Nachruf auf den „Rebellen“ Gerold Janssen
von Eilert Voß
Die Horner Kirche in Bremen war bis zur Empore auf den letzten Platz gefüllt.
Im Herzen traurig machten sich Bremer und einige Ostfriesen auf den Weg, eine Galionsfigur des Bremer Widerstandes gegen die geplante Landschaftszerstörung im Hollerland, zu Grabe zu tragen. Ein schlichter Sarg, beleuchtet von der Nachmittagssonne, daneben ein Bild aus Tagen des Kampfes um 400 Hektar Bremer Feuchtwiesen machte allen Trauergästen klar: Gerold Janssen ist tot. Gestorben am 18. März 2012 nach 40 erfolgreichen Jahren des Kleinkrieges um Schwanenblumen, Krebsscheren, Schlammpeizgern, Rotschenkeln und Kiebitzen. Seine Schlitzohrigkeit und vor Aktivität sprühende Lebensart, sein unbeharrliches Wirken für den Schutz der Natur gilt vielen Bremern und Ostfriesen als beispielhaft.
Menschen die ihn begleiteten, geht dieser plötzliche Tod des 88 jährigen Mitstreiters an die Seele.
Nie konnte man sich vorstellen, dass „ihr“ Gerold sich nicht mehr in die Senatspolitik einmischt, Bürgerinitiativen gründet, den Bauern bei Nacht und Nebel den Vorsitz im „Deichschloss“ des „Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer“ raubt, oder die Bremer Bürgerschaft nach langem Gezerre davon überzeugt, dass ein Feuchtgebiet zu erhalten wichtiger sei, als dass die Neue Heimat Wohnblocks in ein Naturgebiet setzt.
„Erfolge“ begleiteten diesen zähen Ostfriesen aus Emden- Borssum über lange Jahre
Gelobt wurde er für sein Wirken in der Hansestadt mit höchsten Ehren, er bekam das Bundesverdienstkreuz vom „grünen“ Politiker Ralf Fücks umgehängt. Aber Gerold Janssen gab den Orden zurück, als Bagger und Planierraupen einen Teil „seines“ Hollerlandes trotz fester Ratsbeschlüsse zu dessen Schutz begruben und sich Umweltsenator Fücks als Betonpolitiker erwies. Ungezählte Interviews sprach er in laufende Kameras, hielt bis ins hohe Alter Diavorträge zur Einzigartigkeit von Feuchtwiesen und naturnahen Flussläufen und bestritt Lesungen zur Pflege der ostfriesischen Sprache. Immer war das ein kritischer Diskurs, denn das volkstümelnde „Gesabbel von Döntjeschreibern“ war ihm eher ein Graus. Ihm gefiel die plattdeutsche Sprache, da man sie trefflich einsetzen kann, eine positive Streitkultur zu pflegen und danach den Kontrahenten immer noch respektiert oder sich gar versöhnt. Gerold Janssen war stets bemüht, seiner ostfriesischen Heimatsprache das Bodenständige und die politische Substanz zurück zu erobern und von überflüssiger Effekthascherei zu befreien.
Der plötzliche Verlust eines „Zugpferdes“ war spürbar in der Horner Kirche. Absolute Stille und Abschiednehmen in Dankbarkeit des großen Vorbildes und „Menschensammlers“, wie man ihn umschreibt. Nicht etwa ein Organist griff 15 Minuten vor dem Gottesdienst in die Tasten, weit gefehlt! Gerold s Überraschungen wirken über den Tod hinaus, leben fort in seinen Wegbegleitern aus Familie und Freundeskreis: Das einfühlsamste Lied eines längst verstorbenen Liedermachers Ostfrieslands erfüllte das Kirchengewölbe mit Klang!
„Aver de Kolken weiht de Wind“
vom unvergesslichen Liedermacher Hannes Flesner, der wie kein anderer mit seinen Chansons den Charakter Ostfrieslands zum Ausdruck brachte. Gerold verehrte ihn. In einer beeindruckenden Predigt würdigte eine Pastorin die besonderen Verdienste des Verstorbenen, denn auch hier endete eine langjährige Freundschaft. Bevor der Sarg aus der Kirche getragen wurde sprach eine Tochter gefühlvolle Worte und sang neben dem Sarg stehend das bekannte Lied von Hannes Flesner „Bi`t Kokelorum- bi`t Rahster Verlaat“. Das war Gerolds Wunsch für seine Abschiedsfeier. Gefühlvoller und ergreifender kann ein Begräbnis nicht sein, wenn ein ganz besonderer Mensch das irdische Leben verlässt. Beerdigt wurde Gerold Janssen neben seiner Frau Fenna, die im Jahre 2006 verstarb.
Die hoffnungsfrohen Gespräche an Kaffeetafeln im Gemeindehaus waren denn auch eher geprägt von Anekdoten und Bildern eines spontanen und kritischen Denkers, dessen Naturliebe seit frühester Kindheit stark ausgeprägt war; der Menschen begeistern konnte. Gerold hätte Gefallen an dieser Feier gehabt und immer hörte man von seinen Mitstreitern: Gerold, wi maken wieder….!
Was aber veranlasst nun den Wattenrat, einem Bremer Bürger einen Nachruf zu widmen?
Gerold Janssen hat seine Kontakte zur ostfriesischen Umweltszene immer gepflegt, sich in Leserbriefen gegen die Emszerstörung gewehrt und die einzigartige Natur am Dollart und die endlosen Wollgraswiesen des einstigen Niedermoores zwischen Emden und Riepe nie vergessen. 3.800 Hektar Feuchtwiesen mit Lungenenzian, Arnika, Klappertopf, Birkhühnern und Sumpfohreulen einfach mit belastetem Emder Hafenschlick zu überspülen, konnte er nie begreifen und niemals verzieh er den Schuldigen diese gigantische Umweltzerstörung!
Die Hammriche zwischen Feentjer Tief und der Ems prägten sein Leben und legten den Keim, Naturzusammenhänge auch in Bremen zu begreifen und dafür zu sorgen, dass dem „Hollerland“ in seiner Wahlheimat zwischen Weser und Wümme nicht das gleiche Schicksal widerfährt.
Entrüstet rief er in Emden an, wenn mal wieder eine Emsvertiefung anstand oder gar das Stauwerk bei Gandersum geplant wurde.
Er setzte sich in den Zug und protestierte auf seine ureigene Art, nachdem er von ostfriesischen Freunden hörte, dass ein Klüngel aus konservativen
Kreisen eine historische Zeitreise des „Alten Fritz“ plante. Orte ehemaliger Projekte um die Trockenlegung von Sümpfen und Mooren und der Flussregulierung sollten vom Schauspieler Peter Kaempfe in Person des Preußen Königs „Friedrich der Große“ nach 232 Jahren erneut besucht werden. Das „königliche Schiff“, die „DIANA“ aus Ditzum, wurde kurzerhand auf der Linie Gandersum- Nendorp geentert, der wahrhaftige „Deichgraf“ Gerold Janssen schwang sich wie der „Eulenspiegel“ über die Reling und las dem überraschtem „König“ die Leviten. Erst in Oldersum gab „Deichhauptmann Gerold“ seine königliche Kriegsbeute frei, ohne es jedoch zu versäumen, dem König zu entlocken, dass sich dieser nicht in Sperrwerkplanungen einmischen werde (Das war auch nicht anders zu erwarten, denn die Geldgeber der historischen Zeitreise erwarteten Loyalität vom Protagonisten).
Gerold Janssen hatte es mit wenigen Worten geschafft, dass ein betont „unpolitisch“ geplantes und teures Kulturspektakel seine politische Dimension in Ostfriesland bekam.
Den Mächtigen nach dem Maul reden war nie seine Sache!
Tief betroffen sah ich ihn in Zeiten des Sperrwerkbaues in Gandersum, wie er resigniert auf die trüben Wasser der Ems guckte und den Kopf über die Verantwortlichen dieses Bauwerkes schüttelte. Damals prognostizierte er mir als Fachmann des „Bremischen Deichwesens“, dass es Reflexionswellen in ungeahnter Höhe geben könne und dass die Überflutungshäufigkeit des Petkumer Deichvorlandes zunehmen werde. Gerold sollte Recht behalten! Zu Überflutungsschäden ist es im Emder Außenhafen längst gekommen und Deiche werden als Folge des Sperrwerkbaues derzeit erhöht.
Vorschläge von Politikern und Wirtschaftsvertretern der letzten Wochen, ein Stauwehr zwischen der Knock und Delfzijl zu bauen und den Delfzijler Chemiestandort mit dem Rysumer Nacken zu verknüpfen kommentierte er mit den Worten, dass der Irrsinn, wie die Richterskala auch, nach oben offen ist.
Den Petkumer Bauern des Emsvorlandes wird Gerold Janssen ebenfalls in bester Erinnerung sein. Gerold Janssen, ein Sohn eines Bäckermeisters, der seine gesamte Kind- und Jugendzeit in den 30er Jahren an der Ems verbrachte, erfuhr, dass das Petkumer Deichvorland in den 90er Jahren unter Naturschutz gestellt werden sollte und war voller Freude!
Aber was kam den Petkumern in den Sinn?
Man begann illegal mit dem Bau von Sommerdeichen, pflügte Teile der Salzwiesen, säte Gras ein und walzte das Naturgebiet inmitten der Brutzeit von Uferschnepfe und Kampfläufer platt wie einen Acker! Rechtzeitig vollendete Tatsachen schaffen, da eine Naturschutzverordnung Veränderungen des Bodenreliefs und des Wasserhaushaltes nicht zulässt!
Was machte Gerold Janssen?
Mit Rucksack und Spaten sprang der „Deichhauptmann aus Bremen“ in den Zug und fuhr wutentbrannt seiner alten Heimat entgegen. In Petkum brach er im Beisein ostfriesischer Pressevertreter mit einer jahrhunderte langen Tradition der Deichgrafen:
„Well neet will dieken de mutt wieken!“
Traurig über die Ignoranz der Grundeigentümer und die Untätigkeit direkter Anwohner stapfte er über die Salzwiesen, erklärte der anwesenden Presse den Unsinn von Sommerdeichen, die nicht der Deichsicherheit, sondern ausschließlich dem Gewinnstreben dienen. Darüber hinaus wetterte er, dass Sommerdeiche eine natürliche Sedimentierung verhindern und ein Negativposten zu Lasten der Tier und Pflanzenwelt sei. Auf dem Erdwall entrollte er ein Transparent:
„Well hier will dieken, de mutt wieken“.
Dann setzte er den Spaten an und grub symbolisch eine Lücke in den Sommerdeich!
Zurück am Petkumer Emsdeich beschimpften ihn Bauern, die vermutlich bis heute immer noch nicht begreifen, dass die Emsvorländer nicht mehr vorrangig der Gewinnmaximierung zu dienen haben, wie sonst betreiben sie dort rücksichtslos die Zugvogeljagd. Und: Nach der gelungenen Lektion in Sachen Deichsicherheit und Naturschutz wurde von der zuständigen Behörde ein Rückbau von Verwallungen und eine Öffnung einiger Prielöffnungen zur Ems angeordnet!
Gerold Janssens Ostfrieslandbesuche mit legendärem „Pedersen Hochrad“ waren allzeit amüsant, doch stets waren sie von einer tiefen Verbindung zu seiner alten Heimat geprägt.
In seiner Biografie, zusammengefasst im Buch:
„Hier weiht de Wind!“ – „Hände weg vom Hollerland!“ Erinnerungen eines Bremer Rebellen, 1923- 2006 (Donat Verlag, 2007, ISBN 978-3-938275-24-5, 19,80 €)
beschreibt Gerold Janssen in schonungsloser Offenheit und selbstkritisch das jahrelange Tauziehen um ein Bremer Naturschutzgebiet, welches ohne sein Wirken längst bebaut wäre. Er plaudert aus dem „Nahkästchen“ und gibt Tricks und Strategien preis, wie er das eine oder andere Ding im positiven Sinn des Natur- und Umweltschutzes „drehte“.
Sein plötzlicher Tod beendet eine jahrelange Verbundenheit mit dem Wattenrat.
Was bleibt ist sein Vermächtnis, beharrlich Ziele im Naturschutz zu verfolgen und im persönlichen Umfeld und darüber hinaus Menschen für Tiere und Pflanzen und Landschaft zu begeistern und sich politisch für den Naturschutz zu engagieren, auch wenn` s den Mächtigen nicht gefällt. Sein Credo lautete allzeit, dass Naturschutzgebiete von staatstreuen Beamten niemals verschenkt werden, denn man müsse sich die zum Wohl der Pflanzen, Tiere und Menschen in hartem Einsatz erkämpfen.
Der Wattenrat dankt Gerold Janssen für seine langjährige Mitarbeit.
Link: Nachruf von Radio Bremen