Wattenrat

Ost-Friesland

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Wattenmeer: Wem nützt das Etikett "UNESCO-Weltnaturerbe"?

Das Beispiel Niedersachsen - von Manfred Knake

Im Oktober 1998 beschloss die Kultusministerkonferenz, das deutsche Wattenmeer nach den Richtlinien des Welterbekomitees als UNESCO-Weltnaturerbe als "historische Kulturlandschaft" anzumelden (siehe: "Vorläufige Liste der Kultur- und Naturgüter, die in den Jahren 2000 - 2010 von der Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt angemeldet werden sollen" - pdf-Datei, ca. 20 KB). Dieser Schritt wurde zum 01. Februar 2008 von den Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein vollzogen. Hamburg verweigerte sich der Anmeldung seines Wattenmeergebietes, weil man im Stadtstaat negative Auswirkungen auf die Hafenentwicklung befürchtet. Die Flussmündungen von Ems, Weser und Elbe wurden von der Meldung ausgenommen.

Der Grund ist unschwer zu erkennen: Die Ästuare sind gleichzeitig Wirtschaftsräume, in denen ständig für noch größere Schiffe gebaggert und vertieft wird. Die Protagonisten der UNESCO-Meldung in Niedersachsen sind der niedersächsische Umweltminister Sander (FDP), der Landrat des Landkreises Aurich, Walter Theuerkauf (SPD), der auch Vorsitzender des Beirates des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer ist, und der Landrat des Landrates Friesland, Sven Ambrosy (SPD), der gleichzeitig Vorsitzender des "Tourismusverbandes Niedersachsen" ist. Theuerkauf ist zudem Regionalsprecher des "Wadden Sea Forum", einer Nutzerinitiative aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden, die sich die "nachhaltige" wirtschaftliche Nutzung des Wattenmeeres zum Ziel gesetzt hat. BUND und WWF als Vertreter des Naturschutzes sind eher als Statisten als durchsetzungsfähige Naturschutzvertreter Mitglied dieser Vereinigung; ihnen blieb es verwehrt, das Themenfeld Naturschutz in sog. "Sektoren" neben der Hafenwirtschaft, Landwirtschaft oder Tourismus als eigenständigen Beitrag in diesem Gremium zu veröffentlichen. Alle genannten politischen Personen sind in der Vergangenheit nicht gerade durch besonderes Engagement für die Erhaltung des Wattenmeeres als Großschutzgebiet, eben nicht als "Kulturlandschaft", sondern als unbestreitbare Naturlandschaft, aufgefallen, im Gegenteil.

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Umweltminister Sander ist in Niedersachsen ein rotes Tuch für die Naturschutzverbände und viele Mitarbeiter in den übriggebliebenen Naturschutzverwaltungen: In seiner Amtszeit strich er die Verbändeförderung; die Fachbehörde "Niedersächsisches Landesamt für Ökologie" (NLÖ) wurde zerschlagen und in den "Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz und Naturschutz" (NLWKN) integriert. Minister Sander musste sich dem massiven Druck der EU-Kommission beugen und FFH- und Vogelschutzgebiete an die Kommission nachmelden. Die in der friesisch-ostfriesischen Regionalpresse verkündete Begründung der Meldung des Wattenmeeres liest sich so, als ob die Landräte Theuerkauf und Ambrosy nun den Naturschutz als Inhalt ihrer Amtsführung entdeckt hätten: Da ist die Rede vom "Great Barrier Reef" in Australien oder dem "Grand Canyon" in den USA, mit dem nun das Wattenmeer auf einer Stufe stehe. Oder weiter: Das Wattenmeer habe in Deutschland den höchsten Schutzstatus, den es zu vergeben gäbe, nämlich den Nationalpark.

"Die Ostfriesen Zeitung" vom 11. Februar 2008 berichtet über Theuerkaufs UNESCO-Euphorie: "[...] Das Wattenmeer sei geschütztes Gebiet, als Nationalpark stehe es bereits unter dem höchsten nationalen Schutzstatus. Wird es Weltnaturerbe, dann sei das von Seiten der Unesco nur die Würdigung dessen, was man in dieser Hinsicht geleistet habe. [...] Der gefundene Kompromiss zwischen Naturschutz und dem Anspruch der Menschen, zu wirtschaften, sei vernünftig. [...] Mit dem Titel verbindet Theuerkauf auch Chancen für den Tourismus: Die Auszeichnung sei eine Marke, die eine hohe Qualität der Natur gewährleiste. 'Das ist Werbung für Ostfriesland.' Man erhalte ein Logo, das auf das Wattenmeer als Schatz hinweise, den es sonst nirgendwo gebe."

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Alle Argumente sind falsch. Der "Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer" zum Beispiel wird von den internationalen Fachgremien gar nicht als "Nationalpark" gelistet, sondern als sogenanntes "Kategorie V-Gebiet"; das entspricht lediglich einem Landschaftsschutzgebiet.

Dem Wattenrat Ost-Friesland hatte dazu konkret beim United Nations Environment Programme (UNEP) angefragt, dazu liegt eine Email eines Mitarbeiters der UNEP als Antwort vom 21. August 2006 vor: "It is correct that accordingly the latest data on European sites elaborated by the EEA the Niedersächsisches Wattenmeer site is allocated with IUCN category V." Zur Erläuterung: Die "International Union for Conservation of Nature" (IUCN) listet und bewertet die internationalen Großschutzgebiete; "category V" rangiert weit unten auf der bei "VI" endenden Skala als "geschützte Landschaft". Der Grund sind die vielen zugelassenen Nutzungen in diesem Pseudo-Nationalpark, der eigentlich nur ein Freizeitpark mit Schutzverordnung ist. Ein professionelles Rangersystem als Betreuungs- und Kontrollorgan in einem Gebiet des Massentourismus, das sich sogar sog. "Entwicklungsländer" in ihren Nationalparks leisten, fehlt. Es gibt auch keine Hierarchie in den Schutzgebietskategorien: Ein Nationalpark wird u.a. durch die größere Flächenausdehnung definiert, ein Naturschutzgebiet ist kleiner und kann wesentlich strengere Schutzvorschriften als ein Nationalpark aufweisen.

Touristenlandschaft

Es war denn auch Walter Theuerkauf, der als Mitinitiator der Nationalpark-Gesetzenovellierung 2001 in Niedersachsen fungierte, wie bereits gesagt als Vorsitzender des Nationalpark Beirates. Die damalige SPD-geführte Landesregierung unter Ministerpräsident Sigmar Gabriel, heute Bundesumweltminister, nahm auf Druck der Tourismusindustrie fast 90 Gebiete aus dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer heraus oder stufte sie in der Zonierung herab, um sie der touristischen Nutzung zuzuführen. Viele hervorragende Pflanzenstandorte oder Brut- und Rastgebiete wurden so aus dem gemeldeten FFH- und Vogelschutzgebiet einseitig vom Land Niedersachsen entfernt oder in ihren Schutzzielen beeinträchtigt. Mitglieder des Wattenrat Ost-Friesland überbrachten daraufhin der EU-Kommission in Brüssel eine mehr als 4 Kilogramm wiegende Beschwerde, in der jedes Gebiet detailliert mit den betroffenen Pflanzen- und Vogelstandorten aufgelistet war. Nach fünf Jahren wurde das Beschwerdeverfahren 2006 mit nicht nachvollziehbaren Begründungen eingestellt (siehe auf unseren Seiten vom Oktober 2006: "EU-Kommission hat Beschwerdeverfahren eingestellt").

Landrat Theuerkauf hat also bereits aktiv an der Demontage dieses "Nationalparks" mitgewirkt und will jetzt, wie sein Amtskollege Ambrosy, ein neues Etikett auf dem Wattenmeer, nicht für den Schutz des Gebietes, sondern um es noch besser international vermarkten zu können. Es geht unverhohlen um noch mehr Übernachtungszahlen auf den Inseln und dem Festland, knallhartes Tourismus-Marketing mit dem UNESCO-Label. Dabei gibt es im und am niedersächsischen Wattenmeer-Nationalpark bereits 30 Millionen Tourismus-Übernachtungen jährlich, mit erheblichen Auswirkungen auf Seehunde, Brut- und Rastgebiete und Pflanzenstandorte. In der Regionalpresse wurde wiederholt betont, es seien keine weiteren "Naturschutzbeschränkungen zu befürchten".

Fakt ist aber, dass die "Operational Guidelines: Establishment of World Heritage List" der UNESCO ausdrücklich einen "management plan" für die gemeldeten Gebiete fordern. Diesen gibt es nach mehr als 20-jährigem Bestehen noch nicht einmal für den niedersächsischen Wattenmeer-Nationalpark. Zusätzlich fordern die "Guidelines" ausreichende an das Welterbegebiet angrenzende Gebiete, um das eigentliche Weltnaturerbe vor menschlichem Einfluss oder Auswirkungen zu schützen. Das wird sich am Wattenmeer nur schwierig einrichten lassen: Zahlreiche Wind"parks", auch in faktischen Vogelschutzgebieten und die intensive landwirtschaftliche Nutzung in den deichnahen Binnenlandbereichen verhindern diesen Anspruch schon heute. Es wäre also vor der Verleihung eines neuen Etiketts nötig, zunächst die Schutzstandards in diesem Großschutzgebiet wesentlich zu erhöhen und an internationale Standards anzupassen.

Die haben auch die Naturschutzverbände seit 20 Jahren vergeblich in vielen kritischen "Nationalparkbilanzen" angemahnt, die sich jetzt für das UNESCO-Etikett aussprechen. Das Label "Weltnaturerbe" ist kein ernst gemeinter Vorstoß, um das zu befördern. Ein edles Etikett auf einem billigen Wein macht diesen jedoch nicht besser.

Vermutlich wird das Wattenmeer das begehrte Prädikat "Weltnaturerbe" auch ohne eine strenge Prüfung allein aus wirtschaftlichen Gründen erhalten, Papier ist eben geduldig und die Politik mit dem abgehobenen Gremien-Naturschutz eng verflochten. Der politische Kreis der Etiketten-Naturschützer schließt sich mit dem niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP): der ist gleichzeitig Präsident der deutschen UNESCO-Komission...

Der Autor koordiniert den Wattenrat-Ostfriesland in Holtgast/Ostfriesland (wattenrat.de). Er war 5 Jahre Mitglied im Beirat des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer und 20 Jahre lang als ehrenamtlicher Landschaftswart im Landkreis Aurich tätig.

 
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