Otto Leege ist in Ostfriesland, zumindest im Naturschutz, kein Unbekannter. Er wurde vor 150 Jahren am 21. Februar 1862 in Uelsen, Grafschaft Bentheim, geboren. In Aurich wurde er zum Lehrer ausgebildet, 1882 übernahm er eine Stelle als Lehrer auf der Insel Juist.
Die Anfänge
Leege war ein hervorragender Kenner der Inselfauna und -flora. Mit seinem ersten Buch, das 1905 erschien, machte er sich einen Namen als überregional bekannter Ornithologe: „Die Vögel der Ostfriesischen Inseln nebst vergleichender Übersicht der im südlichen Nordseegebiet vorkommenden Arten“. Bereits 1906 und 1907 erschienen zwei Nachträge in der „Ornithologischen Monatsschrift“. Leege korrespondierte in den Folgejahren mit vielen damals bekannten Naturforschern, u.a. mit Hermann Löns. Auf der Nachbarinsel Memmert, damals noch eine kleine Sandbank, studierte er die Pflanzenentwicklung und dokumentierte die Brutvogelarten. Mit der örtlichen Juister Bevölkerung legte er sich häufig an.
Memmert war ein bevorzugtes Ausflugsziel der Insulaner, nicht nur von Juist. Man plünderte dort die Gelege der Küstenvögel, schoss als Belustigung für die Badegäste auf alles was Flügel hatte und richtete Massaker unter den Brutvögeln an. Es kamen kaum noch Jungvögel hoch. Fischer aus Ditzum, die von April bis Juni in der Memmert Balje auf Fang gingen, plünderten regelmäßig die Eier in der Kolonie der Seeschwalben auf Memmert. Leege prangerte diese Rücksichtslosigkeiten an, er begann sich vehement für den Schutz der kleinen Insel einzusetzen. Unterstützt wurde er dabei von namhaften Ornithologen vom Festland.
Naturschutz auch auf Juist
Auch auf Juist, im Westteil der Insel, der „Bill“, beantragte Leege erfolgreich die Schaffung einer geschützten Vogelkolonie, die sogar ab 1899 durch einen Vogelwärter in einer Hütte während der Brutzeit bewacht werden sollte. Allerdings setzen sich die Juister in der Folgezeit immer heftiger für die Aufhebung des Schutzes an der Bill ein, weil sie fürchteten, die touristische Entwicklung werde behindert.
Leege beklagte schon vor über hundert Jahren den enormen Artenrückgang an der Bill durch die Gelegeplünderungen und Vernichtung von Pflanzenbeständen durch Einheimische und Badegäste. Aus der ehemaligen Vogelwärterhütte im Westen Juists wurde Leeges „Dünenschlösschen“, in der ein Teil seiner wissenschaftlichen Arbeiten entstand. In seiner Abwesenheit wurden hier einige Manuskripte von Insulanern entwendet und stehen für die Geschichtsschreibung des Naturschutzes in Ostfriesland nicht mehr zur Verfügung. Und Geschichte wiederholt sich doch: Als der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer 1986 eingerichtet wurde, forderte man auf Juist den „Austritt“ aus dem Nationalpark, aus den gleichen Gründen, mit denen man Jahrzehnte vorher Leeges Naturschutzarbeit erschwert hatte!
Memmert wird Schutzgebiet
Bereits 1906 wurde auf Leeges Betreiben das „Betreten des Memmert in der Zeit vom 1. Mai bis 15. August jedes Jahres“ untersagt; bereits ein Jahr
später, am 31. Juli 1907, wurde Memmert durch einen Erlass des preußischen Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten in Berlin zur Vogelkolonie erklärt und an den „Deutschen Verein zum Schutze der Vogelwelt“ gegen einen Pachtzins von 3 Mark jährlich verpachtet.
Nun begann Leege mit gezielten Dünenschutzarbeiten und Anpflanzungen auf Memmert, um die Insel vor Erosionen zu schützen. Bereits 1907 wurde eine kleine Vogelwärterhütte errichtet, die Zeit der Vogelwärter, die bis heute andauert, hatte begonnen. 1909 wurde durch einen Bekannten Leeges, W. Niemeyer, ein kleines Wohnhaus auf Memmert errichtet, ein Süßwasserteich sicherte die Wasserversorgung. Das Häuschen wurde 1923 weggespült. Die kleine Insel wuchs durch Leeges Tätigkeit von 13 Hektar im Jahr 1907 auf schließlich 100 Hektar (1 qkm) im Jahr 1937 an.
Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges übernahmen Soldaten vom Bückeburger Jägerbataillon den Schutz Memmerts wahr.
Otto Leege Junior und Inselvogt Pundt
1924 entstand ein größeres Anwesen für Leege auf dem „Nordklipp“ der Insel Memmert; sein Sohn Otto Leege jr. lebte nun mit seiner Familie ganzjährig auf der Insel.
Leege jr. starb 1946 an den Folgen einer Operation. Nach seinem Tode blieb seine Witwe Therese Leege bis 1956 auf Memmert. Otto Leege Senior, der „Vater des Memmert“, starb 1951 und wurde auf dem Festland unter großer Anteilnahme in Norden beigesetzt. Therese Leeges Schwiegersohn Gerhard Pundt führte die Arbeit eines Inselvogtes und Vogelwartes ab 1956 bis 1973 fort und lebte mit seiner Familie ganzjährig auf der Insel, nun zunächst in einem neuen Haus auf der Betonplattform, das aber 1970 ebenfalls aufgegeben werden musste, weil die Dünen unter der Plattform erodierten. 1971 wurde das neu erbaute Reetdachhaus auf der hochgelegenen „Kreuzdüne“ mit dem markanten Erinnerungskreuz an Otto Leege jr. von Vogelwart Gerhard Pundt bezogen.
Unter Pundts Inselregie wurde befreundeten Juistern zugestanden, auf Memmert Kaninchen zu jagen und zu fischen. Pundt selbst befuhr die Insel mit einem alten VW-Käfer, der zuletzt nur noch im Rückwärtsgang zu bewegen war. Das Auto soll seine „letzte Ruhe“ unter dem Dünensand gefunden haben.
Inselvogt Reiner Schopf
1973 begann Reiner Schopf mit jahrelanger Vogelwarterfahrung in Schleswig-Holstein seine Tätigkeit als ganzjähriger Inselvogt und Vogelwärter. Er blieb bis zum Eintritt ins Rentenalter mehr als 30 Jahre auf Insel Memmert, die er im August 2003 verließ. Schopf bemühte sich, die Dünenerosion mit Hilfe von Sandfangzäunen einzudämmen, vergeblich. Die einigen Juistern liebgewonnene und durch seinen Vorgänger Pundt zugestandene Nutzung der Vogelinsel durch Eiersammeln, das Kaninchenjagen und Reusenstellen unterband Schopf energisch und machte sich damit keine Freunde auf Juist. Als Memmert Teil des Nationalparks wurde, war Schopf Nationalparkwart, also „Ranger“ auf der Insel, und legte sich oft, auch öffentlich, mit der Nationalparkverwaltung an. An der Westspitze Juists z.B. landeten Sportbootfahrer an und feierten Grillparties an den Brutarealen der Dünen und Salzwiesen. Die Nationalparkverwaltung ging gegen diese Missstände aus Rücksicht vor Insulanerprotesten nicht vor. Die uneinsichtigen und verärgerten Sportbootfahrer wiederum protestierten gegen Schopf und versuchten in einer fehlgeschlagenen Aktion „Seeigel“ die Insel Memmert mit Sportbooten zu umzingeln. Schopfs Nachfolger wurde Enno Janssen, der die Insel nur noch vom Frühjahr bis zum Herbst bewohnt.
Memmert und Otto Leege heute
Memmert hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Dünenabbrüche hinnehmen müssen. Durch Strömungsänderungen, Verlagerung der Osterems und fehlende Sandzufuhr wurden große Dünenbereiche weggespült und nicht neu gebildet. Die Anlage von Sandfangzäunen konnte dies nicht verhindern. Zwar ist die Insel seit Otto Leeges ersten Anpflanzungen auf ca. 600 Hektar Größe angewachsen, davon sind nur ca. 200 Hektar Grünlandfläche mit Salzwiesen. Bei Westwind und Springtiden werden aber große Teile der Insel überflutet und es verbleiben nur noch ca. 150 Hektar Fläche, die bei Springtiden hochwasserfrei bleiben. Auch diese verbleibende Fläche ist teilweise hoch bewachsen, sodass für die typischen Küstenvögel nur 80 -100 Hektar als Brutfläche zur Verfügung stehen.
Leeges Lebenswerk ist heute Bestandteil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, der touristisch stark vermarktet wird. Auf Juist wurde ihm zu Ehren ab 2008 ein „Otto-Leege-Pfad“ eingerichtet, der aber sogar bei Juistern wegen seiner Ausgestaltung sehr umstritten ist. Das „Otto-Leege-Tor“ ist ein im japanischen Stil gestaltetes völlig ortsfremdes „Torii“, was „Vogelsitz“ bedeutet. Der Lehrpfadbau wurde von der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven unterstützt und mit Mitteln aus der Deutschen Bundesstiftung Umwelt DBU in Höhe von 73.518,00 Euro sowie vom Land Niedersachsen in Höhe von 108.382,58 Euro gefördert. Ausgerechnet auf Juist, wo man Leeges Naturschutzarbeit jahrelang torpedierte, wird er nun vereinnahmt und touristisch vermarktet.
Otto Leeges unermüdliches Wirken für den Schutz der Seevögel und die Rettung letzter Naturlandschaften geschah in einer Zeit, als der Begriff „Natur“ fast ausschließlich vom Nutzungsgedanken geprägt war. Er legte den Grundstein für das Bewusstsein, die einmalige Wattlandschaft der ostfriesischen Halbinsel zu erhalten und das Lebensrecht der darin lebenden Tiere und Pflanzen in ihrer Einzigartigkeit zu achten und zu bewahren.
Aber welchen „Erfolg“ hätte ein Kämpfer wie Otto Leege heute, trotz des enorm gewachsenen Wissens um die Natur des Wattenmeeres und deren ständig zunehmender Bedrohung durch die gnadenlose Nutzung und Vermarktung? Heute gibt es Naturschutzgesetze, zumindest auf dem Papier, ein verwaltetes Großschutzgebiet „Nationalpark“, auf dem das Etikett „Weltnaturerbe“ klebt. Dazu kommt eine alles durchdringende Medienpräsenz, die den Naturverbrauch bewirbt. Allein in Niedersachsen agieren 14 „anerkannte“ Naturschutzverbände vom BUND über den NABU bis zu den Sportfischern und Jägern. Der Massentourismus, die industrialisierte Landwirtschaft und der Zubau der Küstenlandschaft mit riesigen Wind“parks“ haben nicht nur die ostfriesische Halbinsel seit Otto Leege völlig verändert und vielerorts in ein hochsubventioniertes Industriegebiet, garniert mit Mais- und Rapsfeldern, verkommen lassen, auch im Namen eines politisch verordneten „Klimaschutzes“, unterstützt von den Naturschutzverbänden. Fachlicher Naturschutz ist als „Bremser“ dieser Entwicklung lästig geworden. Strandbrüter wie der Sand- und Seeregenpfeifer stehen vor dem Aussterben, ehemals häufige Watvögel wie Uferschnepfe, Rotschenkel oder Kiebitze haben trotz der Schutzverordnungen und -gesetze in den letzen Jahren dramatisch abgenommen. Kaum jemand kennt diese Küstenvögel noch. Dennoch, Menschen wie Leege haben in der kurzlebigen Welt des Kommerzes und Konsums bis heute eine unverminderte Ausstrahlung bewahrt. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet.
Links:
Reiner Schopf: Die achte Insel
Manfred Knake: Das letzte Abenteuer in Deutschland