Kitesurfer im Wattenmeer

Riesige Fläche vor Baltrum genehmigt

Die Nationalparkverwaltung in Willhelmshaven macht weiter mit der touristischen Erschließung des Wattenmeeres für die Kitesurfer (siehe auf unseren Seiten vom Oktober 2009: „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: Immer mehr Kitesurfer„). Nach Hooksiel und Upleward an der Festlandsküste wurde nun auch eine Fläche seeseitig von Baltrum in der Zwischenzone genehmigt, weitere Flächen in der Zwischenzone befinden sich im Verfahren.

Kartenausschnitt - die blau schraffierte Fläche stellt die genehmigte Zone dar

Mit Schreiben vom 14.Jan. 2010 erteilte die Nationalparkverwaltung niedersächsisches Wattenmeer der Gemeinde Baltrum eine Befreiung von den Verboten des Nationalparkgesetzes. Eigentlich verbietet das Nationalparkgesetz die Verwendung von Drachen in der Zwischen- und Ruhezone. Nun dürfen Kitesurfer große seeseitige Flächen im Nordwesten der Insel in der Zwischenzone des Nationalparks für ihr Hobby nutzen. Die genehmigte Fläche grenzt an die strengste Schutzzone, die Ruhezone, an der Othelloplate östlich von Norderney an. Die Genehmigung ist zeitlich bis zum 31.März 2011 befristet; die Aufsicht über die Einhaltung der Regeln wurde der Gemeinde Baltrum und dem Betreiber der Kitsurferschule übertragen. Die von der Inselgemeinde Baltrum beantragten wattseitigen Kiterflächen wurde von der Nationalparkverwaltung allerdings abgelehnt. Die Ablehnung erfolgte hier wegen der zu erwartenden erheblichen Störungen der Brut- und Rastvögel.

Der Wattenrat Ost-Friesland sieht in in dieser Genehmigung erneut eine Aufweichung der Schutzinhalte des Nationalparks im sog. „Welterbe“ für die Tourismusindustrie, um das Angebot für bestimmte Zielgruppen zu verbessern. Zudem misst die Nationalparkverwaltung mit zweierlei Maß: In Upleward/LK Aurich wurde der Betrieb einer Kiteschule in der wattseitigen Zwischenzone des Nationalparks genehmigt, die unmittelbar an die Ruhezone mit ihren Brut- und Rastvögeln angrenzt. Auch dort kommt es zu dokumentierten erheblichen Beeinträchigung der Vögel in ihrem Schutzgebiet, dennoch dürfen Kitesurfer dort ihren Sport ausüben. Auch hier hatte die Gemeinde die Flächen beantragt. Die nach dem Bundesnaturschutzgesetz vorgeschriebene Verträglichkeitsprüfung vor der Freigabe der Flächen wurde in allen Fällen nicht durchgeführt.

Die Übertragung der Aufsicht über die Kitesurfer auf die Gemeinde bzw. die Kiteschule sei „ein schlechter Witz“, so der Wattenrat. Genausogut könnte man die Aufsicht über den Straßenverkehr den Autofahrern übertragen. Nach Auffassung des Wattenrates kommen für die Aufsicht nur Nationalparkranger mit hoheitlichen Befugnissen in Frage, die es aber nicht gibt. In vielen Bereichen des Nationalparks wird illegal in Schutzzonen gesurft. Der Wattenrat erwartet von einem der 14 sog. flächendeckend arbeitenden „anerkannten“ Naturschutzverbände in Niedersachsen eine rechtliche Überprüfung der Genehmigungspraxis der Nationalparkverwaltung im Rahmen des Verbandsklagerechts, nicht bloße Lippenbekanntnisse.

Leserbriefe aus dem Ostfriesichen Kurier:

Ostfriesischer Kurier, Norden, 05. Februar 2010:

Zu „Nationalparkverwaltung erlaubt Kitesurfen vor Baltrum“:

Kitesurfer lieben ihren Sport und die Natur

Ich bin selber Ostfriese und war im letzten Jahr ein Besucher der Insel Baltrum. Die Zonen, in denen dort gekitet wird, sind in Ufernähe nur sehr schmal. Kaum 200 Meter breit. Weiter draußen verteilen sich dann die Surfer auf eine größere Fläche. An einem Tag rastete ein Vogelschwarm in einer Entfernung von zirka 300 Metern von derKitezone. Die Vögel schienen sich an die Drachen gewöhnt zu haben. Sie blieben sitzen. Zudem wurde bereits in den letzten Jahren auf Brut- und Wanderzeiten der Vögel Rücksicht genommen. Die Kitesurfer lieben ihren Sport genauso wie die Natur, denn ohne sie könnten die Surfer ihren Sport nicht ausüben. Die Gegner von Kitesurfern sollten ihre ablehnende Haltung überdenken, denn der Nationalpark Wattenmeer hat wahrlich andere Probleme als ein paar vergleichsweise winzige Zonen, in denen Lenkdrachen am Himmel zu sehen sind. Die Naturschutzverbände wissen nur zu gut um die wahren Probleme des Wattenmeeres.

Udo Barth Hannover

SEITE 2 / FREITAG, 12. FEBRUAR 2010, DER LESER SCHREIBT:

Erwiderungen zum Leserbrief von Udo Barth vom 5. Februar:

Natur überstrapaziert

Das Umhertreiben von Vögeln mittels Fun-Sport, die Entwertung von Teilen ihres Lebensraums mittels rasender Vogelscheuchen und das Ignorieren von Naturschutzrecht soll Ausdruck von Naturliebe sein? Für die in ihren Sport verliebten Kiter ist Natur Terrain und Tummelplatz fürs Kiten – nicht mehr, nicht weniger. Das beweist ihr Verständnis von „Naturliebe“ ebenso, wie das völlige Fehlen von Problem-Bewusstsein. Sind Störungen tatsächlich Hirngespinste von grünen Spinnern, wenn in 300 Meter Distanz zu einem Kite-Gebiet Vögel rasten?

Noch nie davon gehört, dass Fluchtdistanzen von vielen Faktoren abhängen? Die Schwarmgröße, das Wetter, der Wasserstand, die individuelle Erfahrung eines Tieres und anderes mehr hat Einfluss darauf, auf welche Entfernungen Wildtiere die Flucht ergreifen. Vom Frühling bis zum Hochsommer können sich überall im Watt Jungvögel oder durch die Mauser flugunfähige Schwimmvögel aufhalten. Welche dramatische Folgen die Konfrontation mit Kitern und anderen Menschen für diese Vögel hat, können sich die sportlichen „Naturliebhaber“ nicht vorstellen, sonst würden sie auf ihren Freizeitspaß in einem Schutzgebiet verzichten. In den 30 Jahren als Vogelwart auf Memmert habe ich hundertfach ähnlichen Unsinn gehört: Ein paar zutrauliche Stockenten oder Möwen gelten als Beweis, dass Menschen gar nicht stören. Brütet am Wegrand ein Austernfischer, gleich wird daraus der Nachweis, dass strikter Schutz gar nicht nötig ist. Eine Stockentenfamilie, die durchs Dorf wandert, belegt angeblich, dass Vögel und Menschen bestens miteinander auskommen…

Auch der Hinweis, dass es noch andere Probleme im Nationalpark gibt, ist sattsam bekannt. Als ob ein Problem dadurch gelöst wird, dass man auf andere Problemfälle zeigt. Die „Naturliebe“ reicht nicht aus, um über den Kiter-Tellerrand hinauszusehen, sonst würden sie bemerken, dass es für die Tiere ums Überleben, nicht um Fun und Sport geht. In anderen Ländern sind die Menschen stolz auf ihre Schutzgebiete und die Missachtung der Schutzbestimmungen hat harte Konsequenzen. Bei uns gibt’s entgegen jeder naturschutzfachlichen Vernunft und Gesetzgebung „Ausnahmeregelungen“ und Ökogeschwätz von denen, die die Natur überstrapazieren.

Rainer Schopf
Jakobsdorf

Behörden reagieren nicht

Die Behauptung „Kitesurfer lieben ihren Sport und die Natur“, setzt der Pro-und-Kontra-Debatte von Kiterzonen im Wattenmeer die Krone auf. Zur Durchsetzung des umweltschädlichsten Trendsports der Küste ist scheinbar jedes Argument recht. Demnach gehört zwangsläufig jeder Sportler, der sich zwischen Himmel und Erde bewegt, zur „Naturfreundfraktion“ und sorgt sich um den Bestand empfindlicher Tierarten. Die Schlacht der Kiter um ihre vermeintliche Sportarena im Weltnaturerbe ist nichts anderes als die Durchsetzung von Eigeninteressen auf Kosten der Natur. Darum geht’s.

Fürs Ego mag der „Kick“ eine Rolle spielen, wenn Zaungäste sportliche Sprünge in Richtung Wolken staunend bewundern. Im anderen Fall locken Vermietern neue Perspektiven mit einer jungen, touristischen „Zielgruppe“. Das schafft mehr Pepp und befreit vom Mief eingetretener Tourismuspfade im Geschäft mit der alternden Zielgruppe von „Promenaden-Wanderern“. Die Zukunft gehört dem sportlich, dynamischen Marktsegment.

Die dynamische Welt des Wattenmeeres bietet Kitern keine Freiräume. Jeder Quadratmeter ist hochproduktiv und wird von Lebewesen genutzt. Ob es sich um Seehunde oder Vögel handelt ist zweitrangig. Der eigentliche Skandal ist nicht das rücksichtslose Treiben der Kiter und deren Lobby des zuliefernden Equipments. Ein Umweltminister namens Sander und die Nationalparkbehörde versagen. Dort ist Zuständigkeit angesiedelt und wird der Natur von Staatsbeamten aktiv verweigert. Kiter und andere Zielgruppen vereinnahmen nur das, was man ihnen behördlicherseits gestattet.

Eilert Voß
Emden – Widdelswehr

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