Wattenrat

Ost-Friesland

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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 273 (März 2008)

Munitionsaltlasten in der Nordsee sind gar keine

Bundeswehr-, NATO-, Sowjet- und NVA-Munition gefährden heute ebenfalls Seeleute und Anwohner

Sprengung

Sprengung einer Seemine bei Dornumersiel, LK/Aurich, Foto: Wattenrat

Die Aktionkonferenz Nordsee hat dazu eine Pressemitteilung verfasst, die wir gerne im vollen Wortlaut abdrucken:

Aktionskonferenz Nordsee Waterkant, Mitteilungsblatt der Aktionskonferenz Nordsee e.V.

www.waterkant.info

Bremen / Koblenz, den 27. März 2008 Presse-Mitteilung

"Munitions-Unfälle nicht allein Weltkriegs-Altlast" AKN-Zeitschrift WATERKANT legt erschütternde Statistik nun auch für den Nordsee-Bereich vor

"Seit Jahrzehnten erzählen uns die Behörden, Unfälle mit Munition an und auf den Meeren seien ausschließlich eine Altlast vergangener Weltkriege. Das ist falsch", sagt der Koblenzer Meeresbiologe Dr. Stefan Nehring: "Richtig ist vielmehr, dass auch aus versenkter Bundeswehr-, NVA-, Sowjet- oder NATO-Munition neue Gefahren erwachsen, die bereits erste Opfer gefordert haben."

Ende 2007 war in der Zeitschrift WATERKANT der erste Teil von Nehrings umfassender Bilanz über Unfälle mit Munitionsaltlasten für den Bereich Ostsee erschienen, jetzt hat das Blatt auch den vielfach erwarteten zweiten Teil für den Nordsee-Bereich veröffentlicht. Danach sind zwischen Emden und Sylt seit 1945 mindestens 115 Menschen bei Munitionsunfällen getötet worden, mindestens 35 wurden teilweise schwer verletzt. Wie die Redaktion der Zeitschrift, die von der in Bremen ansässigen "Aktionskonferenz Nordsee" (AKN) herausgegeben wird, weiter mitteilt, stellt Nehring in seiner Untersuchung fest, im Unterschied zur Ostsee seien in der Nordsee "deutlich größere Mengen konventioneller Munition entsorgt worden"; Schwerpunkt sei die niedersächsische Küste, hier lägen "bis heute innerhalb der 12-Seemeilen-Zone noch mindestens 300.000 Tonnen Munition". Für Schleswig-Holstein, so die WATERKANT, gehe Nehring von mindestens 100.000 Tonnen aus, genaue Untersuchungen lägen aber bis heute nicht vor. Im Vergleich zur Ostseeküste, wo der letzte Todesfall aus dem Jahr 1957 datiert, sei an der Nordsee der bislang letzte tödliche Unfall 1985 dokumentiert, schreibt der Meeresbiologe: Ein Sprenggreifer, der von den NATO-Staaten seit Ende 1981 in der Minenräumung verwendet wird, sei aufgefischt worden und an Deck explodiert.

Allein für 1984 und 1985 seien mindestens 36 solcher hochbrisanten Sprengkörper von der Bundesmarine auf nicht genau bekannten Positionen in Nord- und Ostsee verloren gegangen. Ein aktuelles Merkblatt der See-Berufsgenossenschaft für die Fischerei warne ausdrücklich vor den Gefahren durch neue Munitionstypen. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges seien mindestens 581 Opfer, davon 283 Todesfälle, durch Munition an der deutschen Nord- und Ostsee zu beklagen, lautet die Gesamtbilanz der Untersuchung. Darüber hinaus sei eine beträchtliche Dunkelziffer anzunehmen, weil etliche Unfälle nicht ausreichend dokumentiert würden, beispielsweise munitionsbedingte Verletzungen von Sporttauchern oder Phosphorunfälle in der Fischerei.

"Bis heute haben die Behörden keine Konzepte für den Umgang mit diesem Problem", kritisiert Nehring, "ja, vielfach werden Gefahren verschwiegen oder geleugnet." So habe etwa Niedersachsen vor Jahren durchgesetzt, dass mehrere "geringer" belastete Flächen aus den amtlichen Seekarten gelöscht wurden. Der Forscher warnt in der WATERKANT nachdrücklich, die Kopf-in-den-Sand-Attitüde der Verwaltungen könne sich zu einem erheblichen Problem im Tourismus entwickeln. Nehring und die "Aktionskonferenz Nordsee" (AKN) fordern gerade im Hinblick auf die bevorstehende Sommerurlaubssaison eine sofortige und umfassende öffentliche Meldepflicht für alle Kampfmittel-Funde und -Unfälle sowie für Munitions-Verluste, ferner die Eintragung aller potenziell kampfmittel-belasteten Flächen in die amtlichen Seekarten. "Außerdem ist zum Schutz von Touristen ein schnelles und umfassendes Verbot des Bernstein-Sammelns für alle bekannten Phosphor-Problemgebiete anzuordnen und nachdrücklich umzusetzen", so Nehring abschließend: "Das gilt unter anderem für Usedom, Laboe und Tossens."

 
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