„Herzlich Willkommen im Nationalpark!“ Wie Strandbrüter nicht nur unter die Räder kommen

Spaß im Schutzgebiet: Mit Quads, Motorrad und zu Fuß durch Strandbrüterbereiche, Foto (C): S.Bieler

Das obige Bild zeigt eine enorme Störung am „Rysumer Nacken“ bei Emden, in einem Brutgebiet des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer für u.a. hochgradig bestandsbedrohte See- und Sandregenpfeifer, von denen es in Niedersachsen nur noch wenige Exemplare gibt. Gemeint sind nicht nur die Quad- und Motorradbengel, die am Strand herumknattern, sondern auch die Spaziergänger, denen nicht annähernd bewusst ist, auf welchen Abwegen sie wandeln. Die hier brütenden Vogelarten nutzen als Bodenbrüter u.a. Sandstrände, die unter die Füße und Räder des Massentourismus an der Küste geraten sind.  Gelegezerstörungen oder Dauerstress der Brutvögel mit unzureichenden Fütterungsintervallen der Jungvögel führen dann zum Brutverlust, im Schutzgebiet!

Diese Vögel werden trotz des Schutzes durch das Bundesnaturschutz- oder das Nationalparkgesetz aussterben, völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit. Da haben es die Nashörner in Afrika oder Orang Utans in Asien schon besser. Für deren Wohlergehen gibt es eine öffentliche Aufmerksamkeit, Naturschutzorganisationen sammeln Spenden, die Medien berichten darüber, Ranger passen auf und verfolgen unachtsame Touristen oder gar Wilderer.

Im Großschutzgebiet „Nationalpark“ und „Weltnaturerbe“, in einer reichen Industrienation, wird dagegen kaum kontrolliert, nicht nur am „Rysumer Nacken“. Dieser Strandbereich bei Emden ist ausgewiesene Ruhezone, also die strengste Schutzzone im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, ohne zugelassene Wege: Betreten verboten! Dennoch wird der hier natürlich entstandene Festlands-Strand täglich von vielen Spaziergängern (oder eben gelegentlich auch von Motorrad- und Quadfahrern) genutzt, als vermeintliches Naherholungsgebiet. Weiter nördlich, am Ende des Sandstrandes mit einem herausragenden Brut- und Rastgebiet auf einer Muschelbank, ebenfalls Ruhezone, schließt sich eine ausgewiesene Zone für Kitesurfer an. Die wurde in der eigentlich dafür verbotenen Zwischenzone bei Upleward im Landkreis Aurich von der Nationalparkverwaltung mit einer „Befreiung“ bereitgestellt.

"Herzlich willkommen im Nationalpark!"

Das Hinweisschild der Nationalparkverwaltung am „Rysumer Nacken“ ist zwar informativ, enthält aber viel zu viele Informationen, die offensichtlich von den Strandnutzern gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Der oberflächlich lesende Besucher fühlt sich gar eingeladen, diesen streng geschützten Strandbereich zu betreten: „Herzlich willkommen im Nationalpark!“ lautet die deutlich Aussage, das Kleingedruckte mit dem Betretungsverbot und den verwirrenden Karten und Piktogrammen auf engem Raum wird dann gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Zwar gab es hier schon mal einen Zaun oder auch ein deutlicheres kleineres Hinweisschild, die sind aber längst verschwunden.
Bei Schildern ist weniger oftmals mehr: Einfachere Hinweisschilder wären wirksamer, ohne viel Text mit großem Aufdruck im Stile eines Stoppschildes: „STOP, nicht weitergehen, Schutzgebiet!“ wäre z.B. ein deutliche Ansage, im Kleingedruckten könnten dann die Bußgeldhinweise stehen. Einfache Absperrzäune sind zudem sehr viel wirksamer als Schilder, auch diese fehlen hier. Und nur wenn auch Ranger in der Fläche präsent sind, werden Hinweisschilder oder Zäune nicht mehr ignoriert werden, nur ein einziges verhängtes Bußgeld würde sich sehr schnell zum Wohle der bedrohten Strandbrüter herumsprechen.
Aufsichtsführende Ranger, eigentlich Standard in einem echten Nationalpark, gibt es in diesem Nationalpark-Verschnitt nur ganze sechs auf 3.500 qkm Fläche, ohne Kompetenzen, Fahrzeuge oder Boote. Echte Ranger mit Kompetenzen sind politisch im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer nicht gewollt, Mittel stehen dafür nicht bereit. Vielen verantwortlichen Politikern im Niedersächsischen Landtag oder den Naturschutzverwaltern im Umweltministerium ist der desolate Zustand dieses „Schutzgebietes“ gar nicht bewusst, man erliegt der eigenen Jubel-Propaganda mit den vielen werbewirksamen Titeln, die dieses Schutzgebiet trägt. Dieser Nationalpark ist nicht nur „Weltnaturerbe“, darüberhinaus ist er auch ein EU-Vogelschutz- und FFH-Gebiet sowie ein Biosphärenreservat, auch das verpflichtet, eigentlich. Strandbrüter oder andere Vogelarten des Wattenmeeres sind in Hannover so fremd wie Aliens aus dem Weltall. Das viel beklagte „Vollzugsdefizit“ im Naturschutz kann aber nur von der Politik beseitigt werden, die aber unterstützt seit Jahren die Tourismusbespaßung im Nationalpark, von Kitesurfern bis zur Aufforderung zum Geocaching. Änderungen sind nicht in Sicht, das 2010 von der UN eingeläutete Jahrzehnt der „Biodiversität“ ist auch in Niedersachsen nur bedrucktes Papier geblieben, genau wie das viel beworbene „Weltnaturerbe“, dessen Etikett nur der Tourismusvermarktung dient: wohlfeile Sprüche, nichts als Sprüche, ohne Auswirkungen auf den tatsächlichen Schutz.

Jedes Gesetz ist nur so wirksam, wie dessen Durchführung auch kontrolliert und die Einhaltung ggf. mit Ordnungsmitteln durchgesetzt wird. Wenn das nicht geschieht, bleibt ein Gesetz bedrucktes Papier. Das „Gesetz über den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ (NWattNPG) ist so ein Gesetz. § 6 bestimmt u.a. folgendes:

§ 6 In der Ruhezone verbotene Handlungen […]

(2) Zur Vermeidung von Störungen und Gefährdungen der Schutzgüter des Nationalparks ist es verboten, 1. die Ruhe der Natur durch Lärm oder auf andere Weise zu stören,2. wild lebende Tiere zu stören oder diese an ihren Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten aufzusuchen, zu fotografieren oder zu filmen

Nachsatz: Die Quad- und Motorradfahrer wurden durch die Presseberichterstattung inzwischen ermittelt, die Fußgänger blieben unbehelligt. In der Presse wurde der Eindruck erweckt, nur die Verwendung von motorbetriebenen Fahrzeugen sei verboten; die Störungen im Schutzgebiet werden also weitergehen. Der hier geschilderte Vorfall verdankt seiner öffentlichen Wahrnehmung nur der Zufallsbeobachtung einer aufmerksamen Beobachterin, die uns das Foto zur Verfügung stellte, dafür danken wir ihr.

Ostfriesen Zeitung, Teil Emden, S. 18., 20. Juli 2012

Klagen über Quads am Rysumer Nacken

Von Heiner Schröder

Stadt Emden: Motorisierte Fahrzeuge sind auch an kleinen Stränden verboten Die Fans der vierrädrigen Gefährte tummeln sich gerne im Emder Westen. Wenn sie erwischt werden, müssen sie mit einem Bußgeld rechnen – erst recht, wenn sie sich auf dem Gebiet des Nationalparks bewegen. […] Eduard Dinkela, Pressesprecher der Stadt Emden. Weil es schon mehrere Klagen gab, hat die Stadt Emden jetzt die Grundstückseigentümer und die Wasserschutzpolizei informiert. Die hat bereits die Ermittlungen aufgenommen. […] Wer dort beim Fahren mit Quads oder Motorrädern erwischt wird, muss mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro rechnen. Allerdings wird die Gegend kaum kontrolliert. Die Nationalparkverwaltung hat dafür keine Ranger übrig, die Wasserschutzpolizei ist selten vor Ort. Daher ist man auf die Informationen von Passanten angewiesen.

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