Immer, wenn an der Küste ein Sommerdeich für den Naturschutz geöffnet werden soll, gibt es inszenierte Proteste des Küstenschutzes: Der Untergang der Küste und der Ertrinkungstod wird theatralisch beschworen, Schmierenstücke der besonderen Art. So auch wieder im Dezember 2010, als in Iggewarden in Butjadingen/LK Wesermarsch im bekannten Stil die Öffnung eines Sommerdeiches für die Wiedervernässsung des 63 Hektar großen Langwarder Grodens auf einer „Informationsveranstaltung“ abgelehnt wurde, obwohl die Schleifung des Deichleins planfestgestellt ist.
Sommerdeiche wurde gebaut, um das Weidevieh im Sommer vor Springfluten zu schützen, sie sind also rein landwirtschaftliche Konstruktionen. Der dahinterliegende wesentlich höhere Hauptdeich ist das eigentliche Küstenschutzbauwerk. Viele Sommerdeiche wurden während des „3. Reiches“ im Auftrage des „Reichsnährstandes“, einer ständischen Organisation der nationalsozialistischen Agrarpolitik, in den Jahren 1933 bis 1945 vom Reichsarbeitsdienst gebaut und damit Salzwiesen dem Meerwassereinfluss zur Nutzung entzogen. Diese Salzwiesen sind hochspezialisierte Lebensräume für Pflanzen, Insekten und Wasservögel. Mit einem „Bollwerk“ gegen den „steigenden Meeresspiegel“ haben diese Sommerdeiche überhaupt nichts zu tun. Der Meeresspiegel an der niedersächsischen Küste steigt im Jahrhundert um ungefähr 25 cm, eine Zahl, die seit Jahrzehnten bekannt ist. Ein weiterer Anstieg ist auf Grund der ständigen Pegelmessungen auf Norderney nicht nachweisbar, die Tendenz ist eher sinkend. Die immer wieder durch die Presse geisternden Meldungen eines „dramatischen“ Anstiegs der Nordsee entbehren jeder Grundlage. Dieser säkulare, undramatische nacheiszeitliche Anstieg wird in die Bemessungshöhen des Deichbaus seit langem einbezogen, Sommerdeiche sind da vernachlässigbar. Das Besondere an dieser Veranstaltung: Nationalparkleiter Peter Südbeck „Die Stimme seines Herrn“, des niedersächsischen Umweltministers Sander, lobte einen angeblichen „Kompromiss“ der bereits planfestgestellten und vergeblich beklagten Maßnahme, nun nur Teilbereiche des Sommerdeiches zu schleifen. Auch diesen Kompromiss wollen die Naturschutzfresser aus den Deichverbänden nicht und mobilisierten in bewährter Manier ihre Truppen aus der verängstigten Bevölkerung. Südbecks Aufgabe wäre es aber gewesen, Naturschutzbelange im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer kompromisslos und fachlich zu vertreten und sich nicht an emotionsgeladenen und fachfremden Scheindiskussionen zu beteiligen. Die Naturschutzverbände haben in dieser Diskussion schon lange das Handtuch geworfen, sie sind als Statisten und Papiertiger in ein sog. „Konfliktmanagement“ als Folge der Katastrophen- Inszenierungen an der Deichbaustelle Cäciliengroden eingebunden. Der BUND hatte im April 1996 vor dem Verwaltungsgericht in Oldenburg gegen das Deichbauprojekt im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer geklagt, weil die Bezirksregierung in ihrem Planfeststellungsbeschluß eine umweltschonende Deichverstärkung auf der landzugewandten Seite nicht ausreichend geprüft hatte. Es wurde ein Baustopp der dortigen umstrittenen Deichbaumaßnahme erwirkt, was zu Demonstrationen mit Lichterketten geführt hatte. Darauf war der BUND eingeknickt und hatte in einem außergerichtlichen Vergleich der Schaffung von Salzwiesen an anderer Stelle zugestimmt. Landwirte, die eng mit den Deichbehörden verbandelt sind, hatten sich gegen die Inanspruchnahme der landseitigen Flächen gewandt und die angebliche mangelnde Deichsicherheit vorgeschoben. Das selbe Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung wird nun nach 14 Jahren wieder am Langwarder Groden versucht.
Nordwest Zeitung, online
13. Dezember 2010
Informationsabend Bürger lehnen Kompromiss für den Langwarder Groden ab
Die Butjenter wollen das Vorhaben nicht widerstandslos hinnehmen. Die beteiligten Organisationen sehen keine anderen Möglichkeiten.
von Rolf Bultmann
Iggewarden – Es werde mehr kaputt gemacht als Schützenswertes erhalten. Diese Maßnahme werde von der Bevölkerung nicht akzeptiert und nur mit Polizeigewalt durchgesetzt werden können, machte Jürgen Sprickerhoff deutlich. Der frenetische Beifall, den er für diese Aussage erhielt, machte die große Ablehnung vieler Butjadinger Bürger auch des jetzt vorgelegten Kompromissvorschlages für den Langwarder Groden deutlich.
Zeitweise recht hoch schlugen die Wogen bei der Informationsveranstaltung des II. Oldenburgischen Deichbandes auf dem Hof Iggewarden. Die Kritik vieler der über 200 Teilnehmer galt insbesondere der Öffnung des Vordeiches und der Zerstörung eines auch für den Naturschutz wertvollen Kulturlandes. […]
„Angesichts des steigenden Meeresspiegel brauchen wir zudem jedes Bollwerk, das uns schützt. Wir schaden uns, wenn wir jetzt die zweiten Deichlinie wegnehmen“, machte Reiner Cornelius deutlich. Besonders auf den Magen würden ihn die 12 Millionen Euro Kosten schlagen. Die würden anderswo viel dringender gebraucht, denn dort, wo noch kein Vordeich vorhanden ist, sollte er geschaffen werden.
Leenert Cornelius ließ keinen Zweifel daran, dass er als Butjenter Junge für den Erhalt des Langwarder Grodens mit seinem Vordeich sei. Als Vorsteher des II. Oldenburgischen Deichbandes sei er aber an Recht und Gesetz gebunden. Die gescheiterten Klagen der Gemeinde Butjadingen und der Deichbände sowie die ebenfalls erfolglosen Bemühungen zweier Landesminister seien der Beweis dafür, dass es keine andere Lösung gebe.Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, sprach von einem guten Kompromiss. Der sei deutlich besser als das, was in den rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlüssen angeordnet wurde, nämlich die gänzliche Schleifung des Vordeiches und die völlige Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung des Grodens. […]