Wattenrat

Ost-Friesland

- unabhängiger Naturschutz für die Küste -

Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 156 (Februar 2006)

Naturschutzgebiet "Petkumer Deichvorland" bei Emden

Gutachter der Stadt Emden stellt fest: "Störung, aber nicht erheblich"

Spaziergänger (im Hintergrund) auf dem derzeit gesperrten Betonweg am 25. Februar 2006 mit Zeitungsschlagzeile: "Gutachter: Die Öffnung des Teekwege hat sich bewährt" Nur nicht für die Vögel! Foto: Wattenrat

Das NSG "Petkumer Deichvorland" an der Ems liegt im "Besonderen Schutzgebiet (BSG) Emsmarschen Leer-Emden" nach EU-Vogelschutzrichtlinie. Die offizielle Verträglichkeitsstudie vor der Wegefreigabe geht von einem Lebensraumverlust von 90 Hektar der 200 Hektar Gesamtgröße für bestimmte Arten des Gebietes aus (Büro Schmal und Ratzbor, 2003, Lehrte), sieht aber die Wegenutzung im NSG dennoch als "nicht erheblich" für das GESAMTE, weitaus größere BSG von Emden bis Leer an. Mit dieser an den Haaren herbeigezogenen Begründung war die prüfende deutsche Abteilung der EU-Kommission zufrieden und nickte die Wegefreigabe ab, obwohl es gar keine Erheblichkeitssschwelle in den Natura-2000-Richtlinien gibt und diese in offiziellen Handreichungen der EU-Kommission ausdrücklich ausgeschlossen wird. Der Wattenrat hatte also vergeblich Beschwerde gegen die Wegeöffnung bei der Kommission eingelegt.

Das Gutachterbüro Kalberlah (Hausbüro der Stadt Emden, die die Wegefreigabe zusammen mit dem FDP-Stadtratsmitglied Bolinius vorangetrieben hat), ignoriert die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung des Gutachterbüros Schmal und Ratzbor völlig und dampft die Erheblichkeit nun weiter ein auf das engere Gebiet des NSG und kommt zum Ergebnis "nicht erheblich", das ist wieder das Zauberwort; aber auch hier gilt: es gibt gar keine Erheblichkeitsschwelle, sondern nur massive Störungen der Brut- und Rastvögel, wenn man denn genau hinsehen will. Und die Aussage widerspricht dem Schmal- und -Ratzbor-Gutachten völlig (Siehe Stadt Emden - Umwelt, dort unter "Teekabfuhrweg" das pdf "Monitoring zur zeitlich befristeten Öffnung des Teekabfuhrweges").

Die hatten noch so zusammengefasst: "Insgesamt kann also eingeschätzt werden, dass die im Petkumer Deichvorland vorkommenden Gastvögel eine erhebliche Empfindlichkeit gegenüber einem begangenen bzw. befahrenen Weg aufweisen, die zwischen den einzelnen Vogelarten aber auch innerhalb einer Rastperiode unterschiedlich stark ist und auch von der Intensität der Benutzung des Weges abhängt. Durch eine Wegenutzung würde sich also eine Verringerung der durch die Vögel nutzbaren Fläche des Naturschutzgebietes ergeben, die voraussichtlich 200m weit reicht. Bei einer Länge des Weges von 4,5 km würden also ca. 900.000 m² (90ha) Fläche entwertet." Also doch "erheblich"!

Der Weg wird illegal gerade an Wochenenden auch außerhalb der genehmigten Zeit stark belaufen, gesperrte Zugänge oft mutwillig zerstört. Es gab keine "vereinzelten Verstöße" sondern regelmäßige Verstöße, das wurde von einem Wattenratmitarbeiter und ehemaligen Datenerfasser für die inzwischen aufgelöste Landesnaturschutzbehörde als Anlieger akribisch dokumentiert, interessierte aber niemanden, auch nicht die EU-Kommission.

Kein Zutritt, Foto: Wattenrat

Wie "intensiv" die Beobachtung des Büros Kalberlah war, müsste erläutert werden. Fakt ist, daß das Brutvorkommen von Wiesenvögeln im Bereich des freigegeben Weges völlig erloschen ist und die Rastflächen bis zu 250m vom Weg für die Gänse gerade bei Hochwasser völlig ausfallen. Das hatten Schmal und Ratzbor bereits vorausgesagt: Dank der Stadt Emden, des Landes Niedersachsen (MU Sander) und der EU-Kommission wurde wieder ein bestehende Schutzgebiet erfolgreich kaputtgemacht. "Die Menschen an die Natur heranführen" und "Serengeti-Effekt" sind die Sprechblasenbegründungen für Naturzerstörung ausgerechnet aus dem Umweltministerium. Die Tatsache "Fluchtdistanz" bei wildlebenden Vögeln ist offenbar völlig unbekannt. Die faktenresistente FDP interpretiert das "Gutachten" von Kalberlah gar so um, dass eine ganzjährige Öffnung gefordert wird.

Gegen diese konzertierte Aktion und schlimme Mischung aus Ignoranz, Trägheit, Dummheit, Populismus, Beziehungsklüngel und veröffentlichter Meinung hat der fachliche Naturschutz keine Chance mehr. FFH- und Vogelschutzrichtlinie sind nur bedrucktes Papier ohne tatsächlich schützende Auswirkung für die betroffenen Arten in deren Lebensräumen, aber kostenträchtige hochdotierte entrückte Arbeitsplätze für Sessel fixierte Eurokraten, die nie panische riesige Gänseschwärme in ihren Schutzgebieten durch freizeitbewegte ökologische Analphabeten der Spaßgesellschaft gesehen haben. Diese Botschaft gilt es zu verbreiten!

Interessant ist die Verquickung des Büros Kalberlah mit der Stadt Emden: Kalberlah selbst und der Gutachter Ahlborn sitzen im Beirat des "Ökowerks" (http://www.oekowerk-emden.de)in der Trägerschaft der Stadt Emden (siehe ganz unten, Stand 2005). Das "Ökowerk" hat die Freigabe des Weges unterstützt und inhaltlich mit ausgestaltet.

Wir zitieren aus der Emder Zeitung, 25. Februar 2006:

Gutachter: Die Öffnung des Teekweges hat sich bewährt

Zweite Untersuchung zum Petkumer Vogelschutzgebiet vorgelegt. FDP will weiter ganzjährige Öffnung.

Von EZ-Redakteur JENS VOITEL

"Störung, aber nicht erheblich": der Petkumer Teekabfuhrweg. EZ-Archivbild: Brandes

Die zum Schutz von Brutvögeln nur befristete Öffnung des Teekabfuhrweges im Petkumer Deichvorland hat sich bewährt. Diese Einschätzung haben Gutachter des bodenbiologischen Planungsbüros Kalberlah am Donnerstag vor dem Planungsausschuss des Emder Rates vertreten. Sie stützen sich dabei auf eine im vergangenen Jahr zum zweiten Mal durchgeführte intensive Beobachtung des Brutverhaltens im Petkumer Naturschutzgebiet. Nach dem am Donnerstag vorgestellten Gutachten stellt die Öffnung des Weges für Radfahrer und Spaziergänger zwischen dem 15. Juli und dem 31. Oktober zwar eine zeitlich begrenzte Störung der rastenden und nahrungssuchenden Vogelarten dar, die aber als "nicht erheblich" einzustufen sei.

Nach der Schließung des Weges im Oktober fliegen nach Beobachtung der Experten große Gänsetrupps ins Petkumer Deichvorland ein. Diese bis zu 10 000 Vögel benötigen entsprechend große, störungsfreie Äsungsflächen, die auch die teekwegnahen Flächen einschließen. Fazit der Gutachter: Der Schließungstermin zum 30. September ist "beizubehalten, da ansonsten nicht genügend Äsungsflächen für alle Rastgäste zur Verfügung stehen."

Zum "Besucherverhalten" konnte Gutachter Holger Ahlborn festhalten, dass sich die Nutzer des Teekabfuhrweges während der Öffnung überwiegend "vorbildlich" verhalten haben. Außerhalb der Öffnungszeiten habe es dagegen vereinzelt Verstöße gegen die Absperrung gegeben, die auch zu Störungen der Vögel geführt hätten. Das Planungsbüro verwies dabei auf einige unzureichend gesicherte Sperren und "offene Tore". Aus Sicht der FDP hat das Gutachten belegt, dass einer ganzjährigen Öffnung des Teekabfuhrweges nichts im Wege stehe. Zwar will man den mit der ehemaligen Bezirksregierung vereinbarten dreijährigen Beobachtungszeitraum einhalten, setzt danach aber auf den Niedersächsischen Umweltminister. FDP-Ratsherr Erich Bolinius: "Mal sehen, was Herr Sanders dann macht."

SPD und Grüne wollen dagegen an einer begrenzten Öffnung des Teekabfuhrweges festhalten, um dem Naturschutz Rechnung zu tragen. Auch Gutachter Ahlborn widersprach der Ansicht, dass seine Untersuchung den Eindruck erwecke, die Befristung sei nicht notwendig, die Vögel würden Spaziergänger und Radfahrer nicht als Störung empfinden.

Ökowerk Emden e.V. (Stand: 2005)
Regionales Umweltzentrum
Kontakt
Regionales Umweltzentrum Ökowerk Emden e.V.
Kaierweg 40a
26725 Emden
Tel.: 04921/954023
Fax: 04921/954025
E-Mail: oekowerk-emden@t-online.de

1. Vorsitzender: Eckhard Lukas (Studienrat, Dipl.-Ing. Lebensmitteltechnologie); Zuständigkeitsbereiche: Pädagogischer Leiter, Sponsoring, Kooperationen, Lehrerteam
2. Vorsitzende: Birgit Koschnick (Prof., Dipl.-Ing. Landespflege); Zuständigkeitsbereiche: Projektleitung, Kooperationen, Hochschulen, Agenda 21
Schriftführerin: Marion Peters (M. Sc. Biologie); Zuständigkeitsbereiche: Projektleitung, Internationales Dollart Forum (IDF), Kooperationen, FÖJ, Agenda 21
Schatzmeisterin: Birgit Ahlborn; Zuständigkeitsbereiche: Abrechnung, Finanzhaushalt, Buch- und Kontoführung
Beisitzerin: Astrid Heißenbüttel-Brinkmann (Dipl.-Ing. Landespflege); Zuständigkeitsbereiche: Biotopmonitoring, Flächen-gestaltung und -entwicklung
Beisitzer: Otto Kalberlah (Biologe); Zuständigkeitsbereiche: Fach-technische Leitung, Biotopmonitoring, wissenschaftliche Beratung
Beisitzer: Holger Ahlborn (Dipl. Geograph / Landschaftsökologie); Zuständigkeitsbereiche: Projektleitung, Biotopmonitoring, Kooperationen, Öffentlichkeitsarbeit

 
Zum Seitenanfang