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Windpark Wybelsumer Polder bei Emden | |
Windpark Wybelsumer Polder bei Emden, Foto: Wattenrat Artikel in "Naturschutz und Landschaftsplanung"Der folgende Beitrag von Manfred Knake erschien im August, Heft 8/2004 in "Naturschutz und Landschaftsplanung" - Zeitschrift für angewandte Ökologie -, Verlag Eugen Ulmer, S. 251.
EU stellt Verfahren wegen Windpark in IBA ein 1997 legte die damalige "Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland" Beschwerde bei der EU-Kommision gegen den Bau des Windparks "Wybelsumer Polder" und weitere 14 Windparkstandort in Important Bird Areas (IBAs) an der ostfriesischen Küste ein. Die Generaldirektion Umwelt der Kommission nahm die Beschwerde exemplarisch am Beispiel des Windkraftsstandortes Wybelsumer Polder an. Der Wattenrat Ost-Friesland führte das Beschwerdeverfahren gegen den Windkraftstandort am Dollart bei Emden fort. Mit Schreiben vom 19. April 2004 stellte die Kommission das Verfahren nach mehr als sechs Jahren ein. Als 1997 bekannt wurde, dass in der Important Bird Area "Krummhörn/Westermarsch", Teilgebiet "Wybelsumer Polder" direkt am Dollart ein riesiger Windpark mit über 100 m hohen Anlagen des Typs Enercon-66 gebaut werden sollte, legte die damalige Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel wegen Verletzung der EU-Vogelschutzrichtlinie ein. Der Naturschutzbund Deutschland folgte 1998 mit einer eigenen Beschwerde. Nach der weitgehenden Auflösung der "Konferenz" verfolgte der Wattenrat Ost-Friesland die weitere Beschwerdeführung und den Schriftwechsel mit der EU-Kommission. Die Beschwerde wurde unter der Nummer 1997/4360 registriert. Klageandrohung in 2002 Das Verfahren erreichte 2002 seinen Höhepunkt, als die EU-Kommission gegen Deutschland die sog. "zweite Stufe" des Vertragsverletzungsverfahrens einleitete und mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen des Verstoßes sowohl gegen die Europäische Vogelschutzrichtlinie als auch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie drohte. Am 20. März 2002 schrieb die Umweltkommissarin Wallström an den Bundesaußenminister Fischer und erläuterte auf fünf Seiten die Bedenken der EU-Kommision gegen den Windparkstandort Wybelsumer Polder. Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete später am 19. Dez. 2002 zum diesem Vertragsverletzungsverfahren eine Nachricht und zitierte die EU-Umweltkommissarin Wallström: "Es ist unabdingbar, dass die wichtigsten Lebensräume der EU im Rahmen des Naturschutzrechtes angemessen anerkannt und geschützt werden. Die Kommission ist entschlossen, das EU-Umweltschutzrecht zu verteidigen." EU mahnt 2003 Nachmeldung an Im "ergänzenden Aufforderungsschreiben" vom 02. April 2003 im Rahmen des horizontalen Vertragsverletzungsverfahrens 2001/5117 an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel mahnte die Kommission erneut die Ausweisung des Wybelsumer Polders als "Besonderes Schutzgebiet" nach der Vogelschutzrichtlinie an (S.33). Das Niedersächsische Umweltministerium hatte zuvor mit Schreiben vom 17. März 2003 (Az 27a-22005/5) an das Bundesumweltministerium in einer Stellungnahme dargelegt, dass Niedersachsen es nicht für "zulässig" hielte, dass die EU-Kommission "in mehreren Vertragsverletzungsverfahren" die "unzureichende Ausweisung von besonderen Schutzgebieten […] allgemein angreift und andererseits außerdem die Nicht-Ausweisung einzelner Gebiete zum Gegenstand besonderer Vertragsverletzungsverfahren macht." Das MU Niedersachsen gelangte zur Auffassung: "Eine besondere Funktion als Rastgebiet für den Säbelschnäbler kann dem Wybelsumer Polder nicht zugeschrieben werden". Für das Blaukehlchen sei das Gebiet von der Kommission als "zu hoch angesetzt" worden". Damit reduzierte das MU die Wertigkeit des Gebietes unzulässigerweise im Wesentlichen auf die Bewertung von zwei Arten, nämlich Säbeschnäbler und Blaukehlchen. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Fachbehörde des Landes Niedersachsen, das Niedersächsische Landesamt für Ökologie (NLÖ), das in dieser Form von der CDU/FDP-Landesregierung aufgelöst werden und der Naturschutzbereich in den Niederächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK) eingegliedert werden soll, den größten Teil des Wybelsumer Polders auf einer Karte als "international bedeutsam" für Gastvögel einstuft. [vergl. "Avifaunistisch wertvolle Bereiche für Gastvögel in Niedersachsen"] Einstellung des Verfahrens am 30. März 2004 Mit Schreiben vom 09. Februar 2004 kündigte die Generaldirektion Umwelt an, das Verfahren auf Grund der Antwort der Bundesrepublik Deutschland auf die Begründete Stellungnahme der Kommission vom 19. Dezember 2002 einzustellen (im oben erwähnten Schreiben vom 02.04.2003 hatte die Kommission noch die Ausweisung des Wybelsumer Polders als BSG=SPA angemahnt!). Die Kommission gehe "zunächst nicht mehr davon aus, dass der Wybelsumer Polder als besonderes Schutzgebiet ('SPA') […] auszuweisen war." Die Kommission reduziert in seinem Schreiben die Bewertung im Wesentlichen ebenfalls auf die Arten Säbelschnäbler und Blaukehlchen und schreibt den bemerkenswerten Absatz: "Zweifelhaft bleibt, ob die durchgeführten Verträglichkeitsstudien mögliche kumulative Auswirkungen des Windparks mit anderen Projekten hinreichend beleuchtet haben. Wegen der langen Verfahrensdauer [!], die wir bedauern, und der Schwierigkeiten, heute diese Wirkungen noch aufzuklären, halten wir es allerdings nicht für sinnvoll, das vorliegende Verfahren in Hinblick auf diesen isolierten Punkt weiterzuführen. Hierauf ist in jedem Fall bei künftigen Projekten und Prüfungen dieser Art besonderes Augenmerk zu richten." […] "Falls Ihnen neue Tatsachen vorliegen sollten, die auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts schließen lassen, können Sie uns diese innerhalb eines Monats mitteilen. Wir beabsichtigen im Übrigen, ein neues Beschwerdeverfahren hinsichtlich der neuen Windräder vom Typ Enercon-112 [Gesamthöhe 172 m!] im Wybelsumer Polder sowie im Larrelter Polder durchzuführen. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage kumulativer Auswirkungen Berücksichtigung finden." Wattenrat legt nach Dem ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerde frühzeitig 1997 eingereicht wurde und die Kommission eine zügige Bearbeitung versäumt hat. In der gleichen Zeit wurde mit Hochdruck an der Fertigstellung des Windparks gearbeitet und, wie erwähnt, noch höhere Anlagen mit 112 m Rotordurchmesser im benachbarten Larrelter Polder geplant bzw. inzwischen errichtet. Es ist nicht nachzuvollziehen, wieso die 39 Anlagen im Wybelsumer Polder nun als vereinbar mit der Vogelschutzrichtlinie angesehen werden und die benachbarten Anlagen nicht und erst jetzt die kumulative Wirkung berücksichtigt werden soll. Der Wattenrat Ost-Friesland legte dann auch der Generaldirektion Umwelt der EU fristgerecht am 11. März 2004 eine gutachterliche Stellungnahme zur geplanten Einstellung des Verfahrens vor. Er verwies darin auf die reduzierende Darstellung auf die Arten Säbelschnäbler und Blaukehlchen seitens der Bundesregierung und der vom Land Niedersachsen verwendeten Auswahlkriterien zur Festlegung von SPAs, die auch dann den Wybelsumer Polder als eine der geeignetsten Flächen einstuften würden. Bis 2002 erreiche der Säbelschnäbler in diesem Gebiet "internationale Bedeutung" und hätte demnach eine Ausweisung als SPA erforderlich gemacht. Auch die Bewertung für das Blaukehlchen wurde als unzutreffend zurückgewiesen, die Siedlungsdichte betrage im Wybelsumer Polder mit Larrelter Polder 2,6 Brutpaare/km2. Der Wattenrat führte weiter aus: "Die internationale Bedeutung des Gebietes war kein Phänomen einzelner, spezialisierter Arten, sondern wird durch die vier ökologisch sehr unterschiedlichen Arten Löffelente, Krickente, Graugans und die Säbelschnäbler bestimmt". Das IBA-Teilgebiet "Wybelsumer Polder" besitze "zusätzlich nationale Bedeutung für 13 weitere Rastvogelarten sowie landesweite Bedeutung für nochmals 11 Arten. Darunter sind beispielsweise Nonnengans, Goldregenpfeifer, Löffler und Kampfläufer als Vogelarten des Anhangs I und Bekassine und Uferschnepfe als wandernde Arten (Art 4 Abs. 2 VRL) […]" Damit zähle das IBA-Teilgebiet "Wybelsumer Polder" also eindeutig zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten im gesamten Ems-Dollart-Raum. Zudem verwies der Wattenrat auf die strittige Grenzziehung für das SPA "Dollart": Die ursprünglich gemeldete Fläche umfasse 5.000 Hektar, wohingegend die auf offiziellen Karten abgegrenzten Teilflächen lediglich 3.500 Hektar ausmachten. Eine Schutzgebietsfläche von 5.000 Hektar ergebe sich aber nur dann, wenn man z.B. auch die dem Wybelsumer Polder unmittelbar vorgelagerten Wattenmeerflächen dem SPA "Dollart" zurechne. Diese Argumente und vorgelegten Daten und Karten vermochten die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission aber nicht umzustimmen: Bereits mit Schreiben vom 19. April 2004 wurde dem Wattenrat mitgeteilt, die Dienststellen hätten "die von Ihnen vorgebrachten Argumente erneut in fachlicher und rechtlicher Hinsicht geprüft. Danach gehen wir allerdings weiterhin nicht vom Vorliegen eines Vertragsverletzungsverfahrens aus. Die Kommission hat daher am 30. März [also nach nur etwas mehr als zwei Wochen nach Eingang der Stellungnahme des Wattenrates] beschlossen, das Verfahren einzustellen. Sollte sich herausstellen, dass die Abgrenzung fehlerhaft ist, würden wir die Kommission [bitten] ein neues Verfahren [zu] eröffnen, in dessen Rahmen auch die Frage der Auswirkung des Windparks Wybelsumer Polder erneut zu untersuchen wäre." Einstellung politisch motiviert? Es stellt sich abschließend die Frage, ob dem Einstellungsverfahren politische Einflussnahmen zugrunde liegen, da zweifellos die Windkraftlobby sowohl von der niedersächsischen Landesregierung als auch von der Bundesregierung außerordentlich stark unterstützt wird. Der Anlagenbauer Enercon, dessen Anlagen im Wybelsumer Polder aufgestellt wurden, produziert im nahegelegen Aurich und ist ein bedeutender Arbeitgeber in der Region. Aber nicht nur die Windlobby will den Wybelsumer Polder nutzen: Im Juli 2004 wurden Pläne eines polnischen Stahlerzeugers öffentlich bekannt, im Wybelsumer Polder ein Stahlwalzwerk zu bauen. Der Baubeginn soll noch im Jahr 2004 erfolgen, die Investitionssumme betrage 1,6 Milliarden Dollar. Die EU-Kommission als Aufsichtsinstanz für die Einhaltung der Richtlinien muss sich fragen lassen, warum sie ausschließlich die reduzierende Bewertung des Landes Niedersachsen bzw. des Bundes gelten lässt und ob sie mit dieser Entscheidung einer Erosion der Verbindlichkeit der Richtlinien bei zukünftigen Verfahren Vorschub leistet. Das Vertrauen von Petenten in die Kommission bei Verstößen gegen geltendes EU-Recht wird damit nicht gestärkt. Bei gründlicher naturschutzfachlicher Bewertung hätte dieses Gebiet als SPA gemeldet werden müssen. Immerhin gibt es Vergleichsfälle wie die Rechtssache C-209/02 in Österreich, in der ein vergleichsweiser kleiner Eingriff konsequent bis zur Verurteilung zum EuGH vorangetrieben wurde. [Die 2. Kammer des Europäischen Gerichtshofes hat die Bundesrepublik Österreich wegen einer Vertragsverletzung verurteilt. Dem Urteil vom 29. Januar 2004, Rechtssache C-209/02, liegt zugrunde, dass die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 14. Mai 1999 die Genehmigung für die Erweiterung der in der Gemeinde Wörschach gelegenen Golfanlage von Weißenbach durch die Errichtung zweier neuer Spielbahnen erteilt hat. Dagegen hat die Europäische Kommission geklagt mit der Begründung, die Erweiterung beeinträchtige das Vogelschutzgebiet "Wörschacher Moos". Entgegen den Ergebnissen einer Verträglichkeitsprüfung habe die Erweiterungsgenehmigung im Hinblick auf den Lebensraum des Wachtelkönigs (Crex crex) in dem besonders erklärten Schutzgebiet nicht erteilt werden dürfen.] Und es wurden mit der Einstellungsentscheidung auch 14 weitere Windkraftstandorte in IBAs an der ostfriesischen Küste nicht weiter geprüft und somit sanktioniert. Die Genehmigungsbehörden indes können frohlocken: Sie dürfen die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahren als Bestätigung ihrer zweifelhaften Genehmigungspraktiken in Important Bird Areas verstehen. Literatur: Melter, J & M.Schreiber (2000): Wichtige Brut- und Rastvogelgebiete in Niedersachsen. Vogelkundliche Berichte Niedersachsens 32, Sonderheft Schreiber, M. (1998): Vogelrastgebiete im Grenzbereich zum Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer", an der Unterems und an der Unterweser. Bramsche; 385 Seiten Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Das europäische Schutzgebietssystem NATURA 2000, - BfN-Handbuch zur Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie - Bonn-Bad Godesberg 1998 Richtlinie des Rates vom 02. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EGW), "Vogelschutzrichtlinie" (VRL) Verfasser: Manfred Knake |
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