Am Donnerstag, 19. April 2012, trafen sich regionale Naturschutzgruppen und die Mitglieder der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu einer gemeinsamen Pressekonferenz in Norden/Ostfriesland, um ihre Standpunkte gegen die verfehlte Genehmigungspraxis der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven für immer mehr Kitespots im Großschutzgebiet deutlich zu machen. Eingeladen hatten der Arbeitskreis Umweltschutz Norden (AKU), die Biologische Schutzgemeinschaft Hunte Weser-Ems (BSH), der NABU-Ostfriesland, der Wattenrat Ostfriesland und die Bündnisgrünen der Stadt Norden. Der BSH-Mitarbeiter konnte den Termin nicht wahrnehmen. Als Pressevertreter nahmen die Ostfriesen Zeitung, der Ostfriesische Kurier, der die Berichterstattung für benachbarte Tageszeitungen übernahm und last but not least die Deutsche Presseagentur den Termin war.
Onno K. Gent vom Arbeitskreis Umweltschutz Norden (AKU) begrüße die Teilnehmer und stellte eine Pressemappe mit den Stellungnahmen der einzelnen Umweltgruppen zum Kitesurfen im Nationalpark zur Verfügung. Er zeigte eine Karte mit den eingezeichneten genehmigten und nicht genehmigten Kitespots. Gent kritisierte, dass es Absprachen der Nationalparkverwaltung mit der Polizei gäbe, widerrechtlich surfende Kiter an den Orten im Wattenmeer nicht mehr zu belangen, wenn der Kitespot von den Kommunen zwar beantragt, aber noch nicht genehmigt sei. Einig waren sich die ostfriesischen Gruppen, dass Kitesurfer nicht in den Nationalpark gehören. Gent verwies auf das Themenfaltblatt der Nationalparkverwaltung von 2011, die selbst das Kitesurfen im Schutzgebiet sehr kritisch sieht, aber dennoch einen Kitespot nach dem anderen in den eigentlich verbotenen Zwischenzonen mit fragwürdigen „Befreiungen“ ausweise.
Aus: Drachensport im Nationalpark, Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, 4. Auflage, 2011
[…] Lenkdrachen: aus der “Vogelperspektive“ betrachtet
Vögel nehmen Drachen oder auch Gleitschirme am Himmel als Greifvögel wahr, d. h. als potenzielle Feinde, die sich extrem schnell horizontal und vertikal bewegen und optisch und auch akustisch weithin wahrzunehmen sind. Die Vögel sind gestresst – sie gehen in Deckung oder nehmen Reißaus. Der Laie erkennt aus der Ferne nur den großen Vogelschwarm, der sich fluchtartig in die Luft erhebt. Die Vögel, die sich in ihrer Panik vor dem vermeintlichen Feind am Boden verstecken, sind vom entfernten Beobachter nicht wahrzunehmen.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die zunächst unsichtbaren Folgen: Egal, ob Flucht oder Verstecken – die Vögel können nicht fressen, leiden unter Stress, verlassen ihre Nester oder Jungen – Unterernährung, mangelnde Vitalität und fehlende Nachkommen können die Konsequenzen sein. Der Nationalpark ist dafür da, die Vögel zu schützen. Vögel, die in den Ruhe- oder Zwischenzonen des Nationalparks rasten, fressen oder brüten, dürfen nicht gestört werden. Doch auch wenn der Drachenlenker außerhalb dieses Schutzgebietes steht, ist der Drachen für die Vögel am Himmel erkennbar. Deshalb: je größer der Abstand zum Schutzgebiet, umso besser.[…]
Manfred Knake vom Wattenrat, unterstützt von Eilert Voß, ebenfalls Wattenrat, ging auf die fehlenden rechtlichen Voraussetzungen für die Befreiungen ein, da man weder ein überwiegend öffentliches Interesse noch ein Verletzung des Allgemeinwohls als Begründung für Befreiungen für die Kitesurfer anführen könne. Der Nationalpark sei als Schutzgebiet für Tiere und Pflanzen ausgewiesen worden, die Verwendung von Drachen in den Schutzzonen I (Ruhezone) und II (Zwischenzone) sei nach dem Nationalparkgesetz (§§ 6 und 12) eindeutig verboten. Die Verwaltung in Wilhelmshaven betreibe Rechtsbeugung für eine kleine Nutzerklientel. Auch der Landkreis Aurich als Untere Naturschutzbehörde habe sich bereits presseöffentlich sehr deutlich gegen die Ausweisung von Kitespots in den Schutzzonen des Wattenmeeres geäußert. Der Druck zur Ausweisung von Kiterflächen käme vom niedersächsischen Umweltministerium, das den Nationalpark zielstrebig zum Freizeitpark ausbaue.
Uwe Schramm vom NABU-Ostfriesland forderte, keine weiteren Genehmigungen für Kite-Surfzonen zu erteilen und bestehende Genehmigung auslaufen zu lassen. Der NABU halte die erteilten Ausnahmegenehmigungen für die Trendsportart Kite-Surfen in einem EU-Vogelschutzgebiet ohne die Durchführung einer Flora, Fauna-Habitat Verträglichkeitsprüfung für juristisch fragwürdig. Er kündigte an, künftige Genehmigungen vom NABU juristisch überprüfen zu lassen.
Hilta Moritz von den Bündnisgrünen (Juist) schließlich äußerte ihr völliges Unverständnis über die Vorgehensweise der Nationalparkverwaltung, die offensichtlich den Naturschutz im Wattenmeer völlig aus den Augen verloren habe und sich für die Ausweitung von neuen touristischen Nutzungen einsetze. Die Aufsicht im Nationalpark mit 6 hauptamtlichen Rangern, die keine Fahrzeuge und Kompentenzen besäßen, sei mehr als dürftig. Es sei ein Unding, dass sich die Kitesurfer selbst kontrollieren sollen.
Auch der NABU-Landesverband in Niedersachsen lehnt die Ausweisung von Kitezonen im Nationalpark ab. Nur der NABU-Bundesverband in Berlin hat noch nicht mitbekommen, wie hier an der Küste der Nationalpark systematisch zu einem Freizeitpark umgebaut wird; im Gegenteil, er unterstützt mit einer Broschüre („gedruckt auf 100 % Recyclingpapier“) „Praxis an Küsten und Meeren“ die offizielle Ausweisung von Kitesurfflächen durch die Nationalparkverwaltung. Wie zum Hohn trägt dieses Machwerk den Untertitel: „Lokale Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie“! Verwendet wurden darin auch drei angefragte Bilder vom Wattenrat- Mitarbeiter Eilert Voß, der aber nicht wusste, wie der NABU-Bundesverband seine Bilder verwenden würde. Voß ist empört, zu Recht! Die NABU-Broschüre, hergestellt mit finanzieller Unterstützung des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Naturschutz, ist inzwischen nicht mehr im Netz abrufbar. Die Kritik wird sich bis nach Berlin herumgesprochen haben.
20. April 2012, Norden (dpa/lni) – Naturschützer möchten Kiter aus Nationalpark verbannen
[…] Der Schutz des sensiblen Nationalparks sei mit inzwischen 23 genehmigten oder ungenehmigt genutzten Gebieten «aufgeweicht wie ein Schweizer Käse», sagte Onno Gent vom Arbeitskreis Umweltschutz am Donnerstag im ostfriesischen Norden (Kreis Aurich). Die Nationalparkverwaltung betreibe mit der Genehmigung von Kite-Zonen von Cuxhaven bis Emden Rechtsbeugung, kritisierte Manfred Knake vom Wattenrat.[…]