Nagoya: Big Business Biodiversität: Der grüne Schleier des Raubtier-Kapitalismus

Eine Briefmarke, die es nicht gibt: Auch in Europa gäbe es viel für die Artenvielfalt zu tun

Im japanischen Nagoya fand im Oktober 2010 die „Internationale Biodiversitätskonferenz“ statt, eine  Konferenz zum vermeintlichen Schutz der Lebensräume und Arten, und so wurde es in den Mainstream-Medien bis hin zum Kinderkanal des Fernsehens für die Kleinsten transportiert. In Nagoya ging es aber um etwas anderes, um die Ökonomisierung der Artenvielfalt, also das Geschäft.

Der klassische Naturschutz befasste sich mit der Bewahrung der Lebensgrundlagen von Tier- und Pflanzenarten gegenüber den Ansprüchen ständig wachsender Nutzungsansprüche durch menschliches Handeln. In der  Öffentlichkeit blieb nach Nagoya nur hängen blieb, dass irgendwo im Regenwald die Arten sterben, weil der Mensch Bäume abhackt. Das Artensterben geschieht aber völlig unbeachtet direkt vor unserer Haustür an der Küste, nicht nur „ganz weit weg“: Fischerei, die industrielle Landwirtschaft und der Massentourismus sind die wesentlichen Ursachen. Heute wird der Naturschutz auch an der Küste zum lukrativen Geschäft, ohne das „nachhaltig“ gegensteuert wird.   Dafür lebt die Propaganda auf, Beispiel Seehund, der durch vorgebliches „Management“ auf angebliche Höchstzahlen anwuchs. Die Tourismusindustrie hat das Wattenmeer als Beute entdeckt. In Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium, den verschiedenen Tourismusverbänden und den damit verquickten Lokalpolitikern und der Nationalparkverwaltung wird das Etikett „Weltnaturerbe Wattenmeer“ gnadenlos für noch mehr Tourismus, der nun „naturverträglich“ schöngeredet wird, vermarktet. Derzeit gibt es jährlich ca. 37 Millionen Tourismusübernachtungen an der niedersächsischen Küste, mit sichtbaren erheblichen Auswirkungen auf verschiedene Vogelarten des Wattenmeeres. 14 (!) „anerkannte“ Naturschutzverbände in Niedersachsen, von denen NABU und BUND die bekanntesten sind, setzen dem nichts entgegen, obwohl dies zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört; mit ihren „Nationalparkhäusern“ sind die Naturschutzverbände längst Bestandteil der Tourismusindustrie und von dieser finanziell abhängig geworden.

Die Redaktion  „Schattenblick“ im MA-Verlag hat aufgedröselt, worum es auf der „Internationalen Biodiversitätskonferenz“ in Japan wirklich ging. Wir veröffentlichen den Artikel „Erfolgreiche grüne Maskerade“ mit freundlicher Genehmigung des Verlages:

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RAUB/0970: Erfolgreiche grüne Maskerade – kein Widerstand gegen Weltnaturschutzkonferenz (SB)

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Link zum Originaltext:

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub0970.html

18. Oktober 2010

Erfolgreiche grüne Maskerade

Kein Widerstand gegen Weltnaturschutzkonferenz

Auf der am Montag im japanischen Nagoya begonnenen Weltnaturschutzkonferenz sollen die Konditionen ausgehandelt werden, unter denen in den nächsten zehn Jahren staatliche und einflussreiche private Akteure die Verfügbarkeit der biologischen Ressourcen auf der ganzen Welt reglementieren. Obgleich die zuvor gesetzten Themen der Strategie zur Umsetzung der Biodiversitätskonvention von keiner geringeren Bedeutung für die Zukunft der Weltgesellschaft sind als beispielsweise Fragen der Weltfinanzordnung, wie sie auf den seit vielen Jahren von der Zivilgesellschaft mit teils scharfen Protesten begleiteten G7/G8-Konferenzen ausgehandelt werden, regt sich kein nennenswerter Widerstand gegen das im Fachjargon COP10 genannte Treffen.

Die Delegierten der 193 Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention (CBD), die sich in ihrem Umfeld tummelnden Vertreter von Lobbygruppen der Agro-, Pharma, Kosmetikindustrie, einer Reihe von Umweltverbänden und -organisationen sowie kommerziellen wie staatlichen Forschungsinstituten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Vorannahmen oftmals nicht. Sie betrachten die „Natur“ als ökonomisierbar. Das bedeutet, dass die Konferenzteilnehmer und mit ihnen ein Teil der Naturschützer einem Wald, See, Meeresgebiet oder der Menge und Verteilung von Arten innerhalb einer Region etc. einen Geldwert oder ein Währungsäquivalent zumessen, um sie dem Kapitalinteressen dienenden Verwertungssystem zuzuführen. Wobei der Kapitalismus sein Raubtiergebiss lediglich mit einem grünen Schleier tarnt.

Bestimmte, meist recht regierungsnahe Personen innerhalb der Naturschutzbewegung haben sich der gängigen Verwertung von Natur angepasst und singen gemeinsam mit Ökonomen wie Lord Nicholas Stern, der Expertisen für die Weltbank erstellt, das hohe Lied der Renditewirtschaft. Nach Berechnungen des indischen Ökonomen Pavan Sukhdev, Volkswirt bei der Deutschen Bank, hat die Biodiversität sogar einen höheren Marktwert als die weltweite Industrieproduktion. Die „Frankfurter Rundschau“ (18.10.2010) zitiert Sukhdev mit den Worten: „Investition in den Schutz der biologischen Vielfalt sind tatsächlich ein ausgezeichnetes Geschäft. Es wird erst richtig teuer für uns, wenn wir so weitermachen wie bisher.“ Die Öko- und Naturschutzbranche soll offenbar als Krisenretter des Finanzkapitals dienen, dem mit der Inwertsetzung natürlicher Ressourcen neue Anlagemöglichkeiten eröffnet werden.

In Nagoya werden keine Geschäftsfelder geschlossen, in dem Wissen, dass profitgetriebenes Wirtschaften maßgeblich zum rasanten Massensterben unter Pflanzen und Tieren beigetragen hat, sondern es sollen neue Felder für geschäftliche Betätigungen aufgetan werden. Nach dieser Denkweise ist es zum Beispiel nur deshalb möglich, einen Wald zu schützen, wenn ihm ein höherer Wert zugemessen wird als dem Wert des Holzes, das der Besitzer des Waldes verkaufen könnte, wenn er sämtliche Bäume fällte. Die Wertsteigerung könnte sich unter anderem aus dem „Nutzen“ jenes Waldes als sogenannte Kohlenstoffsenke im Rahmen von Klimaschutzmaßnahmen ergeben, falls dies in einem internationalen Vertragswerk vereinbart würde.

Mit solchen Maßnahmen, wie sie auch von einem großen Teil der Umweltschützer propagiert werden, wird die Verwertung an sich nicht in Frage gestellt, sondern vermeintlich entschärft. Damit bleiben wesentliche Mechanismen der Plünderung natürlicher Ressourcen und Ausbeutung bzw. Beraubung von Menschen samt Akkumulation der Beute auf der einen und Vernichtung der Opfer auf der anderen unangetastet.

Es ist kein Zufall, dass die Industriestaaten im Vorfeld der Verhandlungen von Nagoya noch das größte „Entgegenkommen“ zeigten, als es darum ging, marine und landgebundene Reservate für Tiere und Pflanzen auszuweisen. Die Festlegung von immer größeren Naturschutzreservaten stellt keinen Gegenentwurf zur vorherrschenden Raubordnung dar, sondern soll sie legitimieren. Dabei kann es sogar geschehen, dass Menschen aus ihrem angestammten Lebensraum, der plötzlich zum Naturschutzgebiet erklärt wird, vertrieben werden -„Kollateralschäden“ der menschlichen Gesellschaft.

Bewahrung der Biodiversität bedeutet im Kern, dass die Art bewahrt wird, nicht das Individuum. In der modernen Form wird nicht einmal mehr die Art bewahrt, sondern das genetische Material. Dass jedes Artensterben mit dem Sterben eines Individuums beginnt, wird geflissentlich übersehen. Mehr noch, die übergeordnete Kategorie „Art“ hat keine andere Funktion, als die Verwertung und in letzter Konsequenz existenzielle Vernichtung des einzelnen zu begründen.

Es sollte deshalb niemanden überraschen, dass ähnliche Wertvorstellungen auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft in Kategorien wie „Nation“ oder „Kultur“ anzutreffen sind. Der Kampf der Nationen oder der Kulturen bezweckt keineswegs den Schutz oder gar die Befreiung der einzelnen, sondern deren Vernutzung zur Aufrechterhaltung einer höheren Ordnung, der man sich zu unterwerfen hat.

Auf der Weltnaturschutzkonferenz geht es grundsätzlich um Verteilungsfragen und darum, wer die Verfügungsgewalt hat und wer nicht. Dieser Umstand wird erfolgreich verschleiert, wie der quasi nicht vorhandene Widerstand gegen dieses Weltordnungstreffen beweist.

Um mit dem vor wenigen Tagen verstorbenen Hermann Scheer zu sprechen, der über das Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen froh war, da anderenfalls Atomkraftwerke als Klimaschutzmaßnahme und ähnliches in das Nachfolgeprotokoll von Kyoto Eingang gefunden hätten, wäre COP10 ein Scheitern auf ganzer Linie zu wünschen. Dann könnten sich weder die staatlich alimentierten, profitstrebenden Unternehmen noch die von der Aufrechterhaltung des Nord-Süd-Gefälles profitierenden Regierungen der ersten Welt hinter einem grünen Schleier verstecken und dafür sogar noch den Segen engagierter Naturschützer abholen.

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