)! Hätte gar nicht gedacht, dass diese fettleibigen Freiluftkoter [nein, kein Rechtschreibfehler: Koter, nicht Köter!] noch einen Jagdtrieb besitzen! Da wird sich Herrchen gefreut haben. Ich behaupte jetzt nicht, Herrchen ist Küstenfischer und hat seinen Aasfresser auf Seehunde dressiert. Obwohl in Schleswig-Holsteins Fischer seit Anfang des Jahres fordern, Seehunde müssten abgeschossen werden. Seit diesem Statement vergeht keine Woche, ohne das Fernsehen, Rundfunk und Zeitung nicht irgendwie Seehunde ins Visier nehmen. Die Tiere seinen gesund. Das ist die gute Meldung. Es seien aber zu viele. Gesund sein heißt Appetit haben und Seehunde ließen sich nun mal von Fisch nicht auf Dünengras umstellen. Es gäbe keine Überfischung in der Nordsee, es gäbe einfach zu viele Seehunde, so die Fischer. Mal abgesehen, dass es vor vierzig Jahren noch mehr Seehunde in der Nordsee gab, ihr Bestand war und ist gewaltig kleiner als der von Haushunden. Möchte nicht wissen, was der gemeine Hund so wegfrisst und den Hunger in der Welt schürt (den Hunger von Menschen, versteht sich). Seit Jahrzehnten hat jede Insel in der Nordsee das (Haus-) Hundeproblem. Niemand hat bislang gefordert, den Bestand der Haushunde auf den Inseln durch gezielten Abschuss zu regeln. Niemand hat nichts geregelt. Nebenbei wäre ein Abschuss von freilaufenden Hunden im Nationalpark sogar gesetzlich vorgeschrieben. Schwamm drüber. Das fordert keiner, es gibt niemanden, der das bewerkstelligen würde. Und hier liegt das Problem.
Hundehalter mögen ihren Nachbarn nicht die Butter auf dem Brot gönnen, ihrem Fiffie erlauben sie alles. Da in den Städten Wohnraum knapp ist, fehlt den Vierbeinern der Auslauf. Öffentliche Grünanlagen müssen als Hundeklo okkupiert werden. Beispiel: Leer Ostfriesland ist bestimmt keine Metropole. Trotzdem wird zum Beispiel der stadtnahe Julianenpark als Hundeauslauf missbraucht. An die Schilder „Hunde bitte an der Leine führen“ (es herrscht Leinenzwang in allen öffentlichen Anlagen in Leer – wie auf den Inseln) hält sich vielleicht ein von zehn Hundehaltern. Obwohl es eine extra Hundewiese gibt, lassen die meisten Hundehalter ihr Viech frei im Park herum stromern. Zur Brutzeit der Wiesenvögel ist es besonders lustig: „Guck mal, Hasso hat ein Vögelchen aufgejagt. Fein gemacht. Wo ist das Vögelchen? Such!“
Lässt der Herr im Urlaub alle Hüllen fallen und alle Sitte fahren, so gilt das auch für seinen Hund. Im Urlaub soll Hundi mal endlich richtig Auslauf haben. Wo ginge das besser als am Strand, in den Dünen und in den weiten Salzwiesen des Nationalparks. Ärger gibt es nur, wenn Hund den anderen beißt. Die Gäste auf den Inseln lassen sich gerne die gesalzenen Preise in den Läden und in der Gastronomie gefallen. Das ist eben Insel, alles muss übers Meer vor Ort gebracht werden. Aber Einschränkungen für ihren Hund würde sie nie ertragen. Das wissen die Kurverwaltungen und kuschen und stellen Wassernäpfe vor ihre Büros als „Hundebar“. Die Verwaltungen knöpfen ihren Gästen Kurtaxe ohne Ende ab, dafür lassen sie Hunden ihren Freilauf. Nichts störte Urlauber so wie Einschränkungen gegen ihren Liebsten – Vierbeiner. Wer sich einen Tag vor Silvester nach Wangerooge einschiffen lässt, der erlebt seine Wiedergeburt als Hund. Eine Invasion sondergleichen von Hunden aller Größen und Gattungen. Wehe dem Kind auf der Fähre, das einem Hund beim Paradieren in die Quere kommt. „Können sie ihr Kind nicht besser im Zaum halten“, giftete eine ältere Dame, als ein Knirps von knapp fünf Jahren über ihren im Gang lümmelnden Köter stolpert. Im Nationalpark „Ruhezone“ sollten Hunde ausgeschlossen sein. Zumal zur Brutzeit. Sprechen sie Hundehalter auf den freilaufenden Rottweiler in den Dünen an, bekommen sie Antworten wie „Hier ist doch genug Platz“ oder „Der muss doch seinen Jagdtrieb auch mal ausleben dürfen“. Dabei macht es keinen Unterschied ob die Halter der Hunde aus Wanne-Eickel kommen oder Inselbewohner sind. Begeht man gar den Fehler die örtliche Polizei auf jagende Hunde aufmerksam zu machen, erntet man nur Kopfschütteln. Bei dem Hinweis auf einen in Aktion befindlichen Massenmörder würde die sich vielleicht bewegen, aber massenhaft freilaufende Hunde – „Ist denn was passiert? Ja, was wollen sie denn dann?“
Spätestens an dieser Stelle wird die total fehlende Aufsicht im Nationalpark gemeingefährlich. Zugegeben, Hunde (bzw. ihre HalterInnen) sind nur e i n Problem im Nationalpark. Mangelnde Aufsicht ist aber ein grundsätzliches Problem und degradiert das Weltnaturerbe zu einem, Entschuldigung, aber hier stimmt es – Scheißladen.
Ich habe eine Vision: In der Norddeicher Seehundaufzuchtstation werden Heuler mit Kindchenschema solange von den niedersächsischen Jägern aufgezogen, solange sich Besucher zu Spenden hinreißen lassen. Danach, Pubertierende sind eh schlecht zu händeln, werden die Tiere in die Nordsee entlassen. Das geschieht schon heute publikumswirksam als Unterhaltungsshow. Sind die abgetaucht und fangen an Schollen, Butt und Stint zu fressen, lassen die Jäger ihre Hunde von der Leine und es wird zum großen Gästehalali auf Seehunde geblasen. Anschließend vergnügen sich die Gäste bei heißem Seehundblubber und gegrillten Robbenfilets im Norddeicher Hafen. Das ganze firmiert als „Ostfriesische Seehundwoche.“ Ein Ethikausschuss achtet darauf, dass die Seehunde waidgerecht erlegt werden und nicht einfach von streunenden Hunden tot gebissen werden. Ich beantrage Patentschutz für diese Idee.
Ostfriesische Nachrichten, online
Wangerooge, 15. August 2012Hund beißt Seehund tot
Das Herrchen suchte mit seinem Vierbeiner das Weite und ließ das Tier zurück. Jetzt ermittelt die Polizei.Wangerooge. Ein frei laufender Hund hat auf Wangerooge einen Seehund totgebissen. Der Hundebesitzer suchte mit seinem rabiaten Vierbeiner anschließend das Weite, ohne sich um das getötete Seehund-Weibchen zu kümmern, teilte die Polizei am Mittwoch in Wilhelmshaven mit. […] Wegen des Vorfalls vom Dienstag werde gegen den Mann wegen Wilderei und weiterer Verstöße gegen Naturschutzgesetze ermittelt. Ein Augenzeuge hatte den Vorfall im Osten der Urlaubsinsel beobachtet. Der Hundebesitzer soll sein Tier nach der tödlichen Attacke wieder angeleint haben. […]